Im Kino: Witze mit wichsender Witwe
Wer sich bei Sam Garbarskis Feelgood-Movie "Irina Palm" mit Marianne Faithfull gut amüsieren möchte, sollte eine gewisse Spießigkeit besitzen.
E ine ältere Frau aus der Londoner Vorstadt, gespielt von der 60 Jahre alten Sängerin Marianne Faithfull, findet sich selbst und das Glück, indem sie sex worker wird. Die Frau aus der Vorstadt heißt Maggie, ist seit langer Zeit Witwe und dabei so klein und blass und ohne Reize, dass Marianne Faithfull viel Verstellungskunst darauf verwenden muss, sich in die Figur zu verwandeln. Es gelingt ihr erschreckend überzeugend. Doch weil Sam Garbarskis Film "Irina Palm" ein Feelgood-Movie sein will, darf es das Schicksal nicht allzu böse meinen. Bald leuchtet am Horizont ein Hoffnungsschimmer, rötlich-violett; Garbarski führt uns nach Soho, in den Londoner Rotlichtbezirk.
Es geht darum, eine größere Summe Geld aufzutreiben. Der Enkelsohn ist schwer krank, die rettende Operation nur in einer australischen Klinik möglich. Von großmütterlicher Liebe durchströmt, streift die graue Maggie durch die große Stadt. An einem Lokal mit dem Zettel "Hostess wanted" macht sie Halt. Wir wissen sofort, was für ein Ort das ist, Maggie weiß es nicht. So funktionieren die Pointen in "Irina Palm". Der Regisseur weiß etwas, wir wissen etwas, Maggie weiß es nicht, und aus der Naivität der Witwe purzeln uns die Witze in den Schoß. Noch mehr Witze purzeln durch das Loch in der Wand von Maggies zukünftigem Arbeitsplatz. Dieses Loch - der Terminus technicus lautet glory hole - dient dazu, dass der jenseits der Wand sich befindende Kunde seinen Schwanz hindurchsteckt, damit die Hostess auf dieser Seite der Wand daran rubbelt und reibt. Die Kamera bleibt dabei meistens auf dieser Seite der Wand und gibt immer schön Acht, dass man vom Schwanz nichts sieht.
Maggie zögert im Angesicht der neuen Aufgabe. Dann zieht sie ihre Kittelschürze straff, stellt Teewasser auf und tut, was zu tun ist. Mit Erfolg. Maggie versteht sich auf hand jobs wie niemand sonst. Vor ihrer Kabine bilden sich lange Schlangen. Die Kollegin verliert ihre freundschaftlichen Gefühle für die "wichsende Witwe", weil sie selbst nichts mehr zu tun hat, und Maggie - inzwischen trägt sie den Künstlernamen Irina Palm - muss von der rechten auf die linke Hand wechseln, weil sie an einem "Penisarm" erkrankt.
So erzählt "Irina Palm" im Ambiente des Sex Clubs vom Aufblühen einer vom Leben Übergangenen, vom Ausbruch aus der Enge der Vorstadt und aus den rigiden Moralvorstellungen der eigenen Familie: Erfüllung durch hand jobs, Emanzipation durch sex work. Gelacht werden darf dabei auch. Am Ende wartet sogar, man ahnt es früh, ein knautschiger Prinz auf Maggie.
Das todgeweihte Enkelkind gerät dabei aus dem Blick, dafür darf der eigene Sohn eine erstklassige Mackervorstellung hinlegen: Meine Mutter eine Hure! Ich raste aus! Wir wissen es besser und denken: Na so ein Spießer. Dabei funktioniert "Irina Palm" nur in dem Maße, in dem man den Vorstellungen des Sohnes folgt, jenen Vorstellungen, die besagen, dass ältere Frauen keine Sexualität und keine Sexyness haben, dass man, um hand jobs zu machen, jung und knackig sein muss, dass es mächtig verwegen ist, einen Spielfilm zu machen, der sich des glory holes annimmt. Wer all dies glaubt, wird seinen Spaß haben an "Irina Palm". Wer nicht, hat nichts zu lachen.
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