DIE KRITIK DER KANZLERIN AN DER SPD KOMMT DIESER GERADE RECHT : Im Ton sollten wir uns unterscheiden
Was die Sozialdemokraten der Kanzlerin wohl dafür geboten haben? Pünktlich zum Parteitag tut Angela Merkel den Sozialdemokraten bestimmt nicht ganz umsonst den Riesengefallen, sie im Fernsehen ein bisschen für mangelnde Reformfreude zu kritisieren. Jetzt können die Wochenendzeitungen damit titeln, was der neue SPD-Chef Kurt Beck dazu Dröhnendes zu sagen hat: Mangelnde Reformfreude? Selber! Möglicherweise hätte die breitere Öffentlichkeit sonst noch vergessen, dass die Sozialdemokraten schon wieder einen neuen Vorsitzenden haben, der am Sonntag offiziell ins Amt gejubelt werden soll.
Mit dem Geplänkel unter Parteioberen kann Merkel ihren Leuten zeigen, dass sie sehr wohl imstande ist, Böses über Sozis zu sagen. Beck und die Seinen haben Gelegenheit, den Metaphernschatz zum Komplex Reformmotorisierung auszuweiten. Alle gemeinsam können durch ein passend gewähltes Maß an Koalitionszwist dem Land beweisen, dass sie zwar auch auf ihre eigenen Parteien Rücksicht nehmen müssen, aber ansonsten im Wesentlichen das Gleiche wollen. Motto: Einig in der Sache, nur im Ton sollten wir uns unterscheiden. Wer nun gar auf „Nervosität“ schließt, übersieht, wie groß der vertraglich besiegelte Konsens über die anstehenden Großprojekte tatsächlich ist.
So wollen SPD wie Union durch das Elterngeld 250.000 arbeitslose und geringverdienende Familien pro Jahr schlechter stellen. Über ein Drittel der zu gebärenden Kinder soll auf staatliche Unterstützung verzichten, damit Gut- und Bestverdienerinnen im Babyjahr ihren Lebensstandard halten können. Mit der Mehrwertsteuererhöhung müssen SPD wie Union die Steuersenkung für die Unternehmen finanzieren, damit die Aktiengewinne weiter steigen. Mit der Anhebung des Rentenalters soll die Arbeitslosigkeit verlängert werden. Nur bei der Gesundheit hakt die gemeinsame Willensbildung bislang – doch sicherlich werden die Patienten auch dafür noch zahlen dürfen.
Ist der SPD-Parteitag erst vorbei, wird die große Koalition weitermachen wie bisher. Was auch sonst? ULRIKE WINKELMANN