: Im Osten was Neues
Das Uefa-Cup-Finale in Manchester war kein großes Spiel, womöglich aber ein wegweisendes: Mit dem kühl erspielten 2:0-Erfolg über die Glasgow Rangers hat Zenit St. Petersburg seine Ambitionen untermauert, in Europas Fußballelite vorzustoßen
AUS MANCHESTER RAPHAEL HONIGSTEIN
In England und Spanien ist es Brauch, dass gegnerische Mannschaften für den frisch gekürten Meister Spalier stehen. Irgendein Verbandsfunktionär hatte den merkwürdigen Einfall, das Prozedere nach dem Uefa-Cup-Finale umzudrehen: Die armen Glasgow Rangers mussten auf dem Weg zur Verlierermedaille eine Gasse von Petersburger Spielern in goldenen Trikots durchschreiten. Ein Fan der Rangers konnte diese Demütigung nicht mehr mit ansehen. Er stürmte auf Zenits Mittelfeldspieler Igor Denissow zu, formte ein O mit der Hand und machte eine beleidigende Geste. Der Schütze des 1:0 aber lachte nur, deutete auf seine Brust und sagte: „Goal, goal.“
Eloquenter hätte er sich nicht ausdrücken können: Tore sind im Fußball immer die beste, weil einzig richtige Antwort. Die Bestätigung dieses Elementarprinzips verlieh dem von großen Gefühlen im Stadion, Fanausschreitungen und überschaubaren sportlicher Leistungen geprägten Abend in Manchester doch noch eine versöhnliche Note. Die Rangers-Anhänger, die im Stadtzentrum randalierten, weil kurz vor Anpfiff eine Großleinwand ausgefallen war, wussten ja gar nicht, was für ein Glück sie eigentlich hatten. Ihre nach 63 Pflichtspielen sichtlich erschöpfte Mannschaft zeigte kein Interesse an einer ansehnlichen Partie und wollte sich von Anfang an nur ins Elfmeterschießen mauern. Derart grenzenlose Destruktivität hat man in einem europäischen Endspiel zuletzt von Roter Stern Belgrad 1991 gesehen, damals ging der Plan gegen Olympique Marseille auf. Diesmal gottlob nicht. „Es ist schwer, ein Endspiel ohne ein Quäntchen Mumm zu gewinnen“, urteilte der Guardian verächtlich. „Als Trainer denkt man hinterher immer, man hätte es anders machen können“, sagte Trainer Walter Smith entschuldigend, „aber wir wollten an der in Europa erfolgreichen Formel festhalten.“
Ein, zwei zu Ende gedachten Ideen und ein bisschen Konzentration in der Abwehr reichten dem russischen Meister gegen die nur in Nullen denkenden Schotten für den größten Erfolg in der Vereinsgeschichte. Nach fruchtlosen Bemühungen in der ersten Halbzeit erkannte Zenits Andrei Arschawin, ein diplomierter Modedesigner, endlich die Schnittstelle in der blauen Abwehr; sein eleganter Doppelpass mit Denissow entschied die Partie. Konstantin Syrianows ebenso schön herausgespieltes 2:0 in der Nachspielzeit gab den Machtverhältnissen auf dem Platz angemessen Ausdruck.
„Jeder, der uns in diesem Wettbewerb gesehen hat, wird zugeben, dass wir den Sieg verdient haben“, sagte Advocaat. Es war ebenfalls gut zu sehen gewesen, dass die nach dem 4:0-Halbfinalsieg gegen Bayern schon zum zukünftigen Champions-League-Favoriten verklärte Elf Advocaats zwar eine gute, aber keineswegs übermäßig stark besetzte Mannschaft ist.
„Wir brauchen noch vier bis fünf Spieler, um auf höchstem Niveau mithalten zu können“, sagte Advocaat. Arschawin, das kreative Herz des Teams, wird er erst mal halten müssen. Der 26-Jährige könnte zu einem der Stars der EM werden. Mit den rohstoffreichen Russen wird in Zukunft überhaupt zu rechnen sein. Die sportliche Relevanz des Uefa-Cups, dieses Sammelbeckens für große Kleine (Hamburg, Bremen), kleine Große (Bayern) und all die nicht wissen, wo sie international hingehören, wird mit jedem Jahr schwerer einzuschätzen; zumindest taugt er als Seismograf für die Entwicklung einzelner Teams: Portos Gewinn 2003 war der Vorbote ihres Champions League-Siegs 2004. Sevilla hat sich nach zwei Finalsiegen in Folge in der heimischen Ligaspitze etabliert. Und die von der Moskauer Sportpresse kritisch beäugten Emporkömmlinge aus St. Petersburg könnten dank der Gasprom-Millionen bald die russische Liga dominieren. Advocaat ließ keinen Zweifel an der symbolischen Tragweite von Zenits Sieg: „Wladimir Putin hat mich gerade angerufen. Er hat gesagt, ich hätte Großes für Russland geleistet. Ich habe mich bedankt und ‚Sie auch‘ gesagt.“