INTERVIEW: Identität von NS-Tätern schwer nachweisbar
■ Die Hamburger Staatsanwältin Helge Grabitz, Gutachterin im Demjanjuk-Prozeß, zu Problemen der Beweisführung
taz: Frau Grabitz, Sie haben bereits vor Beginn des Demjanjuk-Prozeßes in Jerusalem im Zusammenhang mit dem Komplex des Vernichtungslager Treblinka und des Ausbildungslagers Travniki ermittelt. Worum ging es dabei?
Helge Grabitz: Das ist richtig. Ich habe im Verfahren gegen den ehemaligen Lagerkomandanten von Travniki, Streibel, und andere in Hamburg ermittelt und gegen sie Anklage erhoben.
Die Hauptverhandlung dauerte von 1972 bis 1976 und endete für alle Angeklagten mit einem für die Öffentlichkeit – auch für die juristische – unerklärlichen, skandalösen Freispruch. Streibel war in seiner Funktion verantwortlich für die Ausbildung der etwa 4.000 russischen, ukrainischen und sonstigen Hilfswilligen, die vor allem bei der „Aktion Reinhard“ im Distrikt Lublin und Warschau eingesetzt worden sind, das heißt also bei den Ghetto-Räumungen, als Lagermannschaften in Vernichtungslagern wie Treblinka, als Wachmannschaften in Arbeitslagern.
War Streibel der Vorgesetzte Demjanjuks?
Das ist richtig.
Ist der Name Demjaniuk während des Prozesses aufgetaucht?
Nein, zu dem Zeitpunkt noch nicht. Die Namen der russichen Hiwis haben wir erst nach und nach herausbekommen. Wir haben inzwischen etwa 400 Namen, damals waren es rund 200. Da aus juristischen Gründen die russischen Hiwis nicht als Angeklagte, sondern nur als Zeugen in meinem Prozeß eine Rolle spielten, war das für mein Verfahren noch nicht so wichtig.
Kann es sein, daß es auch in der Bundesrepublik noch zu Verfahren kommen wird?
Nein. Diejenigen, die noch lebten, habe ich damals angeklagt. Die russischen Hiwis spielen für unseren Komplex nur als Zeugen eine Rolle. Das Verfahren gegen sie mußte ich einstellen, weil ich keinem der ermittelten Hiwis eine persönliche Tatbeteiligung nachweisen konnte. Dies ist nur möglich, wenn man einen Hiwi in einem der Lager identifizieren kann, was mir damals nicht möglich war.
Es ist nur ein einziges Verfahren in der Bundesrepublik gegen einen Travniki-Hiwi in Düsseldorf gelaufen, der im Arbeitslager Treblinka eingesetzt war.
Die Travniki-Einheiten waren eine reisende, anonyme Gruppe, und diese Anonymität habe ich nicht aufbrechen können. Weil sie aus den deutschen Gefangenenlagern geholt worden waren, wo sie nur die Wahl hatten, dem ziemlich sicheren Tod im Winter 41 entgegenzusehen oder aber sich als Hiwi zur Verfügung zu stellen, ohne zu wissen, wozu sie später eingesetzt werden sollten, mußte ich damals davon ausgehen, daß ich nur Putativbefehlsnotstand annehmen konnte.
Weshalb wurde Lagerkommandant Streibel damals freigesprochen?
Aus subjektiven Gründen. Man hat argumentiert, für mich nach wie vor unverständlich, daß er jeweils, wenn er seine Truppen losschickte, den Zweck nicht kannte, und immer erst hinterher erfahren habe, daß es wieder ein Vernichtungseinsatz war.
Das Interview führte Klaus Hillenbrand (Teil I des Interviews mit Prof. Dr. Wolfgang Scheffler vom Zentrum für Antisemitismus-Forschung in Berlin erschien am 6.2.88, S.7)
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