: Im Osten viel Neues
Vogelbeersträucher und Gemütlichkeitshöllen: In Cottbus, einer schönen, dunklen und sorbischen Stadt, ist das 14. Festival des osteuropäischen Films zu Ende gegangen. Viele der gezeigten Filme hatten etwas, wovon der deutsche Film nur träumen kann
VON JÖRG SUNDERMEIER
Man weiß nicht viel über Cottbus in Berlin, in Kreuzberg schreibt es die BVG sogar falsch an den U-Bahnhof. „Was machst du denn in Cottbus“, fragen Bekannte, dass das 14. Festival des osteuropäischen Films läuft, interessiert sie nicht. Cottbus klingt abschreckend und auch die Berühmtheit der lokalen Fußballmannschaft erweckt kein Vertrauen, denn ihre Fans sind nicht für Schönheit und Intelligenz bekannt, sondern für ihre Fäuste und raue, alkoholzerfressene Kehlen.
Als ich Ende letzter Woche in Cottbus eintraf, empfing mich ein herzlos gestalteter Bahnhof, der Bahnhofsvorplatz dann mit einem immergleich öden Radisson-SAS-Hotelbau verbreitete sofort den widerlichen Eindruck einer Braunschweiger oder Kasseler Innenstadt. Cottbus ist also, dachte ich mir, keine elende, ein bisschen jedoch von der Aura der langsamen Verrottung profitierende Oststadt, sondern einfach nur eine deutsche Stadt, geputzt, doch ohne Eleganz. Da ich aus der Gegend von Paderborn komme, war ich nicht erschreckt, und stürzte mich Richtung Zentrum.
Und sieh da, ich hatte mich geirrt, Cottbus ist eine feine, vor allem aber beinahe osteuropäische Stadt. Auch in der Cottbusser Altstadt mangelt es nicht an Erbärmlichem, eine Stadtmauer ist pittoresk angelegt, die Galeria Kaufhof ein ungepflegter Bau, eines dieser herrlichen sternförmigen Betongebäude aus der DDR vergammelt davor. Überall dort, wo die DDR sich Mühe gab, in den Betonlandschaften wenigstens mit Parkanlagen oder Cafés ein bisschen das Lebensgefühl zu verbessern, ist versucht worden, auch dagegen zu kämpfen. Die Shopping Malls, die heute ja in jede Stadt hineingebrochen werden, tun ihr Übriges.
Doch dann ist Cottbus auf eine fast eigentümliche Weise schön dunkel, um 18 Uhr sind die meisten Läden bereits geschlossen, die Gehwege sind kaum beleuchtet, es ist November, kalt, man sieht seinen Atem vor sich. Die Straßenzüge erinnern einen manchmal an Breslau oder Belgrad, wie sie so dunkel und doch herausgeputzt daliegen, und wirklich, da Cottbus im Gebiet der Sorben, die auch Spreewälder Serben genannt werden, liegt, muss alles nochmals auf Sorbisch geschrieben werden – man ist also nicht mehr ganz in Deutschland.
In der alten, von der Stadt so offensichtlich gar nicht verschämt verleugneten DDR-Stadthalle dreht sich alles ums Filmfest. Im Pressebüro wird man freundlich empfangen, die Stadt, das Land Brandenburg und diverse Botschaften tragen Sorge dafür, dass dieses Filmfest Aufmerksamkeit erregt. Doch obschon hier die Creme des osteuropäischen Filmes zu sehen ist, haben sich zwar viele Journalisten aus dem Ausland angesagt, von den großen deutschen Tageszeitungen findet man jedoch kaum jemanden auf den Gästelisten, auch die meisten Rundfunkanstalten schweigen lieber. Der Osten ist halt etwas weniger interessant als der Westen, das gilt es zu wissen, selbst dann, wenn man es nicht glaubt.
