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■ Bücher.kleinIm Widerstand

„Wir haben nie gedacht, daß wir überleben werden. Darum ging es uns auch gar nicht. Es ging uns darum, etwas zu tun.“ Mit diesen Worten schildert die heute 73jährige Chaika Grossman ihre Motive, gegen den Faschismus gekämpft zu haben. Wie viele ihrer AltersgenossInnen schloß sich die polnische Jüdin in den 30er Jahren der linkszionistischen Jugendbewegung „Hechalutz“ an. Politische Arbeit und politische Zusammenhänge waren ihr vertraut, als 1939 die deutsche Wehrmacht in ihrer Heimatstadt Bialystok einfiel. Damals hatte die Stadt nahe der polnisch-sowjetischen Grenze noch 120.000 Einwohner, die Hälfte waren Juden. Sechs Jahre später war die jüdische Bevölkerung des Ortes so gut wie ausgelöscht. Nur wenige jüdische Frauen blieben im August 1943 nach der Vernichtung des Bialystoker Ghettos allein in der Stadt zurück, in der Illegalität, mit falschen „arischen“ Pässen. Sie hielten Kontakt zu den Partisanen in den umliegenden Wäldern, kämpften weiter gegen die Vernichtungspolitik der Deutschen. Unter ihnen Chaika Grossman.

Erst fünfzig Jahre nach der brutalen Niederschlagung des Ghettoaufstands in Bialystok erschienen nun im Fischer Taschenbuch Verlag erstmals die Aufzeichnungen ihrer Jahre im antifaschistischen Widerstand: Die Untergrundarmee, geschrieben 1948, kurz nachdem Chaika Grossman in den gerade gegründeten Staat Israel ausgewandert war. Ein Jahr später kamen ihre Erinnerungen in hebräischer Sprache heraus und wurden zum Bestseller. Daß nun auch eine deutsche Übersetzung vorliegt, ist vor allem Ingrid Strobl zu verdanken, nicht nur als Übersetzerin, sondern vor allem aufgrund ihrer Recherchen vor Ort. Chaika Grossman ist eine von drei heute noch lebenden ehemals polnischen Jüdinnen, mit deren Hilfe Ingrid Strobl in ihrem Film „Mir zeyen do“ (1993) das Leben der Bialystoker Jüdinnen im aktiven Widerstand gegen das Naziregime nachzeichnet. Der als Fernsehdokumentation gedachte Film – das nur am Rande – wird leider nur in Programmkinos gezeigt, da die hiesigen TV-Anstalten anscheinend ihre Schwierigkeiten mit der Thematik haben.Innerhalb des aktiven Widerstands gegen das nationalsozialistische Regime spielten Frauen in Polen eine entscheidende Rolle, ob, wie Chaika Grossman, als Kurierinnen, die den Kontakt zu antifaschistischen Gruppen in anderen jüdischen Ghettos in Polen aufrechterhielten und den bewaffneten Widerstand organisierten, die Waffen und Lebensmittel für die PartisanInnen besorgten, ob als getarnte „Arierinnen“, wie Grossman, aber auch Liza Chapnik, die Wohnungen außerhalb des Ghettos für Flüchtlinge anmietete und falsche Papiere organisierte. Ein literarisches Kunstwerk darf frau sich natürlich nicht erwarten. Manchmal fällt es schwer, in dem spontan heruntergeschriebenen Bericht die zeitliche Chronologie der Ereignisse nachzuvollziehen, manchmal verwirren die immer wieder neuen, unterschiedlichen Namen von KampfgefährtInnen und ihren Schicksalen in ihrer Fülle. Dennoch, und da kann man sich nur dem Urteil Ingrid Strobls im Vorwort anschließen, liest sich „Die Untergrundarmee“ über weite Passagen „spannender als jeder Kriminalroman“.

Chaika Grossman: Die Untergrundarmee. Der jüdische Widerstand in Bialystok. Ein autobiographischer Bericht. Fischer Taschenbuch Verlag, Frankfurt a.M. 1993, 554 Seiten, 19,90 DM

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