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Ihn hat kein „Freund gefragt, ob es mir gut geht“Zombie kommentiert gern

Liebling der Massen Uli Hannemann

Wenige Wochen nach dem Anschlag in Berlin bin ich beim „Facebook Safety Check“ noch immer nicht als „safe“ markiert. Erst hatte ich den Sinn nicht ganz verstanden und danach den Schwachsinn sowieso wieder vergessen. Nun ist der beste Zeitpunkt längst verpasst.

Okay, mich hat auch keiner gefragt. Nicht, dass ich beleidigt wäre, keineswegs, ich merke das nur an. Für die Statistik. Ein paar andere wurden ebenfalls nicht gefragt, haben sich aber trotzdem markiert. Das finde ich armselig. Wie zu einem Kindergeburtstag zu gehen, zu dem man nicht eingeladen wurde, und dann nur aus Mitleid nicht weggeschickt zu werden.

Denn die meisten meiner Friends wurden von anderen aufgefordert, sich zu melden – „hat während ‚der Anschlag in Berlin‘ angegeben, in Sicherheit zu sein, nachdem ein Freund gefragt hat, ob es ihr gut geht“ – und haben sich daraufhin als „safe“ markiert.

Bei den wenigen Kandidaten, die so wie ich gar nicht reagiert haben, steht nun oft „zuletzt gepostet: vor zwei Tagen“, als ob das irgendwen beruhigen könnte. Denn wer weiß, ob das jetzt nicht das Profil eines Toten ist. Dass Zombies gerne kommentieren, sieht man schließlich jeden Tag. Dazu posten sie Hyänenbabycontent; kleine Aasgeierküken, die niedlich mit den Augen rollen, wenn man ihnen das kahle Köpfchen streichelt; YouTube-Clips mit Schmeißfliegen, die Michael-Jackson-Songs summen. Und alle zwei Tage leisten sie sich die Eitelkeit eines neuen Profilbilds mit dem aktuellen Verwesungszustand.

Mich fragt keine Sau

Mich hat jedenfalls kein „Freund gefragt, ob es mir gut geht“. Keine Sau wollte das wissen. Ein menschlicher Offenbarungseid. Den wahnsinnig tollen und beliebten Volker zum Beispiel haben sage und schreibe vierzehn Leute gefragt. Volker? Bei mir ist es offenbar allen egal, ob ich lebe. Es ist ihnen sogar egal, ob ich tot bin. Wenn sie mir den Tod wenigstens wünschen würden. Hass wäre immerhin überhaupt eine Emotion – jemand denkt in irgendeiner Form an mich. Doch anscheinend reicht es nicht mal dazu.

Das soll jetzt nicht nach einer Drohung klingen, aber auf diese Weise gebiert ein Anschlag doch sofort den nächsten. Frustration aus Mangel an Zuwendung: Das ist genau der Boden, auf dem die Menschenfeindlichkeit wächst und gedeiht. Auf einen vergeblichen Schrei nach Liebe folgt ein zweiter nach Rache gern auf dem Fuß.

Wenn die Volkers dieser Welt uns inferioren Randexistenzen auch nur einen einzigen ihrer zahllosen Schleimer und Groupies abtreten würden, um uns zu fragen, ob wir in Sicherheit sind, könnte so viel Leid verhindert werden.

Aber beleidigt bin ich natürlich nicht. Gar nicht. Null. Ich komm schon klar – danke der ohnehin nicht gestellten Nachfrage. Der Starke ist am mächtigsten allein. Und schließlich – so viel Selbsterkenntnis muss sein – kassiere ich hier bloß die Quittung für lange Jahre praktizierter Soziophobie und Unverbindlichkeit.

Ein bisschen genieße ich die Situation ja auch. Weil für die meisten bin ich ja nun tot. Oder zumindest nicht sicher lebendig, also eher so ein Zwischenzustand. Ich kann mich benehmen ,wie ich will. Ich kann alles kaputtmachen und muss nirgends bezahlen. Ich geh seitdem auch ständig aufs Damenklo. Einfach nur, weil ich es kann.

Der Nachteil ist umgekehrt, dass man auch mit mir nun machen kann, was man will. Wer über keinen positiven Safety Check verfügt, hat pauschal sein Lebensrecht verwirkt. Ich bin sozusagen vogelfrei. Jeder darf meine Habe an sich nehmen, jeder darf mich (endgültig) töten, ja ist im Grunde moralisch fast dazu verpflichtet. Denn solange mein Vitalzustand komplett ungeklärt ist, bleibe ich ein schwelendes Sicherheitsrisiko für die Mehrheitsgesellschaft der Beliebten und Belebten.

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