Im Kalifornien der Siebzigerjahre: Wilder ist die Wirklichkeit
Ein neues, reich bebildertes Buch erzählt die unglaubliche Geschichte von Father Yod und der Kommune Brotherhood of Source.
Mythos gegen Realität, das ist wie Technicolor gegen Schwarz-Weiß. Neben grell ausgeschmückte Legenden wirkt Wirklichkeit fade und blass. Ein Rauschbart-Riese, der sich Father Yod nennt, am Tage ein vegetarisches Restaurant am Sunset Strip in Los Angeles leitet, bei Nacht mit seinen langhaarigen Jüngern die obskursten Freak-Out-Platten der Siebziger aufnimmt und schließlich bei einem Drachenflugunfall auf Hawaii ums Leben kommt? Was sollte diese wilden Gerüchte toppen, die sich seit den Achtzigerjahren Sammler verschütteter Psychedelic-Platten zuraunten?
Dabei ist die Wirklichkeit fast wilder. In „The Source – The Untold Story of Father Yod, Ya Ho Wa 13 and the Source Family“ beschreibt Isis Aquarius, eine von Yods 13 „spiritual wives“, Entstehen und Ende der glamourösesten der zahlreichen Siebzigerjahre-Kommunen. Eine zeitweise 140-köpfige Familie, deren Mitglieder in weißen Gewändern und mit wallendem Haar wie ein frühchristlicher Stamm wirkten, Rohkost an Frank Zappa und John Lennon verkauften und einem älteren Mann folgten, der für sie die Reinkarnation von Gott war. Dieses Buch hilft eine Zeit zu verstehen, in der so etwas möglich war.
Es gibt viele Grabsteine für die Hippiebewegung, aber wenige Zweifel am Zeitpunkt des Dahinscheidens: 1969 waren die Blumen schon welk, 1970 verblüht. Die andere Welt, die ein paar Jahre möglich schien, war weder gewaltfrei noch kapitalismusresistent – und LSD-Trips auf Dauer auch nicht gesund. Für die Nachwachsenden war das so, als hätte man sie auf dem Weg zum Paradies alleine im dunklen Wald stehen gelassen. Viele suchten etwas, was es nicht mehr gab. Und fanden stattdessen jemanden wie Jim Baker.
Ende der Sechziger suchte auch Baker, ein kräftiger und hochgewachsener Mann von Mitte 40, nach einer neuen Wahrheit. Dekorierter Ex-Marine und Judomeister zu sein, genügten ihm nicht mehr. Er entdeckte neben dem Vegetarismus auch Yogi Bhajan und reichlich östliche Heilslehren, verschmolz alles zu einer eklektischen Melange, die das „Eternal Now“, lange Haare und die Ankunft des „Goldenen Zeitalters“ versprach. Ab Mai 1970 predigte er dies und viel mehr jeden Morgen ab fünf Uhr auf dem Parkplatz hinter seinem Source Restaurant am Sunset Strip, und tatsächlich hörten immer mehr junge Leute zu. Viele waren so fasziniert, dass sie wiederkamen, einige begannen, Baker mit Father anzusprechen, im Restaurant zu arbeiten und dahinter zu wohnen.
Was genau Father Yod, wie sich Baker bald selbst nannte, zu einem so charismatischen Menschen machte, was genau die Themen seiner mehrstündigen „Vorlesungen“ und Mediationstreffen waren, das wird auf den gut 250 Seiten nur nebulös umschrieben. Vielleicht auch, weil die meisten der im Buch zu Wort kommenden Mitglieder der sich um Father Yod gruppierenden „Source-Family“, einschließlich der Autorin, 20 Jahre jünger als Baker waren. Viele sahen in ihm weniger einen spirituellen als einen neuen leiblichen Vater. Was nicht heißt, dass Sex unwichtig gewesen wäre. Einfacher zu erklären ist der Medienerfolg der Source Family: Es gab damals in ganz Kalifornien vermutlich keine attraktivere Kommune, und dieses Buch belegt das mit einem sehr großzügigen Bildanteil.
