■ Im Interview weist Grünen-Matador Joschka Fischer weitere Spekulationen über Schwarz-Grün zurück: „Daran reizt mich überhaupt nichts“
taz: Herr Fischer, die Legislaturperiode hat für die Bündnisgrünen interessant begonnen: erst das Arrangement mit Wolfgang Schäuble bei der Präsidiumswahl, dann die schwarz-grünen Koalitionen in Nordrhein-Westfalen, dann ein grüner Oppositionsführer, der dem Kanzler die Unterstützung bei sinnvollen politischen Initiativen verspricht. Was reizt Sie eigentlich an Schwarz-Grün?
Joschka Fischer: Überhaupt nichts. Allein diese Aneinanderreihung zeigt schon, daß die Spekulationen abwegig sind. Der zeitliche Zusammenfall zwischen den kommunalen Koalitionsbildungen in Nordrhein-Westfalen und der Zusage der CDU, die Wahl von Antje Vollmer zur Vizepräsidentin zu unterstützen, hat überhaupt nichts miteinander zu tun. Das ist ein ganz und gar zufälliger Zusammenhang. Natürlich hätte ich mir gewünscht, die Wahl von Antje Vollmer zur Vizepräsidentin auf der Grundlage eines SPD-Angebots zu erreichen.
Früher hätten eingefleischte Berührungsängste ein Zusammengehen mit der CDU unmöglich gemacht.
Die Wahl mit Hilfe der Union war eine rein instrumentelle Entscheidung. Mit Strategie- oder Programmwechsel hat das nichts zu tun. Für schwarz-grüne Koalitionen auf Landes- oder auf Bundesebene reicht meine Vorstellungskraft nicht aus. Es gibt keine ausreichende programmatische Schnittmenge. Das würde die CDU zerreißen und uns kaputtmachen.
Also Ihnen wird es nach den ersten schwarz-grünen Lockerungsübungen jetzt schon ein wenig zuviel?
Von mir werden Sie keine einzige positive Äußerung zu Schwarz-Grün finden. Wenn Herr Kohl Atom-Ausstiegspolitik betreibt, wenn er die ökologische Steuerreform machen will, wir werden dann gegen unsere eigenen Programme nicht streiten. Aber das ist Utopie.
Erschrecken die Grünen jetzt darüber, daß ihnen die schwarz- grünen Einstiegssignale erkennbar viel Spaß gemacht haben?
Das ist keine Frage von Spaß. Aber Sie haben sich im Bundestag augenscheinlich amüsiert, mit der Union gegen die SPD stimmen zu können.
Ich will hier nicht so tun, als ob sich die SPD uns gegenüber wirklich so verhalten dürfte wie ein verstoßener Liebhaber. Herr Scharping hat den Begriff Rot-Grün nie in den Mund genommen und Herr Verheugen hat im Wahlkampf erklärt, von unseren Vorstellungen werde man in einem gemeinsamen Regierungsprogramm nichts wiederfinden. So behandelt ein Großgrundbesitzer Wanderarbeiter. Daß das jetzt etwas aufgebrochen ist, das ist sicher zu begrüßen.
Also nur ein bißchen Schadenfreude gegenüber der SPD? Keine Rollenveränderung für die Grünen?
Natürlich ist die schwarz-grüne Überbau-Debatte Ausdruck der gewandelten Rolle, in die die Grünen als dritte Kraft, bei gleichzeitigem Dahinsinken der FDP, geraten sind. Das ist für uns nicht nur angenehm, sondern auch eine neue Herausforderung. Man kann sich da in sehr vielen Fallstricken verheddern. Deswegen ist es dringend geboten, daß sich die Grünen ein Bewußtsein verschaffen, in welcher strategischen Lage sie sich befinden.
Das eigentliche Problem ist, daß wir in der heißen Wahlkampfphase eingeklemmt waren zwischen der SPD-Troika und einer sich hochmodern verkaufenden PDS. Die PDS will uns als dritte Kraft ablösen. Die Schlacht wird geführt in der Frage: Ausdehnung der PDS nach Westen und Zukunft der Grünen im Osten. Das ist die Frage, nicht Schwarz-Grün.
