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Im Dschungel von Shanghai-Babylon

Großstadtabenteuer, Bohemeleben, Drogen, Geschlechterkampf: neue Bücher der jungen chinesischen Autorinnen Wei Hui und Mianmian

Über die bescheidenenBedürfnisse im Maoismus können diese Figuren nur noch herzlich lachen

von SUSANNE MESSMER

Verirrte Querschläger, das sind Figuren, die immer auftauchen, wenn es schwierig wird. Wenn sich die Dinge ändern und außer Kontrolle geraten. Sie finden keinen Weg zwischen Kommunikationsschablonen, die längst zerbröselt sind, und dem, was das Alte ablösen will, aber eigentlich nur die Traufe nach dem Regen ist. Peinlich wirken sie darin auf ihre Umwelt: lächerlich in ihrem übertriebenen Pathos, geschmacklos, vulgär und immer voll daneben.

Als verirrte Querschläger kann man die Figuren bezeichnen, die zunehmend neue Bücher aus China zu bestimmen scheinen. Immer mehr junge chinesische Autorinnen veröffentlichen halbautobiographische Bücher über Querschläger, über Frauen außerhalb der chinesischen Gesellschaft, über das Leben von Tagediebinnen, denen Musik, Drogen und Sex wichtiger sind als Arbeit und Familie, die sich im Underground der chinesischen Quadratur des Kreises entziehen: dem Spagat zwischen Marktwirtschaft und staatlicher Disziplinierung. Diese Autorinnen schreiben über Dinge, die in China nicht sein dürften, über „geistige Verschmutzung“, interessieren sich weder für das, was war, noch für das, was sein wird, und fallen dabei völlig aus dem Rahmen. Was sie schreiben, ist eine Art Pop-, oder besser Punkliteratur, die sich so unpolitisch gibt, dass sie politisch ist.

Sieht man von Wang Shuoh ab, dem inzwischen über vierzigjährigen Superstar professionell respektoser Satiren auf das neue Yuppie-China, so ist von dieser Popliteratur bis jetzt in Deutschland wenig durchgetröpfelt, nur zwei Bücher bisher, vielleicht aber genug, um von einem beginnenden Trend reden zu können. Jetzt ist nach dem Erzählungsband „La la la“ von Mianmian, der vor einem Jahr in Deutschland herausgekommen ist, ein zweites Buch dieser Fasson hier erschienen: der Roman „Shanghai Baby“ von Wei Hui. Beide Autorinnen sind Ende zwanzig, beide Bücher wurden in China verboten.

„Shanghai Baby“ erzählt die Geschichte der Schriftstellerin Coco, die einen labilen, melancholischen Freund aus China und einen sehr vitalen Geliebten aus Berlin hat. Der Roman läuft aus hiesiger Sicht besonders dann aus dem Ruder, wenn sich nach jeder der unzähligen Sexszenen ein Schwall halbgarer Küchenpsychologie und abgedroschener Möchtegernweisheiten über die Liebe und das Leben ergießt. Immer, wenn es selbstreflexiv wird, wird es – ob unfreiwillig oder freiwillig, das weiß man nicht so ganz zu sagen – komisch: Coco leidet an ungebrochener Selbstüberschätzung, beschreibt sich als sensible Frau, die „sprachlich vollendet“ schreibt und sich von ihrem Schriftstellerberuf erhofft, dass er sie weiser aussehen lässt. Einmal heißt es unnachahmlich drollig: „Ich denke, auf der ganzen Welt ist keine andere Frau mit höherer Bildung innerlich so zerrissen wie ich.“ Das könnte einfach schlecht sein, womöglich ist es aber sogar ideologiekritische Respektlosigkeit: der radikale Kontrollverlust der Querschlägerin, der Verzicht auf das, was sich gehört.

