piwik no script img

Archiv-Artikel

Im nackten Licht des Labors

THEATER Maik Priebe inszeniert Roland Schimmelpfennigs „Auf der Greifswalder Straße“ für das Theaterlabor Bremen. Ein Abend über Schicksal als Zufall und Bestimmung

Ein verloren gegangener Hund namens Biene ist in Wirklichkeit ein Wolf, der eine junge Frau beißt, die sich später in einen Werwolf verwandeln und von einem Lynchmob erschlagen werden wird

VON ANDREAS SCHNELL

Nachdem das Theaterlabor in vergangenen Spielzeiten immer wieder hochpolitische Stoffe und selten gespielte Autoren wie Ernst Toller oder Peter Hacks präsentierte, setzte es am Donnerstag in der Generatorenhalle der ELZ nun dramatische Gegenwart in surrealer Form von einem der meistgespielten deutschen Gegenwartsdramatiker. Dass auch das durchaus gesellschaftliche Relevanz haben kann, arbeitet Regisseur Maik Priebe mit einem siebenköpfigen Ensemble in einer analytischen Laborsituation heraus.

„Auf der Greifswalder Straße“ von Roland Schimmelpfennig konfrontiert uns mit wahrhaft eigenartigen Episoden, die einerseits komplex ineinander verschlungen, andererseits sich regelrecht naiv überkreuzen. Denn ist es nicht geradezu märchenhaft, dass ein silberner Löffel, einst einer noch gar nicht geborenen Enkelin oder Urenkelin zugedacht, bei ebenjener landet, obwohl er (der Löffel) jahrzehntelang vergessen in einer Mauer vor sich hin existierte und sich Ahn und Nachfahr nie begegneten? Oder dass ein Mann in seinen Träumen von drei Frauen heimgesucht wird, von denen ihn eine vor einer dünnen Frau warnt, die hernach tatsächlich sein Schicksal wird?

Und das ist noch nicht alles: Ein verloren gegangener Hund namens Biene ist in Wirklichkeit ein Wolf, der eine junge Frau beißt, die sich später in eine Art Werwolf verwandeln und von einem Lynchmob erschlagen werden wird. Eine andere junge Frau stirbt gar, ohne es zu merken – und dann bleibt auch noch die Sonne stehen, bis ein Mann sie vom Himmel schießt.

Nein, das scheint alles andere zu sein als Realismus. Aber das ist ja auch nur eine Ebene dieses Stücks. Die gewaltsame Herstellung von Normalität, die gegenseitige Gleichgültigkeit, die Suche nach dem großen Glück, das oft doch so klein ist, das alles führen Schimmelpfennigs Figuren eben auch durch und vor. Und dass das kleine, ganz groß erscheinende Glück möglich ist, aber eigentlich auch nur, weil diese Figuren wie von unsichtbarer Hand ihrem Geschick zugeführt zu werden scheinen.

Darin verbirgt sich dann eben doch eine auch politische Ebene, die Maik Priebe in der Generatorenhalle in der Bremer Überseestadt in einem statischen, kalten Laborlicht herausseziert.

Die Textcollage choreografiert er dafür in ein weiß gerahmtes Spielfeld, auf dem das siebenköpfige Ensemble mit minimaler Requisite, die einzelnen Figuren nur durch schlichte Zeichen markiert, in knapp zwei eindringlichen Stunden seine Spuren hinterlässt: An der Bühnenrückwand sitzen die drei Schauspielerinnen und vier Schauspieler aufgereiht, die Füße in Kreide. Und auch umgekehrt bleibt an ihnen stets etwas hängen von ihren Streifzügen durchs Spielfeld.

Dabei scheint es beinahe, als spiele der Text eher sie als umgekehrt. Szenenanweisungen kommen den Akteuren wie Eingebungen, denen sie nachkommen. Ist es Schicksal als ein höherer Plan oder als Zufall? Oder sind die biografischen Verstrickungen und Knoten doch die notwendigen Konsequenzen ihrer Entscheidungen – bloß dass sie unkalkulierbar bleiben?

■ Samstag (heute), 20 Uhr, weitere Vorstellungen: 27. bis 29. September, Generatorenhalle, ELZ, www.theaterlab.de