Politik: „Ich fühle mich verraten“
Sie ist 2013 mit ihrer Familie aus Syriengeflohen und studiert heute in Stuttgart. Seit zwei Jahren ist Aya Krkoutli Sprecherin der Grünen Jugend Baden-Württemberg und gegenwärtig bitter enttäuscht von der Mutterpartei und vonWinfried Kretschmann.
Von Johanna Henkel-Waidhofer
Frau Krkoutli, Wirtschaftsminister Robert Habeck hat beim Länderrat Ihrer Partei angesichts des Drucks von allen Seiten auf die Grünen Wolf Biermanns Liedzeile zitiert: „Du, lass dich nicht verhärten, in dieser harten Zeit.“ Angewandt auf den Asylbeschluss der Europäischen Union vom Samstag heißt das was?
Robert hat recht, wir sind in harten Zeiten, die Grünen werden von vielen Seiten scharf kritisiert, viele Menschen sind verunsichert. Wir hatten die Pandemie, wir haben wieder Krieg in Europa. Aber was heißt das? Dass wir unserer historischen Verantwortung nicht mehr gerecht werden, dass unsere Überzeugungen nicht mehr gelten? In der Asyldebatte haben unsere Regierungsmitglieder vergessen, dass wir nicht irgendwann, sondern im Bundestagswahlprogramm vor zwei Jahren entschieden haben, das Sterben im Mittelmeer beenden zu wollen. Und wir haben uns ausdrücklich auf ein Vorgehen an den Außengrenzen festgelegt, das keine vorgezogene Asylverfahrensprüfungen vorsieht, sondern allein einen ersten Check, ob es Einträge in sicherheitsrelevanten Datenbanken gibt. Ich habe eine ganz andere Definition davon, sich nicht verhärten zu lassen. Es stimmt, dass man keine große Zustimmung in der EU erfährt für eine humane, solidarische Flüchtlingspolitik und für die Eröffnung legaler Einwanderung.
Aber das war vor zwei Jahren auch schon so. Wenn wir jetzt unsere Position räumen, sind wir da hart, zu hart. Und wir öffnen einem weiteren Rechtsruck Tür und Tor.
Bei einem deutschen Nein wäre der EU-Asylkompromiss gescheitert.
Es hätte weiterverhandelt werden müssen. Und zwar auf Basis des Koalitionsvertrag der Bundesregierung. Darin ist eine wortwörtlich festgehalten, dass wir bessere Standards für Schutzsuchende in den Asylverfahren wollen. Wir wissen bis heute nicht, wie es überhaupt zu diesem Kompromiss kam. Da gibt es keine Transparenz und keine Rückkoppelung mit der Partei. Uns wurde im Vorfeld immer wieder erzählt, Deutschland werde, wenn es bei den Verhandlungen in Luxemburg eigene Positionen nicht durchsetzen könne, entweder ablehnen oder sich enthalten. Und dann kam plötzlich die Zustimmung. Das geht doch nicht.
Hätten sie abgelehnt, wäre die Aufregung groß gewesen.
Jetzt ist sie doch auch schon groß. Wir machen uns unmöglich vor Ort, in den Unterstützungsgruppen, in den Flüchtlingsräten, weil wir nicht zu unseren Versprechen stehen. Nicht die Basis ist schuld, wenn sie an Grundsätze erinnert, sondern die, die Grundsätze zur Disposition stellen. Natürlich sehe ich auch, dass in den Umfragen unsere Zahlen gerade sinken und die der AfD steigen. Aber der Gedanke, Rechts mit rechten Positionen zu bekämpfen, ist doch absurd.
Welche Rolle spielt bei dem Thema die Landtagswahl in Hessen? Jüngste Umfragen weisen eine Mehrheit für SPD, Grüne und FDP aus. Bundesinnenministerin Nancy Faeser, SPD, will Regierungschefin in Wiesbaden werden.
Ich weiß nicht, was sie sich gedacht und wie sie verhandelt hat. Ich weiß aber, dass viele Leute, die uns 2021 im Bund und im Land gewählt haben, jetzt ins Grübeln gekommen sind. Es würde uns sehr gut zu Gesicht stehen zu zeigen, dass Grüne weiterhin um europäische Mehrheiten ringen, gerade mit Blick auf Wahlen. Sich nicht von Rechten mitziehen zu lassen, das ist der richtige Weg.
Hat der Länderrat nicht versucht, um Verbesserungen in der Europäischen Asylpolitik zu kämpfen und die Zustimmung zu einem endgültigen Kompromiss vom Ergebnis solcher Verhand- lungen abhängig zu machen?
Auf jeden Fall war gut, dass die Partei so richtig gestritten hat. Das reinigt, das gehört auch zu uns. Niemand will, das wir uns zerlegen, aber es muss doch möglich sein, in für uns so zentralen Fragen zu ringen. Seit wir im Bund in Regierungsverantwortung sind, spielt die Partei keine oder eine viel zu geringe Rolle. Grundsatzdebatten sind nicht mehr gewünscht. Der Länderrat hat sich jetzt einstimmig positioniert und zwar gegen den Asylkompromiss.
Was bedeutet das für die Südwest-Grünen und die Landesdelegiertenkonferenz am 1. Juli in Kehl?
Hinter die Position des Länderrats kommen wir nicht zurück. Und persönlich freut es mich, dass sich für meine Kritik eine Mehrheit in der Partei gefunden hat und ich gar nicht allein stehe.
In der Landtagsfraktion?
Auch in der Landtagsfraktion gibt es unterschiedliche Stimmen zu diesem Kompromiss. Aber viele müssen jetzt zur Kenntnis nehmen, dass wir eine Mehrheit der Partei gegen den Kompromiss haben. Meine Position war und ist keine Minderheitsposition in der Partei, das hat der Länderrat gezeigt. Und selbstverständlich wird auch in Kehl über die migrationspolitische Ausrichtung diskutiert werden.
Auch über Ihren Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann und seinen Auftritt bei Markus Lanz, wo er den Asylkompromiss wortreich verteidigt hat?
Sicher. In seinen Äußerungen ist viel zu wenig grün drin. Und sie stehen offensichtlich konträr zu den Mehrheiten in der Partei.
Inwiefern?
Er unterstützt, dass in vielen Fällen nicht mehr inhaltlich geprüft werden soll, sondern nur noch die Zulässigkeit von Asylanträgen. Was soll da ein politisch verfolgter Mann aus einem der Länder mit geringer Anerkennungsquote machen, dem in seiner Heimat der Tod droht? Wie kann er um seine Rechte kämpfen, wenn seine Ansprüche individuell gar nicht mehr geprüft werden? Es ist außerdem nicht zu rechtfertigen, dass Familien mit Kindern ab zwölf in diese Haftlager an den Außengrenzen kommen. Vor allem aber hat mich diese Haltung gegenüber Menschen grundsätzlich empört, die extrem traumatisiert sind durch Krieg, Verfolgung oder Hunger. Und die Aussage Kretschmanns, es handle sich doch gar nicht um Haft, weil die Menschen ja umkehren und zurückgehen können, stimmt nicht. Flucht ist doch keine Abenteuerreise.
Sie sind selbst 2013 mit ihrer Familie aus Syrien geflohen.
Für mich ist es, ehrlich gesagt, fast peinlich, von meiner Geschichte zu erzählen, weil ich sehr privilegiert war. Meine Eltern haben sich früh für die Flucht entschieden. Sie haben ein Schengen-Visum beantragt und tatsächlich auch bekommen. Wir wurden von der Ausländerbehörde mit offenen Armen empfangen und hatten innerhalb von einer Woche einen Aufenthaltstitel. Ich habe aber enge Freundinnen mit einer ganz anderen Geschichte. Viele, die Syrien nach 2015 verlassen wollten, hatten kaum eine andere Chance, als ihr Leben für sehr viel Geld Menschen anzuvertrauen, die verlangen: „Sie steigen in dieses Schlauchboot, auch wenn nicht genügend Schwimmwesten vorhanden sind.“ Ich kenne eine Frau, eine alleinerziehende Mutter, die ihren behinderten Sohn im Boot die ganze Zeit auf den Schulter getragen hat. Die Geschichte bringt mich zum Weinen. Ich kann mir nicht vorstellen, wie Winfried Kretschmann, wie Annalena Baerbock oder Nancy Faeser solche Fälle nicht im Kopf haben können. Wie kann man da nachts noch gut schlafen angesichts des großen Leids. Wenn ich so etwas höre, fühle ich mich – vor allem als Geflüchtete – von meiner eigenen Regierung, von den Menschen, für die ich mit viel Freude Wahlkampf gemacht habe, extrem verraten.
Wolf Biermann singt auch: „Das Grün bricht aus den Zweigen, wir woll‘n das allen zeigen, dann wissen sie Bescheid.“ Sehen Sie Grund zum Optimismus?
Ich bemühe mich. Ich versuche, das Positive am Länderratsbeschluss zu sehen, dass Kriterien beschlossen sind. Ich denke über Utopien nach und darüber, was wir alles mit Solidarität und Vernunft erreichen könnten. Aber ich glaube, dass beim Asylkompromiss kein Grün mehr aus den Zweigen bricht, sondern dass unsere Regierungsmitglieder zustimmen werden. Das nimmt mir den Optimismus, weil diese Entscheidung dazu führen wird, dass die Flucht nach Europa noch gefährlicher wird. Irgendwann werden Verantwortungsträger:innen erkennen, dass sie den falschen Weg eingeschlagen und sehr vielen Menschen Leid zugefügt haben. Denn es werden noch mehr Menschen übers Mittelmeer fliehen und sterben. Und deren Tod dürfen wir Grüne nicht mitverantworten.
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