Im Gespräch: Drei der fünf scheidenden Leiter des Bremer Theaters: "Es war eine Rückkehr zum Theater"
Nachdem Intendant Hans-Joachim Frey mit seichtem Glamour das Bremer Theater faktisch in die Insolvenz geritten hatte, übernahmen die Dramaturgen und der technische Direktor als gleichberechtigtes Team die Leitung des Vierspartenhauses. Warum das Modell künstlerisch erfolgreich und wirtschaftlich extrem sparsam war, erklären die drei scheidenden Fünftel-Intendanten. Und auch, warum es wohl keine Nachahmer finden wird
taz: Wer hat verhindert, dass Ihre Team-Intendanz länger als zwei Jahre dauert?
Hans-Georg Wegner: Niemand.
Patricia Stöckemann: Den Gedanken einer Verlängerung gab’s gar nicht: Wir hatten die klare Ansage, dass man uns nur für diesen Übergangszeitraum haben will, am liebsten sogar nur für ein Jahr. Aber das war uns zu kurz, weil man in einem Jahr gar nichts bewirken kann.
Also hatte die Politik Angst vor dem Modell?
Wegner: Wir ja auch!
53, Tanzautorin und Dramaturgin, 1993 Promotion in Hamburg über Walter Krafts "Lübecker Totentanz". Redakteurin von Tanzdrama (bis 2003) und Tanzjournal (bis 2004), seither Dramaturgin am Tanztheater Bremen, dort Leiterin seit 2007. Ab kommender Saison Leitende Tanzdramaturgin am Theater Osnabrück.
Stöckemann: Ach, wir hätten das schon ausprobiert. Die Vorgabe kam zustande, weil sich die Entscheidungsträger gefürchtet haben. Die konnten sich nicht vorstellen, dass so ein Fünfermodell funktioniert.
Wegner: Ja, das war extrem umstritten am Anfang. Aber letztlich war es Carmen Emigholz …
… die Kulturstaatsrätin …
Wegner: Die hat uns das Vertrauen geschenkt, dass wir das hinkriegen. Sie hat uns sehr unterstützt.
43, Dramaturg und Librettist, arbeitete von 2000 bis 2007 an der Sächsischen Staatsoper Dresden, von wo er nach Bremen wechselte - als Chef der Opern-Sparte, später als künstlerischer Geschäftsführer. Zur Saison 2013/14 wird er Operndirektor am Deutschen Nationaltheater Weimar.
Marcel Klett: Es gab auch nicht viele Vorgängermodelle, wo eine kollektive Theaterleitung funktioniert hätte.
Muss dafür ein Intendant das Haus vorher ruinieren?
Klett: Nein, ich glaube es geht auch so: Wir hatten allerdings einen kleinen Startvorteil – aber nicht, weil es vorher so schlimm war, sondern, weil wir die Strukturen des Hauses kannten: Wir konnten sofort loslegen …
… mit Dauerkonferenzen?
41, hat schon im Studium in Wuppertal als Dramaturg gearbeitet, später am Schauspiel Wuppertal, am Staatstheater Dresden und ab 2004 als einer von zwei künstlerischen Leitern am Theaterhaus Jena. Seit 2007/2008 am Schauspiel Bremen, seit 2009/2010 dort Leiter der Schauspielsparte.
Wegner: Im ersten Jahr war das irre viel, sodass wir dachten: Wir sitzen nur noch rum. Aber das hat sich ausgezahlt.
Stöckemann: Dieser gegenseitige Austausch war sehr positiv: Wir arbeiten ja alle an der Basis, wir betreuen die Produktionen, haben Einblicke in die Abteilungen und direkten Kontakt zu den KollegInnen dort.
Wegner: Man hat einfach mehr Antennen im Haus: Wenn ein Problem auftritt – einen von fünf erwischst du immer. Da musst du nicht durch ein Vorzimmer zu einem überarbeiteten Menschen vordringen.
