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Archiv-Artikel

Ikeas Fall

DÉJÀ-VU Zwangsarbeit im DDR-Jugendknast – Robert Strom hat es erlebt. Er musste Lampenfassungen für Ikea fertigen. Eine Begehung

VON UWE RADA

Früher, da dachte Robert Strom noch, Ikea sei ein Versprechen. „Für uns in der DDR war Ikea der gute Westen“, erinnert sich der 52-Jährige und betrachtet den blau-gelben Eingang des Möbelhauses in Berlin-Spandau. Robert Strom ist zurückgekehrt an den Ort, wo er vor 34 Jahren entdeckte, dass Ikea doch nicht der gute Westen war, sondern ein Unternehmen, das Zwangsarbeiter in DDR-Gefängnissen beschäftigte.

„Es war 1979“, sagt Strom und zögert, den Ikea-Markt in Spandau zu betreten. „Ich wollte damals meine neue Wohnung einrichten. Ich war erst seit Kurzem im Westen.“ Freigekauft von der Bundesrepublik. „Ikea, wusste ich, war nicht nur ein Mythos, es war auch günstig. Deshalb bin ich da hin.“ Doch Robert Strom kam nicht weit mit seinem Einkauf. Er endete damals in der Lampenabteilung.

Robert Strom zögert. Es fällt ihm schwer, noch einmal den Weg in die Abteilung zu nehmen. „Gibt es eine Abkürzung?“, fragt er. Strom ist kein geübter Ikea-Gänger. Er ist ein Geschädigter. Die Geschichte von Ikea, das in DDR-Gefängnissen Möbel fertigen ließ, ist auch seine Geschichte. Das wurde ihm klar, als er 1979 zum ersten Mal bei Ikea-Spandau war.

Flucht ins Gefängnis

„Ich war wie versteinert“, sagt er und lässt sich auch jetzt, auf dem Weg zur Lampenabteilung, auf ein Sofa fallen. Strom sieht müde aus, er meidet die Blicke der Kunden. Die Wiederbegegnung mit dem schwedischen Möbelhaus fällt ihm schwerer, als er dachte. „Als ich damals hier war, habe ich diese Fassungen gesehen und konnte es nicht glauben. ‚Svit‘. Die Lampenfassungen hießen ‚Svit‘. Es waren genau dieselben Fassungen, die wir im Jugendhaus in Halle herstellen mussten. In Wirklichkeit war das ein Knast.“

Als Robert Strom im Dezember 2012 hörte, dass Ikea seine Vergangenheit aufarbeiten wollte, horchte er erst auf. Dann wurde er wütend. „So billig sollen die nicht davonkommen“, sagte er und griff zum Telefonhörer. „Wollen Sie die Wahrheit erfahren“, fragte er. Der Reporter wollte. „Ikea hat sogar Minderjährige beschäftigt.“ Als Robert Strom 1979 in Halle die Svit-Fassungen montierte, war er 17 Jahre alt.

Robert Strom glaubte an den Sozialismus, lange zumindest, er wagte sogar einen Konflikt mit dem Vater deswegen. „Mein Vater konnte irgendwann in den Westen reisen. Dann kam er wieder und hat gesagt: Wir müssen hier weg.“ Aber Strom wollte nicht weg. Also haben sein Vater und er einen Wettkampf vereinbart. „Wir haben gesagt, wir diskutieren. Wenn du gewinnst, gehen wir weg, und wenn ich gewinne, bleiben wir hier. Er hat dann gewonnen.“ Heute ist Robert Strom froh darüber. Denn er hat dadurch einen anderen Blick auf die DDR bekommen. Eine DDR, die die Familie jahrelang nicht gehen ließ.

Also nahm Strom die Sache irgendwann selbst in die Hand, reiste im Winter nach Tschechien, in den Böhmerwald, mit dicken Klamotten und einer Thermoskanne Tee. „Ich kam richtig weit“, sagt er, „aber nicht weit genug.“ Die Tschechen griffen den Halberfrorenen auf und päppelten ihn mit Knödeln auf. Dann übergaben sie ihn an die Stasi. Für Strom begann eine Odyssee durch DDR-Knäste, die schließlich in Halle endete.

