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Ich bin keine politische Jungfrau

■ Ein Gespräch mit dem südafrikanischen Sänger Johnny Clegg, der zur Zeit durch die Bundesrepublik tourt

Harald Fette

Am Ostermontag übertrugen Fernsehstationen rund um den Erdball das zweite Nelson-Mandela-Konzert aus dem Londoner Wembley-Stadion. Star des Abends waren dabei nicht so sehr die Popstars, sondern Mandela selbst. Mit von der Partie bei dieser Mammut-Veranstaltung war der Südafrikaner Johnny Clegg, der mit seinem Song „One man, one vote“ thematisierte, worauf es ihm in seinem Land ankommt.

Johnny Clegg gehört neben Hugh Masekela, Abdullah Ibrahim und Miriam Makeba zu den Künstlern Südafrikas, die mit ihrer Musik soziale und politische Realitäten verändern wollen. Seine Biographie liest sich wie die Familiengeschichte eines Weltbürgers: Johnnys Mutter kam in Simbabwe, damals noch Rhodesien, zur Welt. Die Großmutter, eine russische Jüdin, stammt aus Litauen. Er selbst wird in England geboren, kommt aber im Alter von sechs Monaten nach Simbabwe, dort wächst er auf der Farm seines Großvaters auf. Als Siebenjähriger zieht Clegg nach Südafrika, mit neun nach Sambia, wo er nach eigener Auskunft - in „keine rassistische Schule“ geht. Zwei Jahre später zieht die Familie wieder nach Südafrika, seither Cleggs erste Heimat. Street Music begeistert den jungen Clegg. „Das ist Musik“, erklärt er, „die auf den Straßen gespielt und weiterentwickelt wird. Es ist die urbane Folklore in Südafrika, die Musik des Volkes, die dort in den Straßen weitergegeben wird. An Wochenenden beispielsweise, wenn sich die Gebäudereiniger auf den Dächern von den Apartments versammeln, die sie gerade bearbeiten und dort musizieren.“

Er studiert Anthropologie, lernt Zulu und traditionelle Tänze. Seine Tänze sind mit akrobatischen, auf Zulu-Tänzen beruhenden Einlagen gespickt. 1979 gründet er zusammen mit seinem langjährigen Freund Sipho Mchunu „Juluka“, eine Band mit schwarzen und weißen Musikern. Mit Juluka gelingt Mchunu und Clegg eine Fusion aus schwarzer Street Music und elektrifiziertem Rock. Die Band übersteht den nervenaufreibenden Kleinkrieg mit Regierung und Behörden Südafrikas. 1986 allerdings zieht sich Mchunu auf die Farm seines Vaters zurück. Clegg gründet mit Musikern und Musikerinnen von Juluka die Nachfolgegruppe Savuka, zu deutsch: Wir haben uns erhoben. Immer wieder taucht der Name Clegg in politischen Zusammenhängen auf. Er gehört zu den Begründern der SAMA (South African Musicians Alliance), einer Vereinigung, die in Südafrika für eine gemischtrassische Gesellschaft kämpft. Am „Culture against Apartheid„-Symposium in Athen 1988 nimmt er teil, neben Jerry Dammers, Glenda Jackson, Maximilian Schell, Harry Belafonte und Little Steven.

taz: Was ist „Street Music“?

Johnny Clegg: Die „Street-Gitarre“ ist afrikanisiert. Dabei wird die E-Saite in D umgestimmt, die oberen drei Saiten werden mit dem Daumen wie ein Baß bespielt. Aber der Daumen spielt nicht nur den Baß, sondern auch den Rhythmus. Mit dem Zeigefinger spielt der Zulu-Street-Gitarrist die Melodie, auf den unteren drei Saiten; allerdings spielt er auf diesen Saiten auch den Gegenrhythmus. Dazu singst du etwas völlig anderes als das, was du spielst. Es gibt keine Akkorde, es werden nur verschiedene Töne gegeneinander gespielt. Die Finger bewegen sich ständig.

Vielleicht wird im Publikum für die Musiker und Musikerinnen gesammelt, aber Geld ist nicht das Wichtige. Der Antrieb begründet sich aus etwas, das „Oudume“ genannt wird: Mit dem eigenen Namen berühmt werden. Die wörtliche Übersetzung für dieses Wort lautet: Wie der Donner.

An manchen Wochenenden gibt es in den Arbeitervierteln Wettkämpfe unter den Musikern, manche kaufen vorher spezielle Voodoo-Medizin, um zu gewinnen. In der Musik werden Kommentare zum Alltag gegeben. Ganz wichtig ist dabei der Humor. Wie schwierig die beschriebene Situation auch ist, sie wird in einen Witz umgemünzt.

Unter welchen Bedingungen arbeiten Künstler in Südafrika?

In den 80er Jahren führte die Regierung auf kulturellem und sozialem Bereich begrenzte Reformen durch, während in der Ökonomie und der Politik die Klappen dicht gemacht wurden. So ergibt sich ein widersprüchliches Durcheinander. Rassentrennung gibt es bei Konzerten nicht mehr, wir spielen in Hallen vor schwarzem und weißem Publikum. In Hotels oder Restaurants gehen Schwarze und Weiße zusammen zum Essen. Südafrika-Touristen sehen dies als Erfolg der Reformen. Aber sie sehen und hören nichts von den über 30.000 Menschen, die ohne gerichtliche Verhandlung in Haft gehalten werden. Seit 1978 wurden 61 Anti-Apartheid-Aktivisten ermordet. Am ersten Mai traf es einen unserer führenden Organisatoren der South African Musicians Alliance. Auch unsere erste Präsidentin der SAMA empfing in ihrer Amtszeit ständig Morddrohungen. Konzerte werden verboten. Mit anderen Worten: Eingeschränkte Reformen werden durch Repression begleitet.

Trotzdem gibt es momentan viel Hoffnung unter uns. Denn selbst diese Reformen haben etwas bewirkt, was die Regierung nicht erwartet hatte. In manchen Situationen hat die demokratische Bewegung die Oberhand bekommen. Das ist momentan wie eine starke Kulturmacht: der Musikerverband, der Theaterverband, der Verband der Filmschaffenden und der Arbeiter sind auf kulturellem Gebiet die dominierenden Kräfte in Südafrika.

Wie werden Musikerinnen und Musiker für die demokratische Bewegung aktiv?

Hauptsächlich, indem wir Benefiz-Konzerte geben: Die Menschen merken, daß unsere Musik mit der politischen Realität zusammenhängt. Manchmal ist das schwierig, das Publikum krakeelt dann, wir sollten unsere Lieder singen. Phantastisch ist es bei Großversammlungen, aber dann predigst du zu den Bekehrten. Ich glaube, von der Protest -Politik der 70er Jahre bewegen wir uns in Südafrika immer weiter weg.

Unterstützt du die Politik des Kultur-Boykotts?

Ich habe einen totalen Boykott Südafrikas nie unterstützt, weil darin nicht zwischen der Kultur der Unterdrückten und der Kultur der Unterdrücker unterschieden wird. Viele Anti -Apartheid-Aktivisten erhielten von zwei Seiten Druck. Sie wurden in Südafrika eingeschränkt, sie wurden verboten, ihre Arbeiten wurden zensiert. Als sie dann ins Ausland gingen, wurden einige von ihnen boykottiert. Seit 1987 debattieren wir in Südafrika in der demokratischen Bewegung die Idee eines selektiven Boykotts. Allmählich hat uns die Zusammenarbeit und das viele Debattieren in eine mächtige Position gebracht. Wir haben einen Boykott, der die Kultur der Apartheid als Feind kenntlich machte. Wir haben auch einen Boykott, der gewisse Kontakte zuläßt und der South African Musicians-Alliance innerhalb von Südafrika ermöglicht, den Boykott öffentlich zu unterstützen. Das ist das Neue: Die Menschen verlassen sich in Südafrika nicht mehr nur auf die UNO und auf die Anti-Apartheid-Bewegungen außerhalb.

Wenn du auf Tournee bist, setzen sich die Anti-Apartheid -Komitees mit dir in Verbindung. Wie nimmst du die verschiedenen Schwerpunkte auf, mit denen diese an dich herantreten?

Der ökonomische Boykott beinhaltet eine ausufernde Debatte. Ja, ich möchte der südafrikanischen Staatsökonomie schaden, und ich möchte die Wirtschaftspolitik des Apartheid-Regimes isolieren. Aber ich frage mich, wie das erreicht werden kann, ohne daß wir mehr zu leiden haben. An diesem Punkt zeichnet sich keine Lösung ab. Aber diese Diskussion wird stärker in den Gewerkschaften und in der Kirche geführt, ich bin damit weniger befaßt.

Du mußt mit Widersprüchen leben, die lassen sich nicht umgehen. Oft finden sich Situationen, in denen du in einer unangenehmen Lage bist. Aber ich bin vor diesen Problemen nie weggerannt. Ich bin keine politische Jungfrau. Ich lebe in einer Welt voller Widersprüche, gerade jetzt in Südafrika. Südafrika bereitet sich auf Verhandlungen mit dem ANC vor. In den letzten zehn Jahren hat es, was die Zukunft Südafrikas angeht, nie soviel Optimismus gegeben wie jetzt.

Tourneedaten:

14.Mai Saarbrücken, Kongreßhalle

15.Mai Augsburg, Schwaben halle

16.Mai Göttingen, Outpast

17.Mai Münster, Jovel.

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