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Archiv-Artikel

„Ich bin kein Musikbeamter“

Christopher von der Deylen (31) beschert mit seinem Danceprojekt „Schiller“ den gestressten Büromenschen jenseits der zwanzig virtuelle Reisen nach Feierabend. Seine Musik soll keine Botschaft haben, sondern Gefühle verstärken. Das klingt alles sehr deutsch. Und so ist es auch gemeint

INTERVIEW JAN FEDDERSENUND TOBIAS RAPP

taz: Herr von der Deylen, Sie haben Ihr Danceprojekt nach dem Dichter Friedrich Schiller benannt. Wie sind sie auf den Namen gekommen?

Christopher von der Deylen: Das fing alles mit einem Zufall an. Die erste Single 1998 hieß „Das Glockenspiel“. Der Titel war klar, weil es ein Instrumental mit einem Glockenspiel war. Und dann kam die Frage nach einem Bandnamen auf. Wir haben rumgedruckst und dachten uns, Glockenspiel, Glocke, Schiller: Lass uns Schiller nehmen. Dadurch hat sich dann alles so ergeben. Die Vision ist, Schiller als Kontrapunkt zum so genannten Mainstream zu sehen. Wobei Schiller ja selbst Mainstream ist, das wird oft übersehen. Von den Rückmeldungen, die ich bekomme, sei es bei Konzerten oder sei es via E-Mail, ist Schiller eine Musik, die die schweigende Mehrheit anspricht. Leute, die über zwanzig sind, aber nicht einsehen, weshalb sie deshalb nun Pur oder Andre Rieu hören sollen.

Sie legen Wert darauf, dass Ihre Musik besonders deutsch klinge. Können Sie umreißen, was Sie damit meinen?

Das ist so, weil es anders gar nicht geht. Ich habe keinen deutschen Sound entwickelt und ich versuche auch nicht, meine Musik einem solchen unterzuordnen. Es ist einfach das, was ich schon immer machen wollte. Die Zuschreibung kam eher von außen, dass man mir sagte, das klingt irgendwie deutsch. Ich würde mich nie mit Kraftwerk vergleichen, aber es wurde oft gefragt, wie man das denn beschreiben könnte, und da haben dann Leute gesagt, für sie klänge Schiller wie eine Mischung aus Kraftwerk, Enigma und Tangerine Dream und Pink Floyd. Dem widerspreche ich nicht. Ich bin deutsch, ich bin mit Musik deutscher Prägung aufgewachsen, in den Siebzigerjahren. Ich hab damals Tangerine Dream, Kraftwerk und Jean Michel Jarre gehört.

Sie arbeiten gerne mit Synthesizerflächen, Ihre Musik hat etwas Sphärisches. Ist es das?

Richtig. Und wenn ich das ein bisschen böswillig formulieren darf, dann würde ich sagen, Schiller ist der Sieg der Form über den Inhalt. Jedes Stück hat maximal drei Akkorde. Schiller besticht durch Sound, nicht durch komplizierte Akkordwendungen. So entsteht die Musik ja auch, zuerst ist der Sound da, dann die Melodie.

Was hören Sie in Ihrer Musik, was wir nicht hören können? Was für ein Herzensstrom wird da bewegt?

Ich hoffe nichts. Das hat ja was mit Gefühlen zu tun, ich fühle was dabei.

Was hat Ihnen an Jean Michel Jarre gefallen?

Dass seine Musik relativ offen war. Bei Jarre war die Melodie ja nur fragmentarisch vorhanden, aber mich beruhigte das. Das hat mich weggetragen, dazu konnte ich mir viel vorstellen. Das hat Sehnsüchte geweckt.

Können Sie benennen, was das für Sehnsüchte waren? Haben Sie Bilder gesehen?

Ja, aber immer andere. Die Musik ist sehr, sehr stimmungsverstärkend. Nicht stimmungserzeugend. Es ist nicht so, dass ich schlecht drauf bin, und dann höre ich Jarre und dann geht’s mir besser. Wenn ich traurig war, hat das Jarre noch verstärkt. Wenn ich euphorisch war, hat mich dieser hymnenhafte Charakter dann noch euphorischer gemacht. Ich hoffe, dass das bei Schiller ähnlich ist. Dass die Musik keine Stimmung vorschreibt – ich hasse ja Texte eigentlich. Finde ich sehr schwierig. Gerade bei der englischen Sprache, da hat man ja ein anderes Verhältnis dazu, da hört man ja auf den Sound, aber nicht auf den Inhalt. Deutsch ist ja viel schwieriger. Man kann sich der Bedeutung nicht entziehen. Man kann nicht weghören.

Ihre Lyrics funktionieren ja nicht über Songstrukturen, es werden keine Geschichten erzählt. Sie funktionieren über Begriffe: Reise, Sehnsucht, Liebe. Da wird eine Stimmung erzeugt.

Genau.

Die Deutschen lieben Sehnsüchte, keine Geschichten. Ist es das?

Ob das allen Deutschen so geht, kann ich nicht beurteilen. Bei mir ist es jedenfalls so. So eine Grundmelancholie …

German Schlager …

Ja. Gerade der Schlager der Siebzigerjahre ist ja aus heutiger Sicht todtraurig, „Griechischer Wein“ oder so etwas. Wenn man das Kultige und den ganzen Mummenschanz da mal weglässt, dann bleibt da ein extrem berührendes Lied mit einem herzzerreißenden Text übrig. Das würde die Menschen heute überfordern. Das wäre heute zu viel. Das wäre zu tief. Oder Flippers. Die machen zwar auf lustig, so mit Hawaiihemd und so, aber durch die Musik zieht sich doch eine tiefe Sehnsucht. Die wollen weg. Da gibt es dieses Fernweh. Für die einen ist es Rhodos, für die anderen Barbados. Hauptsache weg.

Haben Sie eine musikalische Ausbildung?

Ja, als ich sechs Jahre alt war, habe ich von meinem Opa ein Klavier geschenkt bekommen. Ich hab Klavierunterricht bekommen, aber als ich so 10, 11 war, hatte ich dann natürlich andere Interessen und habe damit wieder aufgehört. Mit 16 hab ich dann wieder angefangen und einen Klavierlehrer gefunden, der sehr an elektronischer Musik interessiert war, und nach ein paar Stunden habe ich dann gar nicht mehr Klavier gespielt, sondern an seinen Synthies rumgebastelt. Das ist die musikalische Ausbildung. Eine andere habe ich nicht. Ich wollte in Detmold Musik studieren, bin aber vor 15 Jahren durch die Aufnahmeprüfung gefallen und dachte mir dann: Jetzt mach ich was Ordentliches. Ich habe dann angefangen BWL zu studieren, aber rasch zu angewandten Kulturwissenschaften gewechselt. Nach der Zwischenprüfung für den Magister hatte ich dann meine erste Platte am Start und musste das Studium leider abbrechen.

Interessant, dass Sie BWL studiert haben. Uns kommt Schiller ein wenig so vor wie das abendliche Fluchtprogramm für einen Büroalltag, als würde da eine Sehnsuchtslandschaft gebaut.

Das ist auch Flucht vor mir selbst. Ich bin sehr diszipliniert. Ich bin heute morgen um sieben aufgestanden, ich bin sehr ehrgeizig, sehr konsequent, verlange mir viel ab und ich kann mich auch nicht so richtig freuen. Über Erfolg etwa. „Weltreise“ war auf Platz eins, ich hab einen Echo, meine Goldene Schallplatte ist immer noch eingepackt in der Folie, ich habe die nicht aufgehängt. Klar ist da so ein Kontrapunkt in der Musik.

Worüber würden Sie sich denn freuen? Viele Musiker werden neidisch sein auf die Goldene Schallplatte. Und Sie stellen sich hin und sagen: Das bedeutet mir nichts.

Na ja, ein bisschen gefreut habe ich mich schon. Was ich sagen wollte, war eher: Ich kann mich nicht zurücklehnen und sagen: So, jetzt habe ich das erreicht, jetzt mache ich mich locker. Ich bin dann schon wieder woanders. Ich kann nicht innehalten. Die Zukunft ist mir wichtiger.

Aber was bringt denn Ihr Herz zum Glühen? Können Sie sich an einen Moment erinnern, in dem Sie glücklich waren?

Das hört sich vielleicht abgedroschen an, aber der erste Moment, der mir da einfällt, ist, als ich 2001 zum ersten Mal vor einer Hand voll Leute auf einer Bühne stand. Da waren 150 Menschen, im Rahmen von so einem Arte-Showcase. Die eigene Musik auf einer Bühne darbringen, das war der schönste Moment in meinem Leben. Wunderschön. Das war Glück pur. Ich würde alle Auszeichnungen sofort dafür zurückgeben, wenn ich dieses erste Mal noch einmal erleben dürfte. Für mich steht beim Musikmachen überhaupt nicht dieses Prominentwerden im Vordergrund. Ich weigere mich, prominent zu werden. Das ist ja auch Musik, die das gar nicht braucht. Ich finde das abwegig, Musik zu machen, um ins Fernsehen zu kommen.

Haben Sie einen Hang zum Kontrollfreak?

Kann ich nicht verneinen.

Sie kommen aus der grünen Hölle, der Lüneburger Heide, zwischen Hamburg und Bremen. Und Ihre Musik liest sich so ein bisschen wie ein deutscher Roman, wie der Versuch, sich dem Schweiß zu verweigern, die Natur zu bezwingen um zu einer Spur zu kommen, wo dann Sex auch eher eine theoretische Veranstaltung ist. Das kommt uns alles sehr deutsch vor.

Ja, das ist alles zutreffend. Aber es ist kein Konzept. Ich habe keine geheime Liste mit deutschen oder vermeintlich deutschen Kriterien, der dann alle Schiller-Stücke unterworfen werden, damit es auch passt. Ich kann das gar nicht anders. Wenn das den Leuten nicht gefallen würde und mir würde jemand sagen, ich hätte viel mehr Erfolg, wenn ich es anders machen würde, dann würde ich sagen: Ich bin kein Musikbeamter. So ist das nun mal. Das hat auch gar nichts mit Stolz zu tun.