Was den Roman jenseits seines seltsam improvisierten Tonfalls interessant macht, sind die traditionellen Geschlechterrollen in China, die er in gründliche Schräglage bringt – vor allem vor dem Hintergrund der Gleichberechtigung der Frau in der chinesischen Gesellschaft bei anhaltend patriarchalen Familienstrukturen. Zum Beispiel Cocos Freund Tiantian. Dass ihn seine Mutter verließ und nach Spanien ging, als er noch klein war, hat er nie verkraftet. Für ihn „ist die Welt ein mit Arsen vergifteter Kuchen“. Er beginnt, Heroin zu spritzen und stirbt nach einem qualvollen Aufenthalt in einer der brutalen Entgiftungskliniken Chinas doch noch an einer Überdosis. Coco verändert sich dagegen von Mann zu Mann, übernimmt mal die beschützende, mal die beschützte Rolle. Bei Tiantian ist sie stark, bei Mark die devote Asiatin.

Auch in Mianmians Erzählungen „La la la“ treibt jene seltsame Hybris des Querschlagens die schönsten Blüten: „Ich bin eine Frau der Spontaneität, der Hoffnungslosigkeit und der wilden Begeisterung, der Einsamkeit und der Quälerei“, sagt eine Frau, woanders wird dieser heikle Narzissmus, diese fatale Selbstentblößung aber so ins Alberne geschraubt, dass man nicht an bloße Blödigkeit glauben kann: „Ich bin so aufrichtig, dass ich gerührt bin.“ Das schillert, entzieht sich den Ordnungen, den historischen, aber auch der Funktionalität, die in China jetzt ebenfalls regiert.

Die Männer, für die sich Mianmians Frauen interessieren, sind gleichzeitig Machos und so verzweifelt, dass sie kein geregeltes Leben finden. Saining zum Beispiel ist es ähnlich wie Tiantian in „Shanghai Baby“ ergangen: Geboren in einem Arbeitslager, ging sein Vater mit ihm nach England, als er noch ein Junge war. Jetzt ist er in China ganz auf sich gestellt. Andere Männer bei Mianmian wurden in der Schule von ihren Kameraden vergewaltigt. Und während Wei Huis Heldin aus der Schwäche ihrer Männer eigene Stärke gewinnt, haben die weiblichen Hauptfiguren bei Mianmian Schwierigkeiten, sich selbst zu spüren. Sie ergehen sich in ihren masochistischen Phantasien und versuchen erfolglos, ihr eigenes Durcheinander an den gerade aktuellen Mann zu übergeben.

Während man den Ausspruch von Wei Huis Hauptfigur Coco, sie „veredele die sinnentleerte Wirklichkeit zu einem bedeutendem Kunstwerk“, durchaus wörtlich als Gebrauchsanleitung zu ihrem einfach gestrickten Roman mit nur wenigen Ecken und Haken verstehen kann, läuft die Sache bei Mianmian extremer: Ihre Geschichten beginnen in der Regel so überschaulich wie bei Wei Hui, zerfallen aber dann in ein Chaos von Erzählsträngen. Die Figuren verlieren zusehends ihre Orientierung, und auch als Leser weiß man am Ende nicht mehr genau, wovon eigentlich noch die Rede ist. Es berührt sehr, dass dann nur noch tiefe Hoffnungslosigkeit ist.

