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Il Portiere ...

... hat alles unter Kontrolle / Irrwege in einem großen Sender  ■  Aus Rom Werner Raith

Wo denn die Redaktion Titel, Thesen, Temperamente zu finden sei, frage ich den Mann an der Pforte, ich solle da im Kulturmagazin etwas von mir geben. Der Mann am Eingang Bertramstraße des Hessischen Rundfunks muß keine Sekunde nachdenken. „Da gehen Sie jetzt nach links, die Treppe hoch, die wendelt sich, aber Sie halten immer diese Richtung ein, dann bis zur ersten Abzweigung, da nach rechts, dann den Korridor entlang bis zu einer Kreuzung, über die drüber, da kommen zwei Glastüren, durch die hindurch, da ist links der Lift. Den fahren Sie bis in den dritten, und wenn Sie heraustreten, ist die Redaktion schräg links gegenüber.“ So ist's denn auch: Fünfhundert Meter, die man im Traum durchwandeln kann, kein Irrtum möglich - fünfhundert Meter, auf denen ich nicht einen Menschen treffe, die Korridore leer, vorbei an gut drei Dutzend Türen, dahinter Schreibmaschinengeräusche, diktierende Stimmen, Telefongesprächsfetzen. Die Redaktion genau da, wo sie der Portier angegeben hatte.

Zwei Wochen zuvor beim analogen Unternehmen RAI, Radiotelevisione Italiana, in Rom, Piazza Mazzini. Auch hier der Pförtner, il portiere. Ich suche Frau Rossi, weil demnächst jemand vom deutschen Fernsehen kommt und Filmausschnitte braucht. Il portiere residiert nicht wie sein deutscher Kollege in einem kleinen Glasraum bescheiden an der Eingangsseite, sondern er steht, Nachfolger der legendären Zerberusse, machtbewußt hinter einem großen Tisch im Eingang, ein Telefon vor sich und verschiedene buntbedruckte Hefte. Frau Rossi? Kein Problem, auch er ohne großes Nachdenken, die ist im fünften Stock, mit dem Lift da links hoch, den Gang runter, da muß sie sein.

Gut. Der Lift freilich ist gerade in Reparatur, also zurück zum Portier. „Porca miseria, das vergess‘ ich immer. Also rechts die Treppe hoch bis zum zweiten, dann über den Korridor und dann hoch zum fünften.“ Bis zum zweiten geht's gut, doch dann ist da eine frische Mauer dazwischen, noch nicht verputzt, aber undurchdringlich. „Hören Sie, Lieber, ich will ja nicht aufdringlich sein, aber treppauf, treppab, und das bei meinem Gewicht...“ - „Au weia, tut mir leid. Aber schauen Sie, welch ein Glück: Gerade ist Frau Rossi gekommen, eccola.„

Tatsächlich, da steht sie, ich kenne Frau Rossi von einem früheren RAI-Abenteuer. Sie grüßt freundlich und schaut dazu kurz von einem der bunten Hefte auf, das sie gerade durchblättert: Es ist ein Versandkatalog, und ich erinnere mich, daß sie auch beim letzten Mal einen solchen studiert hat, da ging es um eine Küchenmaschine, die ihr der Herr Gemahl zum nahen Hochzeitstag versprochen hatte. „Ich hab‘ kommende Woche Geburtstag“, sagt sie, „und da kriege ich ein Hairdressing-Set.“ Das aber will in Ruhe ausgesucht sein; der Pförtner erklärt ihr die Unterschiede der einzelnen Modelle, sagt ihr die Preise und dazu die jeweiligen Rabatte, die er ihr verschaffen kann, und bei dem einen oder anderen Gerät auch, wer das im Hause schon hat, eine Art Referenz.

Es stellte sich heraus, daß man bei den Rossis einen zu hohen Preis angenommen hatte, und nun bleibt etwas übrig, das man aber dem Herrn Gemahl nicht überlassen will. Also einen Küchenwecker dazu? Oder einen Serviettenspender? Zeichen von Ungeduld meinerseits wehrt der Pförtner harsch ab: Man kann derart wichtige Entscheidungen nicht unter Zeitdruck abwickeln. Er hat schließlich einen Ruf zu verlieren. Außerdem muß auch er dazwischen immer wieder mal weg, weil er dem einen oder anderen Angestellten, der da ankommt, etwas auszuhändigen hat - eine eben zugestellte dienstliche Eilsache, meist aber etwas aus seiner zur privaten Gehaltsaufbesserung betriebenen Versandtasche hier ein Parfüm, dort eine Krawatte, dann wieder einen Föhn und sogar einen Videorecorder. Geld fließt keines, das hat er schon vorab bekommen: Man vertraut ihm uneingeschränkt.