Doch Yod war nicht nur in Stilfragen weit vorne, sondern auch ein erfolgreicher Geschäftsmann. Das Source Restaurant entwickelte sich zu einem lukrativen Familienunternehmen. Von Julie Christie über Bob Dylan bis zu Jack Nicholson aßen hier durchreisende und ansässige Prominente Bio-Rohkostsalate und „organic sandwiches“. Der Anblick der jungen, langhaarigen Männer und Frauen in ihren weißen Roben in Kombination mit den vegetarischen „health food“-Speisen sorgte dafür, dass das Source angeblich mehr Profit pro Quadratmeter machte als jedes andere Restaurant in den USA Anfang der Siebziger. Jim Baker, der immer mehr in seiner gottgleichen Father-Yod-Rolle aufging, kaufte sich selbst einen weißen Rolls-Royce, seinen Töchtern und Söhnen leaste er VW-Busse, und die ganze Familie zog in eine riesige Villa mit Pool in den Bergen Hollywoods.
Eine Mischung aus Establishment und Subkultur, die Paris Match damals eine Titelgeschichte wert war. Als Überschrift wählte die französische Zeitschrift „Les millionaire hippies des Los Angeles“. Father Yod hatte nichts dagegen. „Der Dollarschein ist das mächtigste Werkzeug der Welt“, sagte er. „Er ist magische grüne Energie, die augenblicklich alles erschaffen kann.“ In der Zwischenwelt der frühen Siebziger konnte man zur gleichen Zeit Post-Hippie-Guru und Kapitalist sein. Plattenfirmenbesitzer natürlich sowieso.
Manchmal tauschte Father Yod die morgendliche Fünf-Uhr-Vorlesung gegen eine Jamsession, rief „Lets play some music“, inhalierte etwas „sacred herb“ und stellte sich an die Kesselpauke. Dann zwirbelten die Musikersöhne der Familie, Yah Ho Wha 13 genannt, psychedelische Improvisationen zu den „tiefen Weisheiten“, die Yod im dröhnenden Bariton verkündete. Die Bandmaschine lief immer mit. Was das familieneigene Higher Key Label davon als Platte veröffentlichte, belegt das alte Problem mit Improvisationen: Die meisten davon sind für den Konsumenten nicht annähernd so großartig wie für die Produzenten. Ein paar der neun Ya-Ho-Wha-13-LPs aber entwickeln tatsächlich einen meditativen Sog, der mit zu den besten im Sixties-Sound-Kanon gehört. Die dem Buch beiliegende CD gibt mit einem bislang nie gehörten Konzertausschnitt aus Berkeley einen Eindruck davon.
Es lief also alles gut für Yod und die Familie, bis der Weltuntergang alles kaputtmachte. Nach Yods Lehre musste vor Beginn des „Goldenen Zeitalters“ noch ein großer Krieg überwunden werden. Besser also, man zog nach Hawaii, wo die Berge hoch sind und der Kontinent fern ist. Leider war es dort vorbei mit der lukrativen Gastronomie, und die Einwohner fanden, es gebe schon genug Hippies auf ihrer Insel. Das Leben wurde beschwerlich, die Familie kleiner und Yod nachdenklicher. Aber nicht so nachdenklich, dass er die Vorstellung abwegig fand, die Kunst des Segelfliegens würde sich einem Erleuchteten wie ihm sicher gleich beim ersten Mal erschließen. Der Jungfernflug am 25. August 1975 dauerte zehn Minuten und endete mit einer Bruchlandung. Ein paar Stunden später verließ Father Yod seinen Körper. Zwei Jahre später war auch die Brotherhood of the Source tot.
Natürlich ist dieses Buch nicht besonders kritisch. Isis Aquarian verheimlicht weder, dass sie sich körperlich zu Father Yod hingezogen fühlte, noch dass sie einmal in Trance seine Füße wusch und mit ihren Haaren trocknete. Aber sie lässt auch Menschen wie Magus zu Wort kommen, einen der wichtigsten Söhne Father Yods, der die Family jedoch verließ. Warum er überhaupt mitmachte? „Weil ich das Gefühl hatte, dass es die beste Show in der ganzen Stadt war.“
Father Yod wäre enttäuscht, wenn er heute erleben müsste, dass seine Family drei Jahrzehnte nach ihrem Zerbrechen hauptsächlich als Stilvorlage gesehen wird. Nach Erscheinen dieses Buchs mit all seinen bislang unbekannten Fotos lassen sich derzeit angesagte amerikanische Designer wie Susan Cianciolo und Romulus von Stezelberger vom Jesus-Look Father Yods inspirieren. Und der Weird-Folk-Musiker Devendra Banhart, seit einiger Zeit der vermutlich prominenteste Nachwuchshippie, schwärmt weniger vom polygamen Beziehungsgeflecht der Family als vielmehr von ihren guten Inszenierungen: „Die Source Family hatte mit Abstand die besten Albumcover.“
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