: Ich bin eine Sängerin
Auch Sinead O'Connor will so bleiben, wie sie ist. Und auch sie darf. ■ Ein Interview von Christoph Becker
Eine Sängerin ist eine Sängerin ist eine Sängerin. Leicht war es nicht, an Sinead O'Connor heranzukommen, in keiner Hinsicht. Trotzdem kam es im Lauf des Gesprächs zur Beantwortung von Fragen. Haben die Popsänger das Erbe der korrupten Politik angetreten? Und sind unsere Politiker deswegen so korrupt, weil sie allesamt als Kinder mißhandelt wurden? Unser Autor traf Sinead O'Connor im Dresdner Hilton.
taz: Ihre neue Platte „Am I Not Your Girl?“ ist eine Überraschung: elf bekannte Stücke aus verschiedenen Musicals von „Don't Cry For Me Argentina“ bis „I Want To Be Loved By You“. Stemmen Sie sich gegen die Erwartungen von Öffentlichkeit und Musikbusineß nach dem Millionenerfolg Ihrer letzten Platte?
Sinead O'Connor: Der einzige Grund war, daß ich diese Stücke mag und daß ich Spaß haben wollte. Was sollte es sonst sein?
Es gibt unendlich viele Gründe, Musik zu machen. Bisher haben Sie zumeist eigene Songs aufgenommen. Auf diesem Album interpretieren Sie berühmte Standards vergangener Jahrzehnte. Dahinter könnte man ein Statement gegen das Popgeschäft vermuten; oder die Erkenntnis, daß vor fünfzig Jahren bessere Musik komponiert wurde.
Wenn irgendjemand zu irgendeinem Zeitpunkt aus irgendeinem anderen Grund Musik macht, als daß er die Musik liebt, dann sollte er es sein lassen.
Haben Sie selbst neue Songs geschrieben?
Ja.
Genug für eine Platte?
Das geht nur mich etwas an.
Auf der ersten Seite Ihres CD- Booklets steht die eigenartige Frage: „Ou est le rot perdu? (If you're out there — I want to see you)“. Was bedeutet das?
Auch das ist persönlich.
Wenn es persönlich ist, wieso schreiben Sie es dann auf Ihre Platte, die millionenfach gepreßt wird?
Damit es die eine Person, die es sehen soll, bemerkt.
Alle Songs auf Ihrem Album sind von Männern komponiert und von Frauen interpretiert worden. Hat das eine Bedeutung für Sie?
All diese Stücke sind wunderschön. Schon als Kind habe ich diese Stücke geliebt, sie boten mir eine Fluchthilfe aus dem Mist, der um mich herum vorging. Wegen dieser Stücke beschloß ich, Sängerin zu werden. Ich schreibe Songs und mache Musik, weil es Dinge gibt in meinem Kopf, die ich abarbeiten muß. Mit diesem Album habe ich einen Teil meiner Vergangenheit abgearbeitet. Für mich zeigen all diese Stücke ein tiefes Verständnis von Frauen, auch wenn sie von Männern geschrieben wurden. Vielleicht wurden diese Songs deshalb von Frauen wie Billie Holiday, Ella Fitzgerald, Marilyn Monroe, Doris Day oder Sarah Vaughan so tief empfunden interpretiert.
Ein wohl eher infantiles Stück wie „I Want To Be Loved By You“, das Marilyn Monroe berühmt gemacht hat, oder eine Schnulze wie „Don't Cry For Me Argentina“ von Andrew Llloyd- Webber kann für Sie ein tiefes Verständnis von Frauen repräsentieren?
Jemand, der einen solch sensiblen, zarten und schönen Song wie „Don't Cry For Me Argentina“ schreibt, ist in meinen Augen ein guter Mensch.
Haben Sie Andrew Lloyd-Webber einmal getroffen?
Nein.
Glauben Sie, daß Kunst aus Schmerz entsteht?
Ja, ich glaube, daß Kreativität und Schmerz miteinander zu tun haben. Die Kreativität eines Menschen entsteht aus seinen Erfahrungen, aus seinem Leiden.
Wie entwickeln Sie Ihren Gesang, Ihre Phrasierung? Wie gehen Sie an eine Melodie heran? Intuitiv? Oder ist das ein intellektueller Prozeß?
Ich singe einfach. So wie ich spreche. Sprechen ist einfach. Singen also auch. Ich finde, Singen sollte kein intellektueller Prozeß sein. Singen kann Arbeit sein, aber nie intellektuell.
Was bedeutet Musik für Sie?
Vibrationen. Wellen, die der Körper verarbeitet. Und Farben. Ich sehe Farben, wenn ich Musik höre.
Im Video zu Ihrer ersten Single „Success“ übersetzen Sie den Text in Gebärdensprache.
Viele gehörlose Menschen können die Vibrationen — und nichts anderes ist Musik — spüren. Also wollte ich ihnen auch die Schönheit des Textes, die Schönheit der Wörter zugänglich machen. Jeder Mensch sollte Gebärdensprache lernen. Ich habe einen Lehrer in London und nehme Unterricht.