In der Bewerbung chancenreicher KandidatInnen für die Parteispitze findet sich die prinzipielle Ablehnung schwarz-grüner Zusammenarbeit. Müssen die Grünen ihr Verhältnis zur Union jetzt prinzipiell klären, vielleicht mit einem Unvereinbarkeitsbeschluß?
Ich finde, man sollte die Debatte mit aller Gelassenheit auf dem Boden der Realitäten führen. Unsere Partei hat nur eine Chance zu gestalten, wenn wir in der Frage unserer inhaltlichen Glaubwürdigkeit niemals wackeln. Wir stehen für eine ökologische und soziale Reformpolitik und nach Lage der Programme geht das gegenwärtig nur mit der SPD. Das ist für mich der entscheidende Maßstab. Eine CDU, mit der wir diese Linie durchhalten können, die gibt es nicht. Wir werden nie zur Rolle der FDP taugen. Als Machtbeschaffungsfaktor haben wir keine Chance. Es gibt keine Äquidistanz zu SPD und CDU.
Im Vorfeld des Parteitages ist die Forderung debattiert worden, die Partei müßte wieder stärker als Gegengewicht zur realpolitisch dominierten Bundestagsfraktion agieren?
Wir sind uns in der Fraktion einig, daß wir alles tun werden, um eine Konfrontation zwischen Fraktion und Parteivorstand überhaupt nicht aufkommen zu lassen. Alle wichtigen Themen und die strategischen Fragestellungen werden mit dem neuen Bundesvorstand unverzüglich gemeinsam angegangen. Wir werden alles tun, damit es nicht zu dieser Gegengewichtsthese kommt, sondern zur Kooperation. Das Geheimnis des bündnisgrünen Erfolges ist die Integration, keine Nivellierung, sondern die gemeinsame Formulierung von Konsens.
Braucht die Partei nach den schweren Wahlniederlagen in den neuen Ländern einen Sprecher oder eine Sprecherin aus dem Osten?
Dazu habe ich eine persönliche Meinung, die ich auf dem Parteitag als Delegierter zu artikulieren habe.
Ist für die Fortsetzung des Integrationskurses die Realo-Links- Verteilung an der Parteispitze wichtiger als die Ost-West-Quote?
Der Aufbau der Ostverbände erfordert eine gemeinsame Anstrengung der Gesamtpartei. Wir brauchen einen starken Vorstand. Wie der zusammengesetzt sein wird, ist Sache des Parteitages.
Der Osten hat eine Umzugsdebatte der Parteizentrale nach Berlin angeregt. Im Westen stößt dieser Vorschlag bislang auf wenig Gegenliebe. Macht die Parteizentrale in Berlin vor dem Umzug von Parlament und Regierung Sinn?
Auch diese Debatte taugt nicht zur Konfrontation. Es gibt berechtigte Einwände und Forderungen. Ein kluger Kompromiß könnte sein, den nächsten Bundestagswahlkampf 1998 bereits von Berlin aus zu führen. Dafür müßte der neue Bundesvorstand bis zum nächsten Herbst ein Konzept erarbeiten.
Könnte es sein, daß in der Partei die Meinung wächst, Joschka Fischer habe vom Integrationskurs der Partei zu viel profitiert?
Früher mußte ich mir anhören, die Realos würden zu wenig davon profitieren. Ich halte diese Sicht für abwegig. Mit Vorteilen für Fischer hat das nichts zu tun. Die Alternative hieße Rückfall in das Flügel- Hickhack und in eine schlimme Vergangenheit.
Daß es bei der Sprecherwahl in Potsdam doch zur Polarisierung kommt, daß Krista Sager als Reala-Kandidatin scheitern könnte, glauben Sie nicht?
Eine Polarisierung wäre Ausdruck des alten Denkens, des Flügelstreites, und die Personalfragen entscheidet der Parteitag. Interview: Matthias Geis
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen