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“Ich war eine Schwere Sentimentale!“

■ Die Komödiantin Maria Alten, 75, spielt die Großmutter im Bremer „Don Juan“ / Ein Gespräch

hierhin bitte

das Foto

von der alten

Frau gegenüber einem

Mann

Maria Alten, Roland SchäferFoto: Jörg Landsberg

Rührt es noch unsereinen, das Stück? Wenn sie nur wüßte! „Jeder Taxichauffeur fragt mich, wenn er heimfährt: Isses was zum Lachen? Ich sag immer: Sind viele schöne Mädchen drin! „ Ja, wir Leute und ganz andererseits

dieser Bremer Don Juan. Maria Alten, 75 Jahre, spielt darin die Großmutter. „Ich hab ja erst gesagt, das kann ich nicht, ich, wo ich in der Komödie zuhause bin. Der Schäfer, der wollte unbedingt einen Komtur.“ Dann ist sie aber doch gekommen, von Kassel her, wo sie lebt. Und Regisseur Schäfer, der hat sie „sehr gequält“, und jetzt ist sie doch die Vollstreckerin, aber längst nicht so streng, und beides freut sie sehr. Es geht gen Mitternacht, wir sind, nach einer Vorstellung, ins Cafe gegangen und trinken Wein.

„O ja, die Proben waren hart. Schon der Horvath hat sich geplagt mit dem Stück. Und soviel reingemixt. Soviel Personal. Soviele kleine Bilder. In den ersten beiden hab ich ein Mikro. Ham Sie gemerkt?“ Der Schauspieler Roland Schäfer hat Ödön von Horvaths Stück „Don Juan kommt aus dem Krieg“ fürs Bremer Theater inszeniert, Hauptrolle Roland Schäfer, und hat ein kaltes Labor für Beziehungschemie draus gemacht, und mittendrin immer der Don Roland mit grabsteinernem Antlitz, ach. Aber allein wegen dem Ende, wo Maria Alten, die Greisin, den todessüchtelnden Don in den Würgeblick nimmt, was wirklich einmal ein showdown ist, allein wegen diesem Ende schon soll das Theater gelobt sein.

Angefangen hat Maria Alten in der Abteilung Wort. „Meine kunstliebenden Eltern, die haben mich mit Büchern gespeist.“ Mit zehn Jahren „Shakespeare verschlungen“ und so, die Folge war erst „heftiges Dichten“. Geblieben ist der Wunsch, die Welt zu literarisieren, dann eben als Schauspielerin. Die ersten Rollen: Hebbels Maria Magdalena, die Luise, die Jungfrau von Orleans. „Ja, ich war eine Schwere Sentimentale.“ Köln, Koblenz, Stettin, „dann kam der Krieg. Nachher ging das weiter mit Hungern.“ Berlin, dann Kassel. „Da hab ich mich scheiden lassen“, sagt sie, „weil ich meinem Mann noch ein paar schöne Jahre gönnen wollte.“ Und lächelt und erzählt von ihren vielen Rollen und ist auf einmal wieder beim Krieg „und dem allem“, der unruhigen, sie sagt: „außerordentlichen“ Zeit. „Da habe ich doch sehr gelitten, was heißt, gelitten haben alle. Aber ich habe meinen Typ verloren.“

Die schwere Sentimentale, schon weil sie jetzt so mager war, rettete sich an die Komödie in Kassel und blieb dort, „obwohl, so irrsinnig komisch war ich nie, dazu sah ich zu traurig aus“. Aber die Nette war sie, Jahre um Jahre, gewohnt am Ende, von den Leuten geliebt zu werden. Seit sie „endlich berentet“ wurde, spielt sie, wo gerade alte Frauen gebraucht werden, in Mannheim, in Hamburg, in Bremen. In Kassel aber wird sie wohnen bleiben, sie hat da „eine furchtbar kranke Schwester“, sagt sie. „Wissen Sie, wie die Alten leben hierzulande, wie diese Generation zugrundegeht?“ Da muß sie, obwohl sonst ganz zarthöflich, mir aus unerschöpflichem Entsetzen eine lange Rede halten, und hat recht.

„Also dieser Don Juan. Für Sie ist er unwirklich, nicht?“ Ja, muß ich sagen. „Aber er wird doch auch gewissermaßen nicht mehr gebraucht. Wissen Sie, das ist die Zeit, wo auch wir mit unseren blauen Augen gesagt haben: wir brauchen keine Männer!“ Und ist wieder bei der Arbeit, bei den Rollen, zählt auf und plaudert. Ihr Gesicht ist schmal und gerade, wie ein alter Buchrücken, Gesammelte Werke. Einmal stößt sie aus Versehen ihr Weinglas um. Ich bin bestürzt, wie sehr sie sich grämt.

Dieses neue Theater muß sie noch kennenlernen, mit seinen Medien-und Materialvermischungen, natürlich von der Bühne aus, und wenn sie einer wie der Schäfer noch so schindet. Wo sie doch früher ganz vom Wort, nicht wahr, die Klassiker vor schwarzem Vorhang. Achja, Wort, ihren alten Vortrag über Thomas Manns jungen Joseph, eineinhalb Stunden lang, den hat sie immer noch im Repertoire, sie spricht ihn „bei Gelegenheit, frei“.

Wo hat sie sie hingetan, die unaufhörlichen Verwandlungen, die tausend Rollen, das lange Leben? „Alles dabei“, sagt sie, „wissen Sie, Verwandlung schon auch, aber im Grunde sucht man doch immer in sich, was man für die neue Rolle hat“. Hat sie sich schon ganz durchsucht? Da lacht sie. „Lustige Frage. Oft überrascht es mich, was ich an Ungelebtem finde.“ Schaut auf die Uhr, es ist halb eins. „So, jetzt gemma heim, was?“ Manfred Dworschak

nächste Vorstellungen: 2./ 4./ 5.12. je 20 Uhr, Schauspielhaus

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