piwik no script img

■  Im postmodernen Krieg geht es um Opferbilder, universelle Menschenrechte und weltumspannende WirtschaftsmachtKrieg im globalen Fernsehdorf

Die Informations- und Kommunikationstechnik ist so entwickelt, daß sie Bilder jedes Verbrechens überall auf der Welt in jedes Wohnzimmer bringen kann. Wir erhalten spektakuläre Bilder von Menschenrechtsverletzungen. Die Entfaltung der technischen Kräfte ist etwas Gutes. Weltweite, freie Kommunikation ist eine produktive Entwicklung, die Realisierung eines Menschenrechts.

Aber diese produktiven Kräfte sind gefährlich, solange wir auf sie moralisch und mechanisch reagieren. Was ist, wenn ein Politiker auf die Idee kommt, wegen der Verletzung der Menschenrechte müsse die Nato den Atomkrieg mit China anfangen? Auch Menschenrechte müssen abgewogen werden.

Reden wir über das, was wir in den Nachrichtensendungen des Fernsehens über den Kosovo-Krieg sehen. Kriegsbeginn am 24. 3. 1999. Vor dem italienischen Bomberstützpunkt steht der Korrespondent und zeigt hinter sich: Hier starten sie, die ersten Tornados der Bundeswehr. Man sieht, wie die Bomber starten, live! Das Fernsehen ist primär ein Bildmedium – aber müssen es die billigsten Bilder sein? Das wird ergänzt durch „Menschliches“: Ein Reporter befragt die deutschen Soldaten im Stützpunkt: Sie haben Angst, zugleich sind sie tapfer. Ein anderer Reporter befragt die Frauen der Piloten daheim: Sie haben Angst, zugleich sind sie tapfer.

Ein paar Tage danach kommen die „betroffen machenden Bilder“: Die Sender zeigen Kosovo-Albaner, Flüchtlinge, die in Gruppen, auf Straßen herumirren, Flüchtlinge auf Lastwagen. Weinende Mütter geben ihren Babies die Brust. Eine Verzweifelte sagt, sie weiß nicht, was mit ihrem von den Serben verhafteten Mann geschehen ist. Man sieht sterbende Menschen. Auf diese Bilder bauen die Politiker bei ihren Fernsehauftritten – und verschweigen, daß das Grundgesetz und der Deutschlandvertrag der Bundeswehr Angriffskriege verbieten. Statt dessen sagt der Kanzler, aus Mitgefühl mit den Opfern könne man nicht anders als bombardieren. Was die Politiker nicht im Fernsehen sagen: Sie machen dabei mit, daß die USA die internationalen Friedens-Regulierungs-Instanzen schwächen, und sie nehmen den Bruch des Völkerrechts in Kauf. Verschwiegen wird, daß auch die von der Nato unterstützte Armee der Kosovo-Albaner ethnische Säubererungen gegen Serben unternimmt und von Groß-Albanien träumt. Statt dessen sagt der Außenminister, aus ethisch-moralischen Gründen könne man nicht anders als bombardieren.

„Aber nach Folgen fragt eben die absolute Ethik nicht“, sagte der Soziologe Max Weber und nannte diese absolute Ethik „Gesinnungsethik“ – heute müßte man das mit „Political Correctness“ übersetzen. Ihr stellte er die „Verantwortungsethik“ gegenüber. Verantwortungsethik bedeutete für ihn: Man muß als Politiker wissen und danach handeln, daß man für die (voraussehbaren) Folgen seines Handelns aufkommen muß: „Politik bedeutet ein starkes und langsames Bohren von harten Brettern mit Leidenschaft und Augenmaß zugleich“ , so Weber 1919. Es ist gefährlich, die universalen Menschenrechte nicht verantwortungsethisch, sondern gesinnungsethisch durchsetzen zu wollen.

Dabei spielen die Medien eine zentrale Rolle, weil sie unsere Welt zu einem „globalen Dorf“ machen. Als der Medien-Guru Marshall McLuhan um 1968 den Begriff prägte, dachte er an das edle Unzivilisierte à la Rousseau, an ein Dorf der gemeinsam geteilten Medienkultur für den friedlichen Flower-Power-Konsum. Diese 68er-Sehnsucht hat eine neue Form gefunden in dem Ideal des „friedlichen multikulturellen Zusammenlebens“. Die Sehnsucht steckt in uns allen. Aber so etwas gibt es nicht. Hinter allem, was der edle „Gemeinwille“ sich an Idealen anmaßt, steht der Terror. Rousseau – der hochsensible Naturfreund und Pädagoge, der den „Gemeinwillen“ erfand – war da sehr klar, er war dafür, daß die Politiker diejenigen, die dem Gemeinwillen zuwiderhandeln, töten dürfen. McLuhan war da naiv, er kam nicht auf den Gedanken, im Dorf könnten moralisch gesinnte Dorfbüttel einem moralisch gesinnten Mob das Foto eines Mordopfers zeigen, worauf alle gemeinsam mit Sensen, Hacken, Messern und brennenden Fackeln auf Verbrecherjagd gehen.

Es wäre besser gewesen, jemand hätte den Begriff der „globalen Stadt“ geprägt. Dann würden wir uns das ideale globale Gemeinwesen nicht als mittelalterliches Kuhdorf vorstellen. Dann würden wir uns eine zivilisierte Stadt vorstellen, in der Gesetze beachtet werden und angemessen regiert wird. In der man nicht große Teile des städtischen Etats darauf verschwendet, mit riesigen Kanonen auf das Haus eines kleinen Haustyrannen zu schießen, bis das ganze Stadtviertel brennt.

