in fußballland : Im Ernst!
CHRISTOPH BIERMANN über einen Doppelgänger, Doppelgängers Namensvetter und weitere Verwirrungen
Vor längerer Zeit habe ich an dieser Stelle einmal davon berichtet, wie angeblich schwer es für mich war, ein Bundesligatorhüter zu sein. Wenn ich mich damals an Spieltagen in der Nähe des Bochumer Ruhrstadions aufhielt, wurde ich nicht selten von entsetzten Fans des VfL gefragt: „Wie, spielst du heute nicht?“ Manchmal wurde der Ton mit Blick auf die Uhr und den nahenden Anstoß auch etwas schärfer: „Hömma, jetzt mach dich aber mal warm!“ Und nach den Spielen hielten mir Kinder so wortlos wie erwartungsvoll Stifte und Papier entgegen, denn sie wollten ein Autogramm von mir.
All das geschah aber nur in der Nähe des Ruhrstadions und eigentlich auch nur in einer Saison, denn meine kurzzeitige Prominenz verdankte ich dem Umstand, dass sich Thomas Ernst einen Stammplatz im Bochumer Tor erarbeitet hatte. Obwohl wir beide eine besondere Ähnlichkeit zwischen uns bestritten, wurde ich beharrlich für ihn gehalten, litt in Wirklichkeit aber nur dann darunter, wenn ich stellvertretend für ihn beleidigt wurde, weil es gerade eine Niederlage gesetzt hatte.
Ansonsten gibt es schlimmere Schicksale, als mit Thomas Ernst verwechselt zu werden. Man stelle sich nur vor, für Stefan Effenberg gehalten zu werden, für Daniel van Buyten oder Michael Nushöhr. Ernst ist ein ausgesprochen freundlicher und intelligenter Mensch, so dass es mir nicht schwer fiel, die Fans auf dem Weg zum Spiel stellvertretend zu beruhigen, dass ich auf jeden Fall spielen und mich auch bestimmt gleich warm machen würde.
Beliebt machte sich Ernst in Bochum auch später noch einmal, als er den VfL längst verlassen hatte und im Frühjahr 2003 mit dem VfB Stuttgart zurückkehrte. Düster war die Stimmung an jenem Sonntag, denn Bochum hatte wochenlang nicht gesiegt und gegen den Tabellenzweiten sah es ebenfalls gleich wieder chancenlos aus, als dieser früh die Führung erzielte. Fünf Spieltage vor Ende der Saison war der VfL Bochum schon auf dem direkten Weg in die zweite Liga, als die Stuttgarter den Ball auf Ernst zurückspielten, dieser ihn verlor, dadurch den Ausgleichstreffer verschuldete, der die Wende zum Sieg und die der ganzen Saison bedeutete. Denn letztlich schaffte der Klub die Rettung, die es ohne diesen Fauxpas kaum gegeben hätte.
Später wechselte Thomas Ernst zum 1. FC Kaiserslautern, wo er erneut auf einen Doppelgänger traf. Mit dem Autor Thomas Ernst bestritt er eine Reihe von gemeinsamen Lesungen unter dem Titel „Fußball – Gott ist rund“, in deren Rahmen auch ich einmal eingeladen wurde. Da saß der arme Torwart dann mit einem Gleichnamigen und einem angeblich Gleichaussehenden auf einer Bühne und musste sich auch noch einen Text über diesen Umstand anhören. Man kann schon daran erkennen, dass es sich bei dem dreifachen Ernst um eine gefestigte Persönlichkeit handelt.
So war es zwar eine Überraschung, aber auch nicht völlig erstaunlich, dass Ernst mit Beginn dieser Saison als Sportvorstand nach Bochum zurückkehrte. Dieser Job beinhaltet selbstverständlich auch repräsentative Pflichten, weshalb er kürzlich nach Hamburg fuhr, wo eine große deutsche Sportzeitung alljährlich eine große Party veranstaltet, die zugleich eingeführter Branchentreff ist. Dort kommen Sportler und Offizielle mit Journalisten zusammen. Ein Kollege vom Fernsehen, den kennenzulernen ich bislang noch nicht das Vergnügen hatte, steuerte im Laufe des Abends auf Ernst zu und erklärte ihm, wie gerne er seine Artikel lesen würde und dass ihm auch seine Bücher gefallen würden und er sich überhaupt freue, dass sie sich endlich mal kennenlernen. Ernst schaute wohl erst etwas streng, weil er glaubte, auf einen besonders raffinierten Witzbold getroffen zu sein, der die Geschichte von der angeblichen Ähnlichkeit einfach ungedreht hätte. Aber der Kollege hatte Ernst wirklich für mich gehalten.
Nun trage ich längst eine Brille, die mein Alter Ego noch nicht nötig hat, doch irgendwie sind wir wohl aneinander gekettet und haben den Widerstand dagegen auch aufgegeben. „Hallo Thomas“, begrüßt Ernst mich. „Wie geht’s Christoph“, grüße ich zurück und denke, dass wir uns mal wieder mit Thomas Ernst, dem Autor, treffen sollten.
Fotohinweis:Christoph Biermann, 47, liebt Fußball und schreibt darüber