Frau Rossi hat mittlerweile ihr Frisierset nebst einem Kaffeequirl geordert, und wir verfügen uns über mehrere Treppen aufwärts und eine abwärts in ihren 4.Stock (der Pförtner hatte sich mit der 5.Etage geirrt); dazwischen werde ich mit einem guten Dutzend Mitarbeitern bekannt, denen Frau Rossi im Vorbeigehen etwas mitzuteilen hat und denen sie mich dabei immer vorstellt: „Ein deutscher Kollege, von der taz, der wohnt in Terracina. Da ist es wahnsinnig schön, ich war mal dort...“ Dann kompliziert sich die Sache, für die ich gekommen bin: Der Abteilungsleiter ist noch nicht da, und der muß einen Laufzettel für mich unterschreiben. Da der Espresso vom Morgen seine Wirkung entfaltet, frage ich, wo man da mal für kleinere Jungen könne... „Ganz einfach: Da links raus, dann rechts den Gang hinter, dann ist es links.“

Am angegebenen Örtchen hängt ein handgeschriebenes guasto, kaputt. Ich nehme an, daß es im Stock darunter auch eines gibt; doch als ich mich über einige Ecken und Querwege darunter wähne, finde ich nur eine Abstellkammer, und außerdem ist die Orientierung futsch. Ich suche mich durchzufragen - sollte nicht schwer sein, denn alle Türen stehen offen, die Leute reden miteinander, man stört also noch nicht bei der Arbeit. Natürlich, gerne, also da dort hinten links und dann rechts, das müßte funktionieren... Und ich soll danach wiederkommen, etwas über deutsches Fernsehen erzählen.

Dahinten links und dann rechts ist wieder eine Mauer. Ein letzter verzweifelter Versuch: Ich frage ein kleines Männchen, das da eben auch umkehrt, wo man da könne, denn sonst... „Ich geh‘ mit Ihnen“, sagt er, „ich muß auch.“ Hervorragend. Nach getaner Verrichtung geleitet er mich sogar durch das Labyrinth zurück zu Frau Rossi, verabschiedet sich und verspricht mir, mal vorbeizukommen, wenn er in Terracina ist. Ich habe den Eindruck, ihn schon mal irgendwo gesehen zu haben, und so frage ich Frau Rossi, wer das denn war. „Ach der?“ sagt sie. „Der ist unser Intendant.“ Ich stelle mir vor, wie ich mit dem Intendanten des Hessischen oder Bayerischen Rundfunks pinkeln gehe.

„Jaja“, sagt der Portier zwei Stunden später, als ich ihm davon erzähle, „die in den oberen Etagen sind allesamt sehr noble Leute. Wissen Sie, was der Programmdirektor diesmal seiner Frau zum Geburtstag geschenkt hat...?“ Nach zehn Minuten privatissime weiß ich so ziemlich alles über die Geschenkgewohnheiten in der staatlichen Rundfunk- und Fernsehanstalt. „Für mich eine verdammt verantwortungsvolle Arbeit“, sagt er, „denn meist sagen mir die Frauen vorher, was sie sich wünschen, und ich muß die Männer unauffällig dazu bringen, ihnen das zu schenken, was sie sich ausgesucht haben.“ Ich erfahre sogar noch mehr: „Die größten und teuersten Geschenke machen unsere Herren ihren Frauen, wenn sie von irgendwelchen Dienstreisen zurückkehren, besonders von solchen mit, na nennen wir's mal: Begleitung.“ Und dann setzt er noch dazu: „Und die Frauen wissen das und ordern bei mir schon entsprechend teures Zeug.“

Als Wegweiser im Haus taugt er nicht viel, der Pförtner, doch immerhin habe ich darum auch ein paar Dutzend interessanter Leute kennengelernt. Und als Geschenk- und Ehekrisenmanager ist er wirklich ein As, der portiere.

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