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Ich kann hier weiß Gott wer sein

Die Band Die Handlung aus St. Pauli bot in Hamburg ein Konzert mit ihrem unaufgeregten Post-Punk

Von Alexander Diehl

Ist diese Band ein Krisensymptom? So etwas wie Die Handlung, das wäre doch früher aus vielen Mündern zu vernehmen gewesen, damals, als es noch eine nennenswert Menschen ernährende Musikindustrie gab und die ihr zuarbeitenden Branchen in besserer Form waren. Hineingelangt in die Münder wäre die Band über einen vitaleren, sich zuständig erklärenden Journalismus. Was auch damit zu tun gehabt hätte, dass in der Band mehrere (ehemalige) Journalisten musizieren. Da wäre eine Entdeckung zu machen gewesen, ein Geheimtipp zu verbreiten, sein Kreise-Ziehen zu begleiten und irgendwann vielleicht „Ausverkauf“ zu beklagen. Kam aber anders.

Die Handlung, das ist eine unaufgeregt, aber eben schon seit Ewigkeiten rummachende Handvoll in Ehren ergrauter St. Paulianer. Das hat wenig mit den richtigen Meldeadressen zu tun, eher mit denselben Tresen, mit Fußball vielleicht ein bisschen, man lebt oder probt ja doch in Hörweite des Millerntor-Stadions. Oder tat beides, bis die Mieten oder nervige Nachbarn das immer mehr erschwerten: Wer seit mindestens 2011 around ist, hat da Unschönes mitbekommen.

„St. Pauli“, das steht hier für ein früher sogar mal exportfähiges, also junge, mithin verführbare Menschen koberndes Versprechen. „Raus aus dem Tal und nach Hamburg“, so hieß das mal beim Ostwestfalen Bernd Begemann. Klar, zwischen solchen Versprechen und der Wirklichkeit liegt einiges, auch den Kampf um eine Stadt für alle haben Die Handlung begleitet. So traten sie immer wieder unter der rostromantisch-schönen Sternbrücke am Rande des Schanzenviertels auf, von der Deutschen Bahn dem Abriss zugedacht.

„Ich bin ein deutscher Mann und über dreißig, und ich habe nicht viel erreicht; war auch nicht so fleißig, wenn man’s vergleicht“, heißt es im Stück „Französisches Mädchen“, zu finden auf dem vorletzten Album, „In dieser Stadt“ (2018). Gleich darauf wird Sänger Michael Mizzi Zimmermann seinen Ich-Erzähler davon träumen lassen, ein, eben, „Französisches Mädchen“ im Aufbruch zu sein: „Hey! Hey! Das sind die Sechzigerjahre – ich hab zum ersten Mal kurze Haare und ich scheiß auf euer Geld! Ja. Ich scheiß auf euer Geld!“

Eher nicht mehr selbstverständlich, so ein Rollenspiel, aber ein guter Beleg für den Willen zur Kunst. Die großteils von Zimmermann stammenden Texte greifen oft zu literarischen Mitteln, sind verspielt und doppelbödig und betonen vom vielleicht zu findenden Autofiktionalen den hinteren Teil.

Dazu inszenieren seine vier Mitmusiker – richtig geraten: zwei Gitarren, Schlagzeug, Bass – das Beste aus mehreren Jahrzehnten: Diese Typen haben Punk und Folgendes mit großen Löffeln abgekriegt, Joy Division, Sonic Youth, auch Nirvana haben tiefe Eindrücke hinterlassen. Heraus kommt aber gerade keine dunkelgraue Grimmige-Männer-Dystopie, davor bewahrt Die Handlung, dass sie um Chanson und unpeinlichen Schlager wissen oder um das Bedenkenswerte an der Neuen Deutschen Welle.

So war das Konzert am Freitag im Westwerk, einen gespuckten Kirschkern weit von St. Paulis Außengrenzen, eine bestens gelaunte Angelegenheit, Band und weite Teile des Publikums kannten sich, es herrschte Klassentreffen-Stimmung (angestrengte „Hamburger Schule“-Anspielungen entnehmen Sie eventuell der Lokalpresse). Ein neues Album sollte vorgestellt werden, „Zwischenzeit“. Das kündigt die Band seit Herbst 2023 immer wieder mal an; die Vinyl-Ausgabe – zwingend bei diesen Leuten, dieser Musik, diesem Publikum – konnte aber nur vorbestellt werden. Sollen andere gute Geschäftsleute sein, wir scheißen auf euer Geld!

Ehrenmitglied war an diesem Abend Ozzy Osbourne, er hatte zumindest die meisten Auftritte in den Ansagen. Am Ende gab es zwei, drei Zugaben, dabei, so Zimmermann, „schließt gleich das Millerntor, und dann kommt man nicht mehr nach St. Pauli rein“.

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