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Archiv-Artikel

Ich bin mal kurz da drin ...

Monumente für Minuten

Es geht ziemlich schnell: Aus einer silbernen Kiste wächst eine Blase. Sie ist aus Folie, groß wie ein Festsaal und so robust, dass 100 Menschen in ihr feiern können. Das Gebilde heißt „Küchenmonument / Ballsaal Ruhrperle“ und ist ein Bauwerk auf Zeit.

Entwickelt hat es die Architekten-Gruppe Raumlabor aus Berlin. Gerade sind einige ihrer Projekte im deutschen Pavillon der Architekturbiennale in Venedig ausgestellt.

taz: Ihr macht Kurzzeit-Projekte, wie das „Küchenmonument“ oder das temporäre „Hotel Bergkristall“. Was hat das alles mit Architektur zu tun?

Jan Liesegang: Das sind alles Architekturen. Sie sind nur temporär. Man sollte den Begriff Architektur nicht so einschränken. Wir setzten uns mit dem öffentlichem Raum auseinander und der bezieht sich auch auf Kunst, Politik und Gesellschaft. Wir fragen: Was macht man mit dem öffentlichen Raum? Wie ist überhaupt das Leben in der Stadt organisiert? Und wie lassen sich bestehende Grenzen brechen?

Und wie brecht ihr bestehende Grenzen?

Ein Beispiel war die Aktion „White Spots“. Im Stadtquartier Giesing in München haben wir mit einer Flotte silberner Autos die Parkplätze des Wohngebiets um das Gefängnis zugeparkt. Das veränderte Stadtbild hat die Menschen erstaunt, viele dachten an eine Werbeaktion. Aber teilweise waren die Leute so verärgert, dass Kratzer von Schlüsseln in den Autos waren.

Eure Arbeit wird oft als „guerilla-urbanism“ bezeichnet. Was bedeutet das?

„Guerilla-Stadtplanung“. Den Begriff haben wir selbst für einige unserer Arbeiten benutzt. Zwar sind unsere Projekte geplant, abgesprochen und in ein Konzept eingebunden, aber wir setzen sie einfach irgendwo in die Stadt. Wir benutzen Orte völlig anders, als sie ursprünglich gedacht sind. Manchmal auch anders als es erlaubt ist.

Was war denn nicht erlaubt?

Unser „Hotel Bergkristall“ vor dem Palast der Republik war beim Bauamt eigentlich als Rezeption angemeldet. Aber in den kristallförmigen Räumen befanden sich Hotelzimmer, in denen Leute übernachtet haben.

Wie wirken eure Guerilla-Taktiken?

Leider erleben relativ wenige Leute ein Projekt live mit. Aber unsere Arbeiten wirken auch durch Weitererzählen. Wenn Leute von ihren Nachbarn hören, wie wir die Räume nutzen, die sie kennen, fördert das eine Offenheit im Umgang mit Stadt.

Wer beauftragt euch?

Das „Küchenmonument“ entwickelten wir zum Beispiel für das Duisburger Akzente-Festival 2006. Wir sollten uns mit dem Themen Identität und Glauben auseinander setzen.

Viel philosophischer Überbau für eine Küche...

Uns schien die Küche der beste Raum für die beiden Phänomene zu sein. Sie ist ein privater und intimer Raum, der zur Identitätsbildung beiträgt und gleichzeitig Gastlichkeit ausstrahlt. Wir wollten das Gefühl Küche an verlorene Orte übertragen, an denen niemand sein will. Unter Autobahnbrücken zum Beispiel. Weil es solche Orte überall gibt, ist das Küchenmonument auch transportabel.

Ist das die Architektur der Zukunft? Bauen in Bewegung?

Das weiß ich nicht, aber das Gefüge der Gesellschaft ist fragiler geworden. Man muss heute generell flexibler sein. Das beeinflusst auch die Art, wie eine Stadt funktionieren muss. Aber da steckt noch viel in alten Strukturen. In Berlin zum Beispiel wird oft groß gebaut: Geschäftshäuser, Büros. Das repräsentiert meiner Meinung nach etwas Zurückgewandtes, eine gediegene Bürgerstadt mit klaren Forderungen von außen und innen. Das ist total unpassend für eine so lebendige Stadt wie Berlin.

Änderungsvorschläge?

Wir haben für die Architekturbiennale die Postkarte „Die plötzliche Stadt“ gemacht. Sie zeigt ein Modell all unserer Projekte zu einer „Raumlaborstadt“ zusammengefasst. Das soll nicht heißen: So stellen wir uns die neue Berliner Mitte vor, aber dass wir alle Gebäude darauf abgerissen haben – außer dem Palast der Republik –ist schon ein Statement. Es ist nicht in Ordnung, dass hier wieder einmal Geschichtsrevision betrieben wird. Man sollte allerdings nicht immer nur über so prominente Fälle wie den Palast diskutieren. Es gibt so viele andere Orte in der Stadt, die auch problematisch sind, wo man aber wirklich Chancen hat, etwas zu erreichen. Infos zum Raumlabor: www.raumlabor-berlin.de

Interview

Melanie Fuchs