Sowohl Wei Hui als auch Mianmian beschreiben in ihren Büchern ihre Hassliebe zur Kulturstadt Shanghai, wo in den Dreißigerjahren das größte Presse- und Verlagszentrum Chinas heranwuchs und sich eine eigene literarische Schule moderner Großstadtprosa, die „Shanghai-Pai“, herausbildete: Es handelte sich um Unterhaltungsliteratur mit lokalen Themen und modernistischen, aus dem Ausland übernommenen Stilmitteln – eine Richtung, die im kommunistischen China keine Chance hatte, an die jetzt aber wieder angeknüpft werden könnte. Heute konkurriert Shanghai um die Führung als Wirtschaftszentrum mit Hongkong; und auch aufgrund seiner Geschichte, den ehemaligen Kolonialvierteln, in denen neue Bars und Restaurants entstehen, hat Shanghai wieder den Ruf des aufregendsten Nachtlebens. Die Hauptfiguren Wei Huis und Mianmians genießen dieses Nachtleben um so mehr, als sie mit dem explodierenden Turbokapitalismus, der wachsenden Arbeitslosigkeit, wenig anfangen können. Der Verlogenheit einer sozialistischen Ideologie mit marktwirtschaftlicher Ausrichtung stehen sie auch mehr als zynisch gegenüber. „Mit uns Individuen hat das nichts zu tun“, lässt Wei Hui ihre Coco einmal sagen, sie lässt sie von Bar zu Bar ziehen, in denen Ausländer auf ein Abenteuer mit einer Chinesin aus sind, sie lässt sie sich aber auch immer wieder auf die Insel wünschen. „Wir sind es, die der Stadt ihre seltsam altertümliche Romantik und ihre wahre Poesie verleihen“, schreibt Wei Hui an einer Stelle und meint damit Cliquen aus Künstlern, Musikern und Homosexuellen, Yuppies, die über die vier materiellen Bedürfnisse des Menschen im Maoismus (Fahrrad, Radio, Uhr, Nähmaschine), über die Forderung nach Bescheidenheit, wie sie im traditionellen hochgeschlossenen Maokittel zum Ausdruck kam, nur noch herzlich lachen können. So kommt es auch, dass sie sich mit peinlicher Ausdauer immer wieder selbst zurufen, wie aufregend und unersättlich sie doch sind. Auch Mianmians Hauptfiguren erklären Shanghai immer wieder ihre Liebe: „Hier gibt es eine Mischung aus Freizügigkeit, Egoismus, Nihilismus und Sentimentalität“, sagen sie und haben keine Scheu, dies angeberisch auch von sich selbst zu behaupten: sympathisch deplatziert, das. Gleichzeitig stehen sie der neuen Welt, in die sie geschubst wurden, skeptisch gegenüber: „Scheiße, haben wir um der Freiheit willen die Kontrolle verloren?“

So verschieden Wei Huis und Mianmians Biografien bisher verlaufen sind – Wei Hui hat Kunst studiert, während Mianmian mit 17 die Schule verließ und heroinabhängig wurde – so sehr gehören sie doch beide derselben Generation an: Sie sind und schreiben über Leute, die Teenager waren bei den Massakern auf dem Platz des Himmlischen Friedens, die nicht aktiv an der Demokratiebewegung beteiligt waren und nicht viel von der frischen Luft, der Flut von Novellen, Theaterstücken, Gedichten, Filmen und der Pionierstimmung beim Aufkommen der chinesischen Rockmusik Mitte der achtziger Jahre mitbekommen haben, in denen viele ihr Unbehagen äußerten.

Wei Hui und Mianmian gehören einer Generation an, die an nichts mehr glaubt. Sie wollen nichts weiter als ihren Spaß wie Wei Huis Coco, und treibt sie das auch an den Abgrund wie Mianmians Figuren. Das Prahlerische in ihrem Tonfall, ihre leicht verunglückte Großspurigkeit ist nicht immer unterhaltend, manchmal zum Davonlaufen. Zersetzend ist er aber auch ohne große Politik, weil er sich an keine Regeln hält. Nur selten und ganz versteckt finden sich noch Anspielungen auf den realen Trümmerberg der zerbrochenen Hoffnungen, auf dem sich heute viele in China bewegen. Einmal heißt es bei Mianmian: „Wenn ich ins Nichtsnichts eindringen will, fange ich oft an zu weinen.“ Vielleicht meinte sie nur den Suff ihrer Figur, als sie dies schrieb, vielleicht erinnerte sie sich dabei aber auch an das sogenannte „Nicht-Nicht-Manifest“, das im Mai 1986 von Autoren der Demokratiebewegung proklamiert wurde. Wie es sich gegen Tagespolitik sperrte und auf ein Vakuum hinschrieb, von dem aus vielleicht Neues entstehen kann, das erinnert an Dada, aber auch an die Sehnsucht nach Leere, die von Büchern wie „La la la“ und „Shanghai Baby“ ausgeht. Im „Nicht-Nicht-Manifest“ stand zu lesen: „Nicht-Nicht ist nicht die Negation von etwas. Es ist Ausdruck seiner selbst. Nicht-Nicht bedeutet, dass Befreiung im Unbestimmten liegt.“

Wei Hui: „Shanghai Baby“. Aus dem Chinesischen von Karin Hasselblatt, Ullstein, München 2001, 264 S., 35,20 DM (18 €)Mianmian: „Lalala“. Aus dem Chinesischen von K. Hasselblatt, Kiepenheuer & Witsch 2000, 181 S., 16,90 DM (8,60 €)

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