Die Gefahr der Gesinnungspolitik ist, daß wir mit Opferbildern manipuliert werden, bis wir vor Entsetzen den Verstand verlieren und nur noch „helfen“ stammeln, wie das letzte Woche selbst dem coolen ARD-Moderator Ulrich Wickert als Versprecher passierte, als er nach den Horrorbildern wieder moderieren sollte. Die Gefahr ist, daß wir vergessen, wem das nützt. Daß diese Bilder auch Waren sind, die, in Kommerzsendern, höhere Einschaltquoten und höhere Werbespot-Preise bringen.

Natürlich muß man den Schrekken zeigen – aber Journalisten sollten nicht nur unsere Herzen einschaltquotensteigernd ansprechen, sondern auch über Hintergründe aufklären. In der Zeitung schreibt der Ex-Nato-Oberbefehlshaber Schmückle: „Letzten Endes entscheiden die Interessen des Westens, hauptsächlich das Interesse der USA, darüber, wo interveniert wird. Alles dreht sich um die Ökonomie.“

Weltpolitisch, meint Schmückle, geht es immer ums Öl. Aber im Kosovo gibt es kein Öl. Worin also besteht das ökonomische Interesse der USA? Den Ölscheichs zu demonstrieren, daß man die islamischen Albaner schützt? Das reicht nicht als Erklärung. Im Wirtschaftsteil der Zeitung liest man, was Fachleute von der Merill Lynch Investmentbank erwarten: Die Nato müsse sich modernisieren, d.h. neues Gerät von der US-Rüstungsindustrie kaufen. Die Rüstungswerte an der New Yorker Börse legten stärker zu als der Dow-Jones-Index . Daß die Rüstungsindustrie am Krieg verdient, wird nicht in den Nachrichten gezeigt. Statt dessen zeigen sie den Werbefilm, in dem ein B 2-Tarnkappenbomber über die Landschaften gleitet. Mit Informations- und Kommunikationstechnologie ausgerüstet, kostete er zwei Milliarden Dollar pro Stück. In CNN wird demonstriert, daß der Bomber nun mit weniger Personal mehr Bomben abwerfen kann, und das zielgerichtet – mehr oder weniger. Das TV braucht Bilder – aber müssen es Werbefilme von Rüstungskonzernen sein?

Irgendwann wird es den weltweiten Krieg-Spartenkanal geben, für Live-Übertragungen aus den Raketen. Man wird wählen dürfen zwischen dem Blick aus der Rakete, dem Blick aus dem Flugzeug, dem Blick auf das Gesicht des Piloten – wegen des „menschlichen Dramas“ – und dem Blick aus einer kleinen mitgeführten Live-Kamera-Rakete, die zerstörte Objekte umkreist, bei Fehlschüssen auch die Opfer, mit Nahaufnahmen. Alles wird im Tonfall des Bedauerns berichtet. Der kommerzielle Kanal wird sich „Menschenrechtskanal“ nennen.

Welche Interessen beeinflussen den Kosovo-Krieg? Heute gibt es einen Wirtschaftskrieg zwischen USA, Europa und Asien. Asien ist krisengebeutelt, Euroland wird stärker, die EU erweitert sich. Jetzt sind globale Wirtschaftskriege das Entscheidende. Joschka Fischer sieht das und schreibt in „Für einen neuen Gesellschaftsvertrag“: „Die postmodernen Kriege werden durch Kredit- und Investitionsentscheidungen und die Größe der jeweiligen finanziellen Ressourcen entschieden.“ Die USA zwingen Europa Investitionen in Rüstung und Kriege auf. Was vordergründig ein moralischer Krieg gegen einen serbischen Diktator ist, ist der Beginn eines Wirtschaftskriegs der USA gegen Europa. Es gibt einen Krieg im Krieg.

Doch das zeigt das Fernsehen so wenig wie andere Bilder, die den Verstand ansprechen: keine Computergraphiken, die Interessen der USA, der Nato, der Rüstungsindustrie, der Kommunikationsindustrie visualisieren. Statt dessen zeigt man Computeranimationen, in denen Flieger wie in den Videospielen das Feindesland bombardieren. Und in einer Werbeunterbrechung gibt es einen Werbespot von Gillette: Ein computeranimierter, silberner Kampfflieger rast mit Mach 3 über die Stadt. Eine Stimme ruft „Aufgewacht“ – dann weckt der Kampfflieger im Tiefflug die entsetzten Leute. Er landet, sich in einen Rasierer verwandelnd, bei einem jungen Mann. Freudig greift er die vom Himmel kommende Technologie auf. Er bekämpft die Bartstoppeln porentief. Seine Freundin himmelt ihn an.

Auch in der Werbung wird ein moralischer Krieg geführt. Aus der Werbung sind wir gewohnt, daß man auf unsere Gefühle spekuliert, statt unseren Verstand anzusprechen. Nun erleben wir Werbung für den Krieg.

Die Fernsehbilder apellieren an unser Herz, selten an unseren VerstandDie neue Weltpolitik machen Gesinnungsethiker. Das ist gefährlich

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen