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Archiv-Artikel

Im Bett mit Cyrano

Nur leicht entflammbare Helden aus dem 17. Jahrhundert vermögen skeptische Heldinnen von heute noch wach zu küssen: A. L. Kennedys Roman „Also bin ich froh“, eine Liebeserklärung an die Literatur

VON GISA FUNCK

Die Helden und Heldinnen der schottischen Autorin A. L. Kennedy sind bekannt dafür, es sich mit der Liebe schwer zu machen. Etwa die religiös fanatische Hausfrau Helen Brindle aus dem sarkastischen Meisterwerk „Gleißendes Glück“, die sich von ihrem Ehemann halbtot prügeln ließ, nur um sich innerlich gereinigt für einen neuen Geliebten zu fühlen. Auch der Roman „Alles, was du brauchst“ bot so manch skurriles Beispiel ausgeprägter Bindungsangst: Die Dichterin Ruth Alvey suchte hier ihre erotischen Kicks ausgerechnet im Hautkontakt mit Haien, Bisswunden inklusive.

Nicht Gewalt, sondern Zärtlichkeit birgt für Kennedys Figuren häufig die größere Gefahr. Das ist auch bei Jennifer M. Wilson so, der Ich-Erzählerin in „Also bin ich froh“. Jennifer, die als Radiomoderatorin in Glasgow arbeitet, ist ein richtiger Kontrollfreak. Egal ob Liebe, Freundschaft oder Sex: Schlichtweg alles, was mit Intimität zu tun hat, so behauptet Jennifer, sei für sie nur „emotionaler Überschuss“, den man tunlichst vermeiden sollte. Gefühle jeglicher Art bezeichnet Jennifer verächtlich als „Maulwürfe“. Als fast blinde Tiere also, die im Dunkeln ihr Unwesen treiben und aus vernunftbegabten Wesen plötzlich lächerliche Gestalten machen. Vor allem dann, wenn es zum Liebesakt kommt. Dann sehe ein Mensch aus „wie ein irischer Tänzer, in einen Sack aus heißer Baumwolle gebunden, wie ein wahnsinniger Verkehrspolizist, der in frischer Tinte Tango tanzt, wie ein Mörderwal, der verzweifelt versucht einen Brief zu öffnen.“

Kennedys bereits 1995 in Großbritannien erschienener Roman klingt wie eine einzige, schnoddrige Verteidigungsrede seiner Protagonistin dafür, dass Amors Pfeil sie mit Mitte 30 doch noch erwischt hat. Die vermeintlich unantastbare Eisprinzessin wird wach geküsst. Das wäre an sich kein besonders origineller Märchenplot, hätte Kennedy nicht einen speziellen Kniff eingebaut. Sie schickt Jennifer nämlich keinen lebenden, sondern einen toten, beziehungsweise: erträumten Prinzen vorbei.

Kein Geringerer als Savien Cyrano de Bergerac, der dank des Theaterstücks von Edmond Rostand wohl berühmteste Held der französischen Bühne, stolpert in die Glasgower WG-Küche, buchstäblich vom Himmel direkt „ins Haus gefallen“. Sein Auftritt wirkt wie eine Heiligenerscheinung. Wundergleich leuchtet Cyrano am ganzen Körper, passend zum inneren Feuer seiner Leidenschaft. Damit ist schon auf den ersten Blick klar: Der streitlustige Satiriker aus dem 17. Jahrhundert stellt genau den Gegentypus zur skeptischen Jennifer dar. Während sie bemüht ist, selbst auf schlimmste Katastrophenmeldungen mit zynischer „Gleichgültigkeit“ zu reagieren, mischt er sich mit Kommentaren und seinem Degen ein. Während sie jedes Ideal negiert, überhöht er die Idee einer „wahrhaftigen“ Existenz der „Ehre“. Kopf trifft Herz, Pragmatik auf Poesie. Schnell hagelt es Beteuerungen und Wortgefechte.

Cyrano gesteht Jennifer sofort seine Liebe – sie entflammt ebenfalls für den charmanten Geist der Fantasie. Man kann die Figur Cyranos in diesem Roman wohl am besten als psychologische Metapher verstehen. Danach verkörpert Jennifers neuer Mitbewohner genau jenen „emotionalen Überschuss“ ihrer Seele, den sie sonst immer unterdrückt und der sich nun mit Macht zu Wort meldet. „Ich fühle mich ständig heikel“, beschwert sich Cyrano prompt, „nur das Gewicht deiner Aufmerksamkeit sichert und rechtfertigt mich.“

Der dichtende Raufbold bietet gleichsam die Projektionsfläche für eine ganz andere Jennifer, die sich betont unvernünftig verhält. Nicht genug, dass Cyrano in der Geschichte mit höchst zwielichtigen Leuten verkehrt und den „rosa (Ecstasy-)Pillen zum Schlucken“ verfällt. Er schreibt auch seitenlang schwülstige Liebesbriefe und begeht aus Rache für eine Demütigung sogar einen Mord. Seine berüchtigt lange Nase spielt hingegen auffällig keine Rolle. Vielmehr ist Jennifer bald dermaßen von Cyrano hingerissen, dass sie alle Hinweise auf dessen „Hässlichkeit“ übergeht und anfängt, die Umwelt mit seinen Augen zu betrachten.

Cyranos naiv anmutender Blick des Fremden wiederum –ganz in der Tradition der Literaturgeschichte – dient dabei auch der Zivilisationskritik. „Immer noch schlagen Hinrichtungen und Hunger und Wahnsinn in euren Straßen zu“, urteilt Cyrano etwa düster, „ganz einfach ausgedrückt, seid ihr bloß privater geworden, besonders in euren Gedanken.“ Als Jennifer schließlich erkennt, dass „diese umkämpften Güter wie Freiheit, Anstand, Fairness heute höchstens noch den wiedergeborenen Nazis am Herzen liegen“, ist ihre Initiation in poetischer Widerständigkeit abgeschlossen. Cyrano hat seinen Auftrag erfüllt und ihr eine eigene „Stimme“ gegeben.

„Also bin ich froh“ ist eine Liebeserklärung an die Literatur, bei der ihr enorme Macht als Mittel zur Selbsterkenntnis zugesprochen wird. Das wirkt zunächst sehr konstruiert und mitunter auch verwirrend, weil Jennifer in ihrem Bericht dauernd chronologisch springt. Am Ende jedoch stehen einem genauso wie der Heldin unwillkürlich die Tränen der Rührung in den Augen.

A. L. Kennedy: „Also bin ich froh“. Aus dem Englischen von Ingo Herzke, Wagenbach Verlag, Berlin 2004, 288 Seiten, 19,50 €