Robert Strom quält sich aus dem Sofa. Noch zwei, drei Kurven durch die blau-gelbe Möbelwelt bis zur Lampenabteilung. Strom geht auf eine Verkäuferin zu. „Nein“, sagt sie, „ ‚Svit‘-Fassungen kenne ich nicht. Die Fassungen, die es heute gibt, heißen ‚Hemma‘.“ Strom sagt: „Damals hatten die Fassungen nicht diesen weißen Becher zur Abdeckung.“

Strom erinnert sich sehr gut an die Arbeit im Knast. „Wir mussten die Fassungen im Akkord zusammenschrauben. Die Norm war nicht einzuhalten. Wenn wir es nicht geschafft haben, wurden wir hart bestraft.“

Es war ein ausgeklügeltes System der Bestrafungen, das in Halle herrschte, jenem vielleicht berüchtigsten der von der Staatssicherheit kontrollierten Jugendhäuser in der DDR. „Frohe Zukunft“ hieß die Erziehungsanstalt, die in einem Plattenbau am Rande der Stadt untergebracht war. Umso düsterer war die Gegenwart: Stacheldraht, Scheinwerferlicht, bellende Hunde, hohe, mit bewaffneten Posten besetzte Mauern. Marschieren bis zur totalen Erschöpfung.

„Ich musste zum Beispiel mit einer kleinen Handbürste einen hundert Meter langen Flur auf den Knien putzen“, erinnert sich Strom. „So ein kleines Ding, mit dem man sich sonst die Fingernägel putzt.“ Bei der Kontrolle schauten die Schließer auch unter das Linoleum. „Sie haben die Flächen mit weißen Papiertaschentüchern abgerieben. Wenn dort Schmutz gefunden wurde, dann ging das Ganze wieder los.“

Auch Schläge waren an der Tagesordnung in der „Frohen Zukunft“. „Schläge von den Wärtern“, erinnert sich Strom, „aber auch Schläge von Mithäftlingen.“ Es fällt Robert Strom sichtlich schwer, über den Haftalltag zu sprechen. Anderthalb Jahre hat er bekommen, wegen schwerer bewaffneter Republikflucht. Weil er eine Kneifzange dabei hatte, um in den Grenzzaun zwischen dem Böhmerwald und dem Bayerischen Wald ein Loch zu schneiden. Und weil er anschließend, da war er noch auf Bewährung, keine vormilitärische Ausbildung absolvieren wollte. Anderthalb Jahre, in denen er die Zähne zusammenbiss. Und auch Krawall machte. „Ich war schon ordentlich renitent“, räumte er ein.

Selbst als er auf der Liste stand, die der DDR-Anwalt Wolfgang Vogel zusammenstellte – die Liste für den Freikauf in den Westen –, wollte er nichts unterschreiben. „Ich habe mich nicht brechen lassen. Ich habe einen extremen Stolz gehabt, politischer Häftling gewesen zu sein. Aber das war natürlich auch ein pubertärer Stolz. Wie ein Indianer, der gegen Cowboys kämpft.“

Irgendwann kam er dann doch in den Westen. Fühlte sich frei. Zog nach Westberlin. Tauchte ein ins Leben der Halbstadt, die so anders war als ihr Gegenüber auf der anderen Seite der Mauer. Bis er bei Ikea entdeckte, dass dieser Westen Gefangene im Osten für sich schuften ließ.

Dennoch will Robert Strom nicht gegen Ikea kämpfen. Auch wenn es ihn anwidert, wie er sagt, dass die Wahrheit mit der Zwangsarbeit nur scheibchenweise ans Tageslicht kommt. Gleich nach seinem Erlebnis bei Ikea 1979 wurde er von Gefangenenzeitschrift Hilferufe von drüben interviewt. Auch ein Ikea-Sprecher wurde mit den Vorwürfen konfrontiert. „Die Generalvertretung von Ikea bestätigte, dass die ‚Svit‘-Hängelampen aus der ‚DDR‘ importiert wurden“, heißt es in dem Beitrag. Allerdings habe Pressesprecher Klaus Pomykaj mitgeteilt, „dass über die Produktionsstätte im Jugendzuchthaus Halle nichts bekannt gewesen sei.“

Der Westen – kein Traum

Robert Strom kann nur den Kopf schütteln. „Die haben versprochen, dem Ganzen nachzugehen“, sagt er, als er am Ausgang von Ikea steht. „Nichts davon ist damals passiert.“ Dennoch will Robert Strom die Sache nicht noch einmal aufwärmen. Es reicht, wenn seine Geschichte in der Zeitung steht.

Allerdings nicht unter seinem Namen. Strom ist ein erfolgreicher Geschäftsmann, hat ein Unternehmen im Umweltbereich. „Als ich in den Westen kam, war ich 17 Jahre alt. Ich konnte noch mal ein neues Leben beginnen.“ Mit den DDR-Opferverbänden wollte er nichts zu tun haben. Zu rechts seien die ihm gewesen. Lieber habe er in die Zukunft geschaut. „Das ist bis heute so“, sagt er. Nur manchmal holt ihn die Erinnerung wieder ein. Und Möbel bei Ikea, die würde er noch immer nicht kaufen.