: Ich weiß so wenig und will so viel! Paßt das zusammen?
8. März 1990. Vielleicht der letzte Frauentag, meinen viele. Für uns ist er irgendwo normal. Sei's, weil er womöglich den ersten Blumenstrauß des Jahres einbringt, den wir gerne nehmen. Wir leben seit langem damit. Aber w i e leben wir? Frauen verschiedener Generationen ließen sich befragen. Ihre Antworten sagen vielleicht nicht nur über sie etwas aus.
Man muß die Frauen lieben, aber nicht auf ihre Geheimnisse neugierig sein, zumal da sie im allgemeinen selber diesen Spielereien keinen Wert beilegen, sondern nur Neugierde zu erregen beabsichtigen. Casanov
Katja F. (21), Studentin
Frauentag. Ich habe nie gewußt, warum ich an diesem Tag Blumen bekommen habe. Horoskope. Ich hätte gern sowas, an das man wirklich glauben kann.Kinder. Wenn man welche hat, dann hat man noch mehr Angst. Alter. Manchmal überlege ich, was ich eigentlich schon erreicht habe, und das deprimiert mich dann. Gleichberechtigung. Noch fühle ich mich nicht benachteiligt. Zuhause. DDR und nur DDR, warum, weiß ich auch nicht. Wissen. Wenn Freunde mehr wissen, das vertrag ich schlecht. Sich kleiden. Ich will immer was besonderes tragen, was andere nicht haben. Ein Warenangebot, wo jeder alles kriegt, ist überhaupt nicht spannend. Frauenverband. Ich ahne, daß er wichtig ist. Beruf. Ich will ihn nicht nur mittelmäßig machen, ich will ihn machen. Sozialismus. Ich will keinen Kapitalismus und weiß auch nicht, warum.
Elke R. (36), Laborantin
Frauentag. Die symbolischen Verrenkungen unserer Männer, find ich schon immer albern. Horoskope. Wenn ich wie mein Sternbild wäre, dann wär alles ganz anders gekommen. Aber ich bin wie meine Mutter. Kinder. Ohne die beiden wär mein Kopf längst im Sand. Alter. Vor kurzem habe ich die Mittellebenskrise gespürt: Will noch einmal was Neues beginnen, aber komme aus den gewohnten Trott kaum heraus. Gleichberechtigung. Ich weiß, daß da längst nicht alles getan ist, aber um Formulierungen sollte man jetzt nicht feilschen. Zuhause. will ich ständig aufräumen, verändern. Wissen. Ich weiß so wenig und will soviel. Paßt das zusammen? Sich kleiden. Ach, ja, und das Geld? Frauenverband. Ich engagiere mich da nicht, aber fühle mich vertreten. Ich kenne viele Frauen, die sich sehr schnell und sehr gern in ihre Frauenrolle reindrängeln lassen haben. Also Vorsicht, wer alles auf die Männer schieben will. Beruf. Hab‘ wirklich geglaubt, das es so etwas wie gesellschaftliche Notwendigkeit gibt - und nun macht mir meine Arbeit keine Freude. Sozialismus. Soll ich auf die sauer sein, die ihn mir zum Ziel erklärt haben, oder auf die, die ihn versaut haben?
Renate L. (50), Direktorin
Frauentag. Ich bin bereit, Leistungen zu vollbringen, und die sollen dann immer anerkannt werden. Einen extra Tag im Jahr brauche ich dazu nicht. Horoskope. Sind witzig. Kinder. Ein gestörtes Verhältnis zu ihnen würde ich nicht verkraften. Sie haben von mir mehr innere Zuneigung als der Partner. Alter. Hat mich in meiner Lebensweise bisher nicht beeinträchtigt. Gleichberechtigung. Da, wo die Natur es zuläßt, sollte von Mann und Frau Gleiches verlangt werden, und sie sollten gleiche Anerkennung erfahren. Zuhause. Ich ziehe mich zurück und brauche dazu Harmonie. Wissen. Ich denke jetzt: Hättest du nur in deiner Jugend mehr dafür getan. Sich kleiden. Kleider machen wirklich Leute. Frauenverband. Brauche ich nicht. Beruf. Der muß mich voll ausfüllen. Leider weiß man kaum vorher, was einen da erwartet. Sozialismus. Der war wohl nichts. Trotzdem glaube ich, daß es ihn irgendwann einmal geben kann.
Charlotte K. (68), Rentnerin, gelernte Näherin
Frauentag. Immer mit den Frauen im alten Betrieb. Horoskope. Ich lege lieber die Karten, das ist ehrlicher. Kinder. Die jüngste sagt, ich rede ihr rein - das ist frech, denn ich habe fünfe groß gezogen. Alter. Achgottchen! Gleichberechtigung. Die jungen Frauen schimpfen soviel. Zuhause. Das sind Richard und die Kinder. Wissen. Was ich weiß, weiß ich, weil ich alt bin. Aber das will keiner hören. Sich kleiden. Frieren will ich nicht mehr. Frauenverband. Ist auch so etwas Modernes, nichts für unsereins. Beruf. Geld verdienen. Sozialismus. Ist für mich immer noch das einzige, aber damit habe ich es ja auch leichter.
(Es fragte Nadja Klinger)
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