: Im Sudan stehen Millionen vor dem Nichts
Der nordafrikanische Sudan steht vor einer Hungerkatastrophe/ Bis zu elf Millionen Menschen betroffen/ Militärregierung in Khartum erkennt Ausmaß der Probleme nur zögernd an/ Aufrufe zu internationalen Hilfslieferungen kommen zu spät ■ Aus Khartum Nadja El-Masri
„Ich bin krank, schauen Sie, da überall sind Flecken auf der Fußsohle“, klagt ein Bauer. „Schon 1984 habe ich bei der großen Dürre alles verloren, meine Kamele, Kühe, Schafe und meine Felder. Dann bin ich vom Norden hierher gekommen mit meiner Familie, habe noch einmal begonnen, und nun stehe ich wieder vor dem Nichts.“
Er lebt etwa 50 Kilometer südöstlich von El-Obeid, der Hauptstadt der sudanesischen Provinz Kordofan. Wie viele Nomaden und Kleinbauern hat er den letzten Sack Hirse längst aufgebraucht. Seit Tagen haben er und seine sechsköpfige Familie nichts mehr gegessen. Demnächst will er seinen Hof aufgeben und in eines der Flüchtlingslager von El- Obeid ziehen — in der Hoffnung, dort wenigstens überleben zu dürfen.
Wieder einmal steht der Sudan vor einer Hungerkatastrophe, und ähnlich wie 1984/85 weigert sich das Regime in Khartum zuzugeben, was in den Dürreregionen des Landes deutlich sichtbar ist: Hunger. Die Felder sind vertrocknet, die heurige Ernte ist zum Großteil durch die Dürre vernichtet. Viele Nomaden, aber auch Bauern, müssen ihr letztes Vieh zu Niedrigstpreisen notverkaufen, denn es gibt kein Futter und Wasser mehr. Besonders betroffen sind die Regionen Nord-Kordofan, Nord- Darfur südwestlich der Hauptstadt Khartum und das karge Hügelland am Roten Meer südlich der Hafenstadt Port Sudan — insgesamt etwa elf Millionen Menschen.
Die seit Juni 1989 amtierende Militärregierung unter General Oman Hassan al-Baschir hatte gleich nach ihrer Machtergreifung die nationalistische Parole ausgegeben „Wir essen, was wir selbst anbauen“. Doch die Unfähigkeit des Regimes, diese Parole in eine funktionierende Landwirtschaftspolitik umzusetzen, ist für die Betroffenen nun fatal.
Experten internationaler Organisationen rechnen damit, daß die Ende November begonnene Ernte von Dura (Sorghum-Hirse), der wichtigsten Getreidesorte im Sudan, den Bedarf der Bevölkerung bei weitem nicht decken kann. Für das laufende Landwirtschaftsjahr werden dem Land voraussichtlich bis zu einer Million Tonnen Getreide fehlen. Hilfsorganisationen in den Krisengebieten befürchten jetzt schon, daß die Hungersnot in den kommenden Monaten noch schlimmer werden könnte als die Katastrophe vor fünf Jahren, bei der 250.000 Menschen starben. Da auch im Vorjahr eine schlechte Ernte erzielt worden ist, verfügt der Sudan über praktisch keine Getreidevorräte mehr.
Bei einem Lokalaugenschein in Kordofan und in der Umgebung von Khartum sind die Zeichen einer bereits einsetzenden Hungermisere deutlich zu merken: Medizinische Indikatoren für Unterernährung und Mangel an Vitamin A weisen für manche Gegenden bereits Werte aus, die um das 30fache höher sind, als jene, bei denen die Weltgesundheitsorganisation WHO Notmaßnahmen empfiehlt, meint ein sudanesischer Arzt im Nomaden-Zentrum Bara. „Noch ist hier niemand verhungert, aber der Hungertod kommt auf leisen Sohlen. Fehl- und Mangelernährung sind erst im letzten Stadium wirklich sichtbar.“ Doch auch die Hungerflüchtlinge, die bereits in staubigen Lagern in sengender Hitze ohne Geld für Nahrung, Wasser und medizinische Versorgung vegetieren, wissen nicht, wie es weitergehen soll. „Nicht einmal die Einheimischen haben genug“, erzählt ein Gemeindevertreter von El-Obeid am beinahe leeren Getreidegroßmarkt. „Die Preise für Grundnahrungsmittel sind hier bereits fünf mal so hoch wie noch vor einigen Monaten.“ Und Hilfe von außen kommt nur sporadisch.
El-Obeids Lagerbewohner haben nur einmal im Oktober gratis 3 Kilogramm Dura pro Erwachsenen bekommen. Ansonsten ernähren sie sich von Überresten in den Straßen.
Die Frage, wann wieder Nahrung kommt, wird von dem Gemeindevertreter nur mit einem betroffenen Achselzucken beantwortet. Auch wenn man sich auf regionaler Ebene zumeist der Not bewußt ist, können Lokalpolitiker außer vorsichtigem Druck nichts gegen die Weigerung der Regierung unternehmen, das Ausmaß der Katastrophe einzugestehen. Erst in der letzten Oktoberwoche hat sich die Führung entschlossen, einen Hilfsappell zur sofortigen Lieferung von 75.000 Tonnen Getreide an die internationale Staatengemeinschaft zu richten.
Westliche Industriestaaten haben über das UNO-Lebensmittelprogramm auch bereits mit der Lieferung begonnen. Doch der Aufruf kam zu spät, um alle Dürregebiete noch rechtzeitig versorgen zu können.
Khartum (afp) — Die sudanesische Regierung hat erstmals zugegeben, daß in der Provinz Kordofan politische Unruhe herrscht. In der Regierungszeitung 'El Inkas el Watani‘ machte Faisal Madani Muchtar, Mitglied des Revolutionsrats und Gouverneur von Kordofan, die verbotene Kommunistische Partei für „Sabotageakte und Plünderungen“ verantwortlich. Gleichzeitig schätzte er die Zahl der Menschen, die in Kordofan an Hunger leiden, auf 300.000. Die Lieferung von 300.000 Tonnen Lebensmitteln sei nötig, um die Versorgung der Bevölkerung mit Nahrung sicherzustellen.
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