Klett: Die Entscheidungsfindung hat jedenfalls nicht länger dadurch gedauert, dass fünf Leute sich verständigen mussten.
Also ist ein Team-Modell auch effizient?
Wegner: Die wirtschaftliche Seite spricht dafür.
Klett: Es ist vielleicht die effizienteste Art überhaupt, ein Mehrspartenhaus zu leiten.
Wegner: Miteinander zu reden, das Wissen der Abteilungen zu nutzen, auf die Werkstätten zu hören – das spart richtig Geld. Vergangenes Jahr lagen wir zirka 250.000 Euro über Plan, auch dieses Jahr sieht’s gut aus.
Infolge des Modells?
Klett: Es gab eine gegenseitige Kontrolle: Die Ideen, die jeder hatte, sind immer von vier Kollegen reflektiert worden.
Wegner: Wenn die Oper gekommen wäre und hätte zehn Prozent des Etats für ein riskantes Open-Air beansprucht, dann hätten die KollegInnen …
Klett: … die hätten gelacht, den Kopf geschüttelt und gestöhnt: Nicht schon wieder!
Wegner: Wir hatten nicht die Reserven, solche Dinger zu stemmen. Das war auch nicht die Aufgabe. Wir haben geplant nach der Maßgabe, was mit dem Hauspersonal geht, ohne Extrakosten.
Also kein Intendanten-Ego, keine teuren Events?
Stöckemann: Da muss man erst klären, was ein Event ist: Wir sind ja auch mit dem Deutschen Requiem in den Dom gegangen.
Wegner: Das war aber eine programmatische Entscheidung. Wir wollten die Stadt einbeziehen in die künstlerische Arbeit, auch bei „AltArmArbeitslos“, oder bei „Herzrasen“: Unser Ziel war, ganz ehrliches Stadttheater zu machen.
Ohne die alten Sparten-Eifersüchteleien?
Stöckemann: Ja. Es gab da mehr ein Denken fürs ganze Haus.
Worüber haben Sie denn in den zwei Jahren gestritten?
Klett: Untereinander? Höchstens wurde über Spieltermine diskutiert. Da war nichts, was nicht in 20 Minuten beigelegt gewesen wäre.
Nicht mal Männer-Frauen-Kämpfe?
Stöckemann: Doch, klar, Rebecca Hohmann …
… also die Leiterin der Jugendsparte …
Stöckemann: … und ich gegen den Rest.
Klett: Das waren ja noch dazu die Vertreterinnen der kleinen unterdrückten Sparten!
Stöckemann: Typisch!
Echt jetzt?
Stöckemann: Nein.
Wegner: Ich find’s toll, wenn Frauen dabei sind.
Klett: Seh ich auch so. Reine Männerteams können unangenehm sein. Was es gab, war natürlich: Wir alle gegen die Oper.
Wegner: Auch nicht.
Klett: Nein, das Team hat nur funktioniert, weil alle Sparten gleichberechtigt waren. Wir haben es geschafft, dass keiner das Gefühl hatte: Oh Gott, wir werden untergebuttert! Organisatorisch sind bessere Arbeitsbedingungen, als wir sie dieses Jahr hatten, an diesem Haus nicht herzustellen.
Also wird das Modell jetzt bundesweit kopiert?
Klett: Kaum.
Wieso?
Klett: Vor allem sind diejenigen, die das letztlich zu entscheiden haben, noch nicht so weit – also die Politiker. Bis die sagen: Wir glauben an so etwas wie ein Team – das wird noch dauern.
Weil FinanzpolitikerInnen gerne jemanden haben, der im Zweifel zu köpfen ist?
Klett: Hätten sie ja gehabt: Hans-Georg.
Der Arme! Warum?
Klett: Weil er das Pech hatte, die Position des künstlerischen Geschäftsführers zu erben. Die ist nicht teilbar.
Das Pech?