Ist es für eine international arbeitende Popmusikerin heutzutage möglich, Botschaften zu transportieren, die nicht zu einer inhaltsleeren Pose, zu einem bloßen Zeichen auf der weltweiten Pop- und Medienfolie werden?
Ich rechne mich nicht zur Popkultur. Ich bin eine Sängerin. Um die Menschen zu erreichen und Informationen weiterzugeben, die ich weitergeben möchte, benutze ich die Mittel der Popkultur wie beispielsweise MTV. Ich mache aber einen großen Unterschied zwischen Popkultur und Musik. Es gibt Musik, und es gibt Pop. Wahrheit und Lüge. Kunst und Materialismus.
Ihre neue Platte ist eine sehr manirierte Zusammenstellung von Aufnahmen amerikanischer Musical-Songs. Reflektieren Sie mit Ihrer Musik noch Ihre irische Herkunft, oder sehen Sie sich als international verfügbarer Medienstar — mit den entsprechenden Zwängen und Einschränkungen?
Was ist ein Medienstar?
Jemand, dessen Platten in einer Millionenauflage in andere Kulturen transportiert und dort verbreitet werden und der damit eine Menge Geld verdient.
Tue ich das?
Wenn Sie, Sinead O'Connor, kein Geld verdienen, haben Sie einen schlechten Vertrag.
Ich bin Irin. Ich bin in Irland aufgewachsen. Und sobald ich den Mund aufmache, bin ich Irin. Mein Akzent ist unüberhörbar. Meine Stimme ist irisch. Meine Art zu singen ist irisch. Egal, ob ich amerikanische Stücke, irische Folklore oder eigene Stücke singe, ich klinge irisch.
Was ist die Charakteristik einer irischen Simme?
Ich denke, „klagend“ oder „trauernd“ ist das passende Wort.
Sie haben Ihren Mythos, Ihr Image als Künstlerin selbst geschaffen, denn Sie besitzen volle Kontrolle über Ihre Karriere, wie Sie stets betonen.
Das Wort „Image“ klingt wie ein Zustand, den man sich aneignen will, der nichts mit der Wahrheit zu tun hat. So arbeiten die meisten Leute im Musikbusineß. Ich hingegen bleibe ich selbst. Die einzige Zeit, in der ich hundertprozentig ich selbst bin, liegt in der Musik. Ob auf der Bühne oder im Studio. Das bin ich. Alles andere, ob hier im Interview, auf der Straße oder wo auch immer, ist nur ein Teil von mir. Nur wenn ich singe, bin ich komplett. Nur dann laufe ich auf allen vier Triebwerken.
Samstag vor zwei Wochen waren Sie zu Gast in der amerikanischen Fernsehshow „Saturday Night Live“, wo Sie bei der Interpretation eines Liedes von Bob Marley während der Zeile „We have confidence in the victory of the good over the evil“ ein Foto des Papstes zerrissen und gerufen haben: „We must fight the real enemy“. Ist es spannend, einen Skandal zu provozieren?
Ich war ein bißchen nervös, aber es hat Spaß gemacht.
Mit Ihrem moralischen Anspruch als Künstlerin, den Sie vor knapp zwei Jahren öffentlich formuliert haben, als Sie den Grammy ablehnten, stehen Sie für eine neue Generation von MusikerInnen, die sich als politisches Sprachrohr betrachten und ihren Status nutzen, um unablässig Statements zur Weltlage abzugeben. Dieses Bewußtsein paßt durchaus in das Geflecht moderner Kommunikationstheorien, die — ob der Vernetzung des Privaten — eine Verdrossenheit gegenüber der Politik und schließlich eine Redundanz des Politischen ausmachen. Hat die Clique multinational agierender Popmusiker die Verdrossenheit erkannt und versucht nun, diese — via Audiovision — zu nutzen? Oder ersetzen Popmusiker allmählich die moralisch abgewirtschafteten Politiker auf der internationalen Medienbühne? Sind Sie ein moralisches Vorbild?
Ich habe eine große Verantwortung gegenüber allem, was ich sage oder tue, da ich eine öffentliche Person bin. Ich habe Einfluß auf das Tun und Denken von Menschen, ob ich es mag oder nicht. Ich muß vorsichtig sein mit den Botschaften, die ich meinem Publikum gebe.
Muß Musik denn Botschaften transportieren?
Musik ist eine Botschaft. Musik ist der Ausdruck der Gefühle des Menschen.
Man könnte auch die Idee vertreten, daß Musik keine Bedeutung trägt. Musik ist Schwingung, Vibration, wie Sie selbst bemerkten. Musik ist Musik, nichts sonst.
Wenn das wahr wäre, würde Pepsi-Cola nicht mit uns werben wollen.
Das wiederum ist Popkultur.
Musik ist nicht bloß Musik, sondern der Ausdruck menschlicher Gefühle und somit politisch. Musik drückt den menschlichen Schmerz aus, der aus Politik resultiert. Musik spricht die Wahrheit, Politik ist Lüge.
Zu einem Ihrer Hauptanliegen der letzten Zeit haben Sie die Bekämpfung von Kindesmißhandlungen gemacht. Dazu zitieren Sie gerne provokante Passagen aus dem Werk von Alice Miller und anderen