Ich selbst bin auch viel zu spät auf dieses Filmfest gefahren, jetzt habe ich 24 Stunden, um mir einen Eindruck zu verschaffen. Der erste Film, den ich mir ansehe, beginnt grandios, ein kroatischer Film aus und über Split. Wie die Kamera durch die engen Gassen der Stadt jagt, ist beeindruckend. Doch das, was Regisseur Arsen Anton Ostoji mit „Eine wunderbare Nacht in Split“ zeigen wollte, nämlich „the dark side of this beautiful city“, ist ihm nicht gelungen – die Drogenbilder sind zu klischeesiert, die Vorstellungen von Gewalt, Alkohol und Drogen zu verfestigt, als das ihm hier etwas Neues gelungen wäre.
Der zweite Film, „Amerika“, den der tschechische Regisseur Vladimír Michálek nach Franz Kafka bereits 1996 gedreht hat, leidet – obschon mit großen Bildeinfällen ausgestattet, ebenfalls unter seinem Pathos und einer tendenziellen Antimodernität. „Amerika“ lief in den Cottbusser Kammerspielen und man konnte gerade in dem DDR-Bau, den man etwas verlegen zu schmücken versucht hat, sehen, dass der Versuch, Behaglichkeit gegen die Moderne zu setzen, ein Fehlversuch ist. „Amerika“ endet mit einer glücklichen Fahrt aufs weite Land – das ist Kitsch, ebenso wie die Vogelbeersträucher, die man verzweifelt um die Betonträger vorm Eingang der Kammerspiele gewunden hat. Fehlt dem osteuropäischen Film etwa der Realismus, seit mit dem Sozialismus nicht nur eine Utopie, sondern auch eine Ästhetik weggebrochen ist? Die beiden Filme drängen den Eindruck auf.
Ich gehe zu einem Businesstreffen, „Connecting Cottbus“ heißt es, es findet im örtlichen Brauhaus statt. Ein merkwürdiger Bau – der Einlass durch ein liebloses Betongebäude, dann kommt man in eine alte Stadtvilla, in der allerdings die Wirte Wert darauf gelegt haben, alles so sehr mit einem Holz, das wie Plastik aussieht, in eine Gemütlichkeit zu zwingen, dass es fast so aussieht wie die Parodie eines „Bayernstübls“ in NY.
Offensichtlich hat der osteuropäische Charakter, den ich der Reststadt unterstelle, nicht in diesen Laden hineinreichen können, selbst die holzfurnierverkleideten Zigarettenautomaten scheinen hier den Angriff des Ostens abzuwehren. Darin finden sich dann die Filmschaffenden und ihr Anhang, es ist nach Mitternacht und die Getränke sind nicht mehr umsonst, die Stimmung sinkt. Einen Absacker erlaube ich mir daher woanders, in der Altstadt, in einer „jungen“ Kneipe, unter das Bierglas wird eine Serviette gelegt, denn man will „fein“ sein. Verrückt. Draußen wartet die dunkle sorbische Stadt.
Der nächste Tag zeigt sich schön. Bereits der erste Film, der slowenische Film „Vorstadt“, ist ein guter Kommentar zu jener Gemütlichkeitshölle, die einige Bewohner von Cottbus gegen die Schönheit ihrer Stadt errichten. Dass der Film in Slowenien nicht gemocht wurde, berichtet der Produzent, erkläre sich von selbst. Und tatsächlich, die im Film präsentierten Männer sind sexistisch, xenophob, nationalistisch und dumpf, dennoch verfällt der Film nicht in Stereotype, sondern zeigt diese Menschen als gebrochene – verteidigt sie allerdings nicht dabei.
Der nächste Film, der serbisch-montenegrinische „Wenn ich groß bin, werde ich wie Känguruh“ über junge Männer in Belgrad, ist so wunderbar, dass ich Lachkrämpfe kriege. Nichts da also mit dem Verlust der Themen durch den Verlust des Sozialismus, die gestrige These war falsch. Diese beiden Filme haben etwas, wovon der deutsche Film nicht einmal träumt – sie behandeln ihre Protagonisten respektvoll und belassen ihnen ihre Würde, indem sie ohne Pathos und Albernheit auskommen.
Dann muss ich los. Ich verabschiede mich von der Stadt, doch diesmal bin ich artiger als bei der Ankunft, weil ich Cottbus lieben gelernt habe, in wenigen Stunden. Zumindest für die Dauer eines Filmfestes lässt es sich hier sehr gut aushalten.