Klett: Es war kein geplanter Karriereschritt.
Stöckemann: Und es ist nicht von uns, sondern von der Stadt entschieden worden.
Überraschend ist: Sie waren ja schon beim Scheitern von Intendant Frey für Ihre Sparten zuständig: Wo gab’s die entscheidende Zäsur?
Wegner: In der Art, wie wir in der Stadt auftreten.
Klett: Es war nicht so, dass wir gesagt hätten: O toll, jetzt können wir bestimmte Projekte machen. Sondern: Wir konnten sie machen, ohne sie in Goldfolie einzupacken.
Stöckemann: Es war eine Rückkehr zum Theater.
Klett: Genau. Wir waren wieder ein Theater – das war der große Wechsel. Ich weiß nicht, was dieses Haus unter Frey war, aber offensichtlich ging es dabei nie um Kunst. Mit Glück ging’s darum, Eintrittskarten zu verkaufen, meistens aber nur darum, Anlässe dafür zu schaffen, dass bestimmte Leute miteinander im Foyer Sekt trinken können.
Damit stellen Sie aber Ihrer damaligen Arbeit auch ein schlechtes Zeugnis aus.
Klett: Nein. Das stelle ich der Außenwahrnehmung und der Bremer Presse aus: Ich weiß nicht, wie oft die in der Zeit eine Krise im Schauspiel ausgerufen hat. Klar sind uns auch da Sachen schief gegangen. Aber viele der Arbeiten von damals würden wir heute wieder so machen. Sie wurden nur nicht als Theater wahrgenommen, weil überstrahlt durch Äußerungen eines Intendanten.
Wegner: Man würde ja glauben, was auf der Bühne stattfindet, ist objektiv da, das kann jedes Publikum mitkriegen. Aber wenn das falsch kommuniziert wird, wenn die Aura nicht stimmt, fällt es dem Publikum sauschwer, die künstlerische Potenz der Aufführungen zu bemerken.
Stöckemann: Im Hinblick auf uns war es ja auch so: Dass wir als Fünferleitung da waren, merken die Leute erst jetzt, wo wir gehen.
Wegner: Naja, wir sind ja nicht vorgekommen. Dass hier etwas auf eine nicht-autoritäre, nicht-repräsentierende Art entstanden ist, hat das Publikum, glaube ich, mitbekommen.
Ist die historische Aura – also Hübner-Ära – dabei nicht noch eine zusätzliche Hypothek?
Klett: So viele Leute erinnern sich nicht mehr aktiv daran. Ab einem bestimmten Punkt ist die Tradition auch egal.
Egal?!
Klett: Was soll denn der arme Hans-Georg machen? Der geht nach Weimar, an das Haus, an dem Goethe Theaterdirektor war.
Wegner: Das ist für mich eine ganz, ganz große Belastung.
Aber Sie wechseln da nicht als Intendant hin?
Wegner: Als Operndirektor.
Können Sie sich überhaupt vorstellen, old style eine Intendanz zu übernehmen?
Stöckemann: Alleine?
Ja, als Chef und König.
Stöckemann: Da habe ich überhaupt kein Interesse dran.
Klett: Kommt drauf an, wo.
Wegner: Königsgleich aber echt nicht mehr. Die Erfahrung, dass im Gespräch sehr viel bessere Lösungen entstehen, als wenn man sich alleine Dinge ausdenkt, wird man immer mitnehmen. Wer irgendwo Intendant wird, würde sagen: Entscheidungen fallen in einem Team von – na: bis zu fünf Leuten.
„All’ diese Tage“: 12. 7., 19.30 Uhr; „Callas“: 13. 7., 19.30 Uhr; „Addio!“: 14. 7., 18 Uhr; „Nibelungen“: 20.30 Uhr; Abschiedsparty: 23 Uhr, alles Theater am Goetheplatz; „Dracula“: 12. + 13. 7., 20.30 Uhr, Open-Air, Theaterhof
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