piwik no script img

■ Im WortlautWarten auf sechs Uhr, Zeit fürs erste Bier

Dem 48jährigen Günter E. wurde im letzten Jahr das linke Bein amputiert, neun Jahre vorher hatte er einen Herzinfarkt. Er raucht immer noch wie ein Schlot. Oft sitzt er in seinem Rolli am Lausitzer Platz. Auf dem Kopf trägt er einen verstaubten schwarzen Hut.

Ich sitze hier fast jeden Tag. Ich brauche das, ich brauche das, verstehste. Ich muß informiert sein, wie man so schön sagt. Ich kann mich ja nicht mehr so bewegen wie früher. Ich beobachte manchmal die Scheißautofahrer, die rasen ja wie die Wilden. Paß auf, ich hab' manchmal das Gefühl, es müßte hier in der Nähe eine Nervenklinik sein, verstehste. Entweder haben die was in die Arme gespritzt oder saufen.

1986 hatte ich einen Schlaganfall, das hat mit dem Alter nichts zu tun. Dann begann das Übliche: der Doktor sagte, ich rauche zu viel. Wobei ich viele kenne, die ein Bein abhaben und nie geraucht haben. Mir wurde im letzten Jahr das linke Bein abgenommen. Die sprechen dann immer vom Raucherbein. Der Doktor, der das erfunden hat, hieß Rauchbein. Ich hab' früher immer gerne getrunken. Aber wenn das so wäre, müßte jeder Alkoholiker einen Schlaganfall kriegen. Gut, ich habe meine Bierchen getrunken, trinke auch heute noch meine Bierchen. Aber ich habe es mir so angewöhnt, daß ich jetzt erst ab achtzehn Uhr trinke. Früher war ich mittags schon besoffen. Aber jetzt mit der Pullerei, und abends kannste nicht mehr klar fernkieken.

Am liebsten möchte ich wieder laufen können. Dann würde ich ackern gehen. Früher wollte ich nicht arbeiten, heute kann ich nicht. Als ich mein Bein noch dranhatte, war ich auch im Knast. Ich wollte mein Taschengeld etwas aufbessern. Ich hab' Lederjacken mitgehen lassen. Es blieb mir nichts anderes über. Früher, als ich zwischendurch als Dachdecker gearbeitet hab', denn ohne Knete geht's nicht, war ich viel unterwegs. Jetzt brauche ich Geld für Alkohol. Es gibt auch Tage, wo ich gar nichts trinke. Dann dürftest du aber nicht mit mir reden. Echt. Dann kriege ich Entzugserscheinungen. Es könnte auch möglich sein, daß ich jetzt bei dem Wetter wieder früher mit Trinken anfange. Ich will hoffen, daß ich stark bleibe.

Man könnte fast sagen, daß ich täglich immer das Gleiche mache. Daran will ich aber was ändern. Ich hab' mir noch nichts überlegt, müßte ich mir aber noch überlegen. Wie kann ich das definieren? Normalerweise könnte ich bis mittags schlafen. Aber ich bin nicht so ein Penner, der den ganzen Tag schlafen kann. Es ist nicht so, daß ich denke, ich könnte was verpassen. Früh fahre ich in die Markthalle erst mal frühstücken. Dann treffe ich meist einen Kumpel und quatsche da über Fußball. Ich war früher ein guter Fußballer gewesen. Und dann ist der Tag wieder abgelaufen. Dann warte ich auf achtzehn Uhr, bis ich mein erstes Bier trinken kann.

Ich träume von einem Sechser im Lotto. Dann würde ich mein Leben noch genießen. Ich würde mir einen elektrischen Rollstuhl kaufen. Um so einen bei der Behörde zu kriegen, muß man beide Beine abhaben. Es gibt so viele Dinge, die ich dann machen würde, die kann ich gar nicht aufzählen. Ach, man will auch mal in Puff gehen oder so, verstehste.

Manchmal brauche ich so Standortwechsel. Jetzt gehe ich wieder drei Wochen ins Krankenhaus und mache eine Schmerztherapie. Seit der Amputation habe ich Schmerzen, als ob das Bein noch dran wär'. Im Krankenhaus können einem Dinger passieren. Einmal hatte ich der Krankenschwester ausdrücklich gesagt, daß ich zwei Schwarzbrotscheiben will. Eine mit Scheibenkäse und eine mit Wurst und bitte noch ein paar Scheiben Gurken. Die Wurstschnitte ging. Aber die Käseschnitte! Da hat sie mir Kräuterkäse draufgemacht und dann die ganzen Gurken. Die konnte froh gewesen sein, daß ich da nicht angetrunken war. Da wär ich ausgeflippt, echt. Aufgeschrieben und fotografiert von Barbara Bollwahn.

wird fortgesetzt

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen