: „Im Zweifelsfall braucht es eine Quote“
Wissenschaftlerinnen der Unis Osnabrück und Wuppertal haben gezeigt: Mit welcher Position ein Fußballspieler auf dem Feld betraut wird, kann von rassistischen Stereotypen abhängen. Sozialpsychologin Julia Becker über ein Phänomen, das tief im Kolonialismus wurzelt

Interview Harff-Peter Schönherr
taz: Rassismus im Fußball zeigt sich nicht nur in Affenlauten von der Tribüne und in Bananenwürfen auf das Spielfeld, sondern auch in der Besetzung von Spielpositionen. Warum ist das so?
Julia Becker: Das liegt an rassistischen Stereotypen, die während der Kolonialzeit entstanden sind als Rechtfertigung Weißer, warum sie Schwarze versklaven. Sich selbst haben sie als intelligent und führungsgeeignet gesehen, Schwarze dagegen als primär körperlich stark. Dieses Denken setzt sich bis heute fort: Weiße Spieler werden häufiger auf kognitiv fordernden, strategisches Denken verlangenden Positionen eingesetzt, Schwarze und PoC-Spieler oft da, wo es eher auf die Physis ankommt.
taz: Aber rein biologistisch ist der Rassismus im Fußball nicht?
Becker: Oft heißt es, der biologistische sei einem kulturellen Rassismus gewichen; heute gehe es eher um die Abwertung anderer Kulturen als um vermeintliche Rassen. Unsere Studie zeigt: Noch heute wird unter bestimmten Umständen auf die alten Stereotype zurückgegriffen.
taz: Ist das ein Resultat des fatalen Rechtsrucks, den wir dieser Tage erleben?
Becker: In der Tat tendiert unsere Gesellschaft derzeit in eine ungute Richtung. Aber struktureller Rassismus ist nicht neu. Hätten wir unsere Studie vor ein paar Jahren durchgeführt, wäre das Ergebnis vermutlich dasselbe gewesen.
taz: Auf welcher Grundlage haben Sie gearbeitet?
Becker: Die Studie basiert auf einer Publikation von Tina Nobis und Felicia Lazaridou. Sie haben Fußballer der Bundesliga und der 2. Liga ausgezählt. Dort gibt es 70 Prozent weiße und 20 Prozent Schwarze Spieler sowie 10 Prozent People of Color. Offensive Außenbahnen waren mit 37 Prozent überproportional durch Schwarze Spieler besetzt, das Tor stark unterproportional nur mit 3 Prozent. Im Sturm waren es 24,3 Prozent, also leicht erhöht. Wir haben dazu den kausalen Mechanismus getestet, mit Experimenten.
taz: Wie sah das aus?
Becker: Wir haben uns an Panini-Fußballkarten orientiert und Spielerkarten kreiert. Fußballinteressierte Versuchspersonen haben ein Bild von einem fiktiven weißen oder Schwarzen Spieler bekommen, mit identischem Grundtext zu Alter, Größe, Gewicht, sie sollten einschätzen, wie geeignet der Spieler für verschiedene Positionen auf dem Feld ist.
taz: Und?
Becker: Es zeigte sich, dass die Schwarzen als geeigneter für den Sturm und die offensiven Außenbahnen gesehen wurden und als weniger geeignet für die Position des Torhüters. Dann haben wir in weiteren Studien objektive Leistungsindikatoren dazugegeben, zu Sprinttempo, Ausdauer, Taktik, Spielübersicht. Gezeigt hat sich: Wussten die Versuchspersonen, wie gut die Spieler auf bestimmten Parametern scoren, ließen sie sich nicht von rassistischen Stereotypen leiten.
taz: Ist auch der Frauenfußball betroffen?
Becker: Wir haben uns nur mit dem Männerfußball befasst, weil es dazu schon mehr Forschung gibt. Lara Kronenbitter und Tina Nobis von der Universität Wuppertal haben aber auch die ersten Ligen der Frauen ausgezählt. In der Tendenz ist das Ergebnis gleich, aber man muss es mit Vorsicht interpretieren, weil es im Vergleich zum Männerfußball viel weniger Schwarze Spielerinnen gibt.
taz: Vor einiger Zeit ergab eine WDR-Umfrage, dass sich 21 Prozent der Deutschen mehr Nationalspieler mit weißer Hautfarbe wünschen.
Becker: Das war ein sehr erschreckendes Ergebnis. Aber wenn man sich die derzeitigen Zustimmungswerte zur AfD ansieht, kann es nicht verwundern. Diese Ergebnisse zu lesen, war für Schwarze und für PoC-Sportler, die ja für Deutschlands Diversität stehen, sicher hart.
taz: Um diesen Rassismus zu minimieren, schlagen Sie Workshops zur Sensibilisierung für TrainerInnen vor; zudem müsse es mehr Schwarze und PoC-TrainerInnen geben. Wie realistisch ist das?
Becker: Zunächst ist mir wichtig zu sagen: Gerade im Profifußball sind Entscheidungen, wer auf welcher Position spielt, von sehr vielen Faktoren abhängig – das muss gar nichts mit Rassismus zu tun haben. Aber rassistische Stereotype können eine Rolle spielen. Es gibt bereits Projekte, die das adressieren. Ein Beispiel: „Roots – Against Racism in Sports“ des deutsch-ghanaischen Fußballtrainers Otto Addo. Es macht Rassismus sichtbar, hilft den Betreffenden, sensibilisiert Verbände. Aber die Vorstände und Funktionäre sind alle sehr weiß, da dauert es lang, etwas zu verändern. Im Zweifelsfall braucht es eine Quote.
taz: Gab es Reaktionen von den Vereinen auf Ihre Studie?
Becker: Bisher noch nicht. Aber sie ist ja auch noch sehr neu.
taz: Sind Sie selbst manchmal im Stadion?
Becker: Ich habe zwei fußballinteressierte Söhne, da gehen wir manchmal zum VfL Osnabrück. Ich selbst habe da noch keinen Rassismus wahrgenommen. Aber es gab ihn auch hier. Sogar mit Spielabbruch. Das ist gut, um den Fans zu zeigen: So nicht!
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