■ Im Vollrausch des Buddelns: Düsseldorf guckt in die Röhre: Tunnelmund tut Wahrheit kund
Düsseldorf (taz) – Daß Düsseldorf am Rhein liegt, ist ein Irrtum. Wahr ist vielmehr, daß dies erst seit heute gilt. Heute kehrt die Stadt nach langer Zeit wieder feierlich an den Fluß zurück. Sie konnten bisher zueinander nicht kommen, denn dazwischen lag eine breite, reißende Uferstraße mit täglich bis zu 55.000 Fahrzeugen. Die verschwinden jetzt unter der Erde, zumindest auf einer Strecke von zwei Kilometern. Die kostspielige Operation (271.000 Mark der Meter) macht möglich, was früher eine Gratis-Selbstverständlichkeit war: am Rhein in Ruhe zu flanieren.
Am letzten Wochenende durften die Bewohner der hochverschuldeten Stadt das Jahrhundertloch (angeblich das „längste innerstädtische unterirdische Straßenbauwerk Deutschlands“) schon mal zu Fuß oder Fahrrad durchmessen, die Ebenmäßigkeit des Betons und die Harmonie der Abzweigungen begutachten. Bauingenieure erläuterten ihnen den kühnen Verlauf beider Röhren (teils neben-, teils übereinander), Siemens-Leute priesen den meß- und regelungstechnischen Komfort an, der beispielsweise sicherstellt, daß anfallende Stickoxide zügig nach draußen gepustet werden, und Mannesmänner verbreiteten die frohe Botschaft, daß man auf ihren Mobilfunkgeräten auch während der Tunneldurchfahrt weiterquasseln kann.
Letzteres entspricht sicherlich auch einem Herzenswunsch vieler NRW-Landtagsabgeordneten, die von jetzt an nicht nur direkt durch die Röhre ihren Arbeitsplatz erreichen, sondern sich noch auf den letzten Metern erkundigen können, ob der Kaffee oder das Beschlußprotokoll fertig ist. Zudem bleibt ihnen nun vom Büro aus der Blick auf die häßlichen Folgen ihrer autophilen Politik erspart. Rund um den Landtag soll es hübsch grün werden; erst in gebührender Entfernung spuckt der Tunnelmund das unverdauliche Blech aus. Was Wunder also, daß der Anstoß zum Tunnelbau wie auch ein Großteil der auf 543 Millionen Mark angeschwollenen Baukostensumme vom Land Nordrhein-Westfalen kamen.
Der notorische Kostenanstieg über das Geplante hinaus blieb nicht die einzige Unregelmäßigkeit in Sachen „Tieferlegung Rheinuferstraße“. Da ging es auch um den dubiosen Einsatz von Schwarzarbeitern aus Osteuropa, und seit einigen Wochen läuft ein peinliches Ermittlungsverfahren gegen Firmen und städtische Beamte: Sie sollen sich gemeinschaftlich am zutage geförderten Rheinkies in sechsstelligem Wert gesundgestoßen haben – eine Affäre, um die es im lokalen Blätterwald, um der lieben Einweihungsfeststimmung willen, recht still geworden ist.
Im Vollrausch des Buddelns ist der eigentliche Zweck der Übung etwas in den Hintergrund getreten. Wie die künftige Uferoberläche aussehen soll, weiß keiner so genau. Immerhin schaffen zwei gigantische Entlüftungstürme schon mal vollendete Tatsachen. Der Kulturausschuß der Stadt argwöhnt gar, daß das Geld für obendrauf längst untendrunter verscharrt worden sein könnte. Und einige Altstadtwirte schlagen orginellerweise vor, das freigewordene Ufer nun mit Parkplätzen zu bepflastern.
Während Düsseldorfs Kultur nicht zuletzt dank des grandiosen Groschengrabs am Rhein das haushaltspolitische Zittern lernt – ums Überleben kämpft etwa das Schiffahrtsmuseum im Schloßturm bei km 0,4 überm Tunnel –, brachte der Maulwurfsbau auch unverhofften Segen: Im Fahrbahngewirr nahe der Rheinkniebrücke entstanden üppige Hohlräume. Die bevölkern seit einiger Zeit schon Theatergruppen und bildende Künstler. Der ab heute eintretende akustische Ernstfall wird erweisen, ob es bald nur noch Heavy-Metal-Bands sind. Olaf Cless
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