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Im „Grünen Baum“ wird afrikanisch gekocht

In Hessen verwalten 32 Asylbewerber ihr Wohnheim und ihren Alltag selbst. Ein von Deutschen gegründeter Verein macht das möglich, und ein Dorf im Spessart hält das aus  ■ Aus Biebergemünd-Lützel Heide Platen

Chid Chamberlain, der stämmige, kugelrunde Rechtsanwalt aus dem subtropischen Westafrika, ist in die Einöde geraten: Hinter dem letzten Haus des osthessischen Dörfchens hört die Welt auf. Auf den Weiden grasen Galloways. Sonst nur Spessarthügel und Natur. Ausgerechnet hier fühlt sich der Asylbewerber Chamberlain seinem Ziel näher als anderswo: der „einen“, friedlichen Welt. Für sie kann er sich wortreich begeistern. Und sie beginnt für ihn hier, im ehemaligen Ausflugslokal „Grüner Baum“ von Biebergemünd-Lützel, heute ein Asylbewerberheim.

Es ist das zweite selbstverwaltete Asylheim in der Bundesrepublik und ist im Mai 1997 eröffnet worden. Das Haus wird von einem fünfköpfigen Team der „Zukunftswerkstatt: Weltpartnerschaft“ verwaltet. Der 1992 gegründete Verein eröffnete 1996 auch das erste selbstverwaltete Heim in der nahe gelegenen Gemeinde Aufenau.

Chamberlain, der vor viereinhalb Jahren aus der liberianischen Hauptstadt Monrovia nach Deutschland flüchtete, sitzt im fünfköpfigen Leitungsgremium des Heims, das sie „Global Village“ nennen. Gemeinsam mit dem stillen Michael Kiwanuka aus Uganda und dem unbeschwerten Sunday Mukete Epie aus Kamerun, der im dörflichen Fußballverein kickt. Und den beiden Deutschen Anke Sielemann und Wolfgang Lieberknecht. Der 45jährige Lieberknecht ist der Motor der Unternehmung, ein „Macher“, ein Workaholic, dem seine Erfahrungen eigentlich längst die Flügel auf ein realistisches Maß hätten stutzen müssen. Doch seine afrikanischen Kollegen urteilen trocken: „Der will immer das Maximum.“

Der Macher selbst meint, er sei ruhiger geworden nach dem Rückschlag, den der Verein 1996 verkraften mußte. Damals hatte er mit Unterstützung Prominenter 100.000 Mark für den Kauf eines eigenen Hauses gesammelt, in Naumburg sollte es sein, ein Schloß. „Aber“, sagt Lieberknecht heute, „das war für uns viel zu teuer und zu groß.“ Spender mußten wieder ausbezahlt werden. Der Rest des Geldes wurde teils in den Neuanfang gesteckt, teils auf ein Sperrkonto eingezahlt. Der erste Versuch, selbst Hausherr eines Asylheims zu werden, endete „mit einem Riesenstreit“.

Der zweite Versuch war das Heim im nahe gelegenen Aufenau, alles etliche Nummern kleiner und streckenweise „ein Horror“. Die erste Gruppe von Asylbewerbern rebellierte gegen die Leitung. Lieberknecht: „Die haben uns nicht mehr geglaubt.“ Mittlerweile läuft sowohl in Aufenau wie in Biebergemünd-Lützel vieles: Deutschunterricht, Computerkurse, Seminare und Erwachsenenbildung in Hessen und Thüringen. „Global Village“ ist nicht nur Wohnheim, sondern auch Tagungszentrum, die Asylbewerber bieten die Veranstaltungen selbst an.

Dem winzigen Büro ist das nur bedingt anzusehen: Papierberge überall, dazwischen Tassen, unter dem Tisch spielen Kinder und applizieren Bauklötzchen und Bonbonpapier zwischen die Aktenordner. Mittags sitzt Lieberknecht, Jeans und Finger tintenbekleckst, im Saal des ehemaligen Landgasthauses vor einem schlaraffenlandgroßen Berg Reis. Obenauf türmen sich gehacktes Gemüse und Hühnerbeine. Die Küche, in deren Kasse jeder einen kleinen Betrag einzahlt, ist fest in afrikanischer Hand.

Seit er so bekocht wird, hat der ehemalige Schriftsetzer, Fabrikarbeiter und Lokaljournalist ordentlich zugenommen. Die Zeiten, in denen er sich – immerhin Sohn eines Möbelfabrikbesitzers – im Dienste der Weltrevolution aus den kapitalistischen Betrieben werfen ließ, sind vorbei. Sie haben ihn, sagt er heute, weniger geprägt als seine protestantische Großmutter mit ihren moralischen Bibelgeschichten. Die Zeiten allerdings, in denen er Asylbewerber, „die Opfer“, stets für „die besseren Menschen“ hielt, sind auch vorbei.

Das hat ihm das „Global Village“ ausgetrieben, dessen Mitbegründer er wurde nach seinem Engagement für Hilfstransporte in die ehemalige UdSSR. Das lief irgendwann ohne ihn. In den leerstehenden US-Kasernen im hessischen Gelnhausen waren inzwischen Asylbewerber einquartiert worden: Lieberknecht kümmerte sich. Er organisierte mit den Bewohnern zusammen eine Zeitung und Veranstaltungen über Fluchtursachen.

So kam er zur Arbeit mit Flüchtlingen und schließlich zu der Idee, ihnen die Gestaltung ihres Wohnumfeldes und ihres Alltags möglichst weitgehend selbst zu überlassen. Ein Paradies ist das „Global Village“ jedoch nicht: Auch hier müssen sich 32 Menschen in winzigen Zimmern auf den gesetzlich vorgeschriebenen sechs Quadratmetern pro Person zusammenquetschen: „Mehr Lebensqualität ist nicht drin bei einem Tagessatz von unter 14 Mark pro Person“, sagt Lieberknecht. In jedem Raum unter den Dachschrägen stehen drei Betten, Fußende an Fußende, es ist kaum Platz für Schränke und Koffer. Daß das Geld so knapp zugeteilt wird, wollen viele Asylbewerber nicht glauben und lasten die Enge dem Führungsteam an. Das weiß auch Chid Chamberlain: „Die haben eine wahnsinnige Erwartungshaltung.“ Die werde schon zu Hause vor allem von den US-amerikanischen Fernsehserien und wohlhabenden Touristen geprägt: „Ich selbst“, lacht Chamberlain, „habe hier zum ersten Mal einen weißen Mann bei der Arbeit schwitzen sehen.“ Das war ein Lastwagenfahrer am Straßenrand, der Kisten schleppte.

Die Asylbewerber, so das Credo der „Zukunftswerkstatt“, sollen nicht jahrelang untätig auf ihre Abschiebung warten. Sie sollen helfen, über Fluchtursachen in ihren Ländern aufzuklären, sie zu beseitigen. Sie können dabei Qualifikationen erwerben. Und, wenn man ihnen nur zuhörte, könnten sie wie ein Frühwarnsystem wirken. So hätten politische Flüchtlinge, erzählt Chamberlain, schon vor Jahren vor einer Zuspitzung der Konflikte in Kenia gewarnt. Auch über das verschärfte soziale Klima in Deutschland klären die informierten Asylbewerber von „Global Village“ andere auf: „Viele wissen das gar nicht.“

Mittlerweile wird in dem 200-Einwohner-Ort – nach anfänglicher Irritation – auch die Trommlergruppe „Global Villagers“ toleriert, die zu kleinen Konzerten über die Dörfer tourt. Die Nachbarin, die das Haus vom Balkon aus gut im Blick hat, achtet streng darauf, daß die Fenster geputzt werden: „Das da muß aber noch!“ Dann darf auch getrommelt werden: „Das halten wir schon aus, wenn alles ordentlich ist und nicht überhand nimmt.“

Mit Aggressionen, so Lieberknecht, habe er bisher „nie von außen, nur von innen“ fertig werden müssen. Vor Feuer hat er besonders Angst. Immer wieder, wenn es Kontroversen gab, drohten Heimbewohner damit, das Haus anzuzünden. Das hat ihn besonders erschreckt, „daß das von denen kommt“. Mittlerweile aber habe sich der Verein das Vertrauen der Flüchtlinge erworben, „weil sie so vieles selber machen“.

Die Aufnahmeregeln sind streng, die Teilnahme an einem einwöchigen Seminar und ein Vorstellungsgespräch Voraussetzung. Schlüsselfragen gelten den Menschenrechten. Dabei werden keine parteipolitischen, wohl aber humanitäre Positionen abgefragt. Die Bewerber müssen außerdem in die Gruppe passen und Fähigkeiten haben, die im Haus gebraucht werden. Jeder Bewohner verpflichtet sich schriftlich zu einer Stunde Hausarbeit täglich. Das ist gerade bei jungen Männern schwer durchzusetzen. Aber „Toilettenputzen ist keine Verletzung der Menschenrechte“, sagt Lieberknecht.

Daß Asylbewerber aus anderen bundesdeutschen Heimen ins „Global Village“ wechseln können, heißt es im Vertrag, „ist ein Privileg, das der Zukunftswerkstatt vom Land Hessen gewährt wird unter der Erwartung, daß sich diese Menschen an der Entwicklung von Global Village beteiligen.“ Sie können das Heim nicht, zum Beispiel aus Thüringen oder Sachsen kommend, als Sprungbrett zur Schwarzarbeit in das Rhein-Main-Gebiet ausnutzen. Die ist, wie Drogendealerei und Handel mit Hehlerware, verboten. Lieberknecht: „Anfangs kamen da auch Leute, die Goldkettchen verkaufen wollten.“ Konflikte durchzustehen und Verbote durchzusetzen hat das Führungsteam inzwischen gelernt. Im Büro des ersten Heims in Aufenau war immerhin dreimal eingebrochen worden. Und Lieberknecht erinnert sich gut, wenn auch ungern an jenen Tutsi, „der sich nicht daran gewöhnen konnte, seinen großartigen Lebensstil aufzugeben“. Der Mann veruntreute Reisekosten und fälschte Abrechnungen.

Ja, das Geld ist knapp. Und nicht nur in den Taschen der Asylbewerber. In der zum Eß- und Fernsehsaal umfunktionierten Eingangshalle verstauben die Reste der Brauereiausstattung des einstigen Ausflugslokals, das Holzimitat an der Decke hängt durch. Die Couchgarnitur ist fleckig. Und die Toilettenspülung funktioniert auch nicht. Und wenn Wolfgang Lieberknecht dann noch aus dem Café eine Bullenhitze entgegenschlägt, weil wieder mal alle vergessen haben, die Heizung abzudrehen, bekommt er einen seiner Rückfälle: schraubt selbst an der Heizung, am Spülkasten, flitzt zwischendurch zum Telefon und x-mal durchs ganze Haus, will alles allein machen – und ärgert sich. Und kann doch auch dann das Träumen nicht lassen: Von einem Biergarten am Haus träumt er jetzt, wo es schneien könnte, und von einer starken Genossenschaft selbstverwalteter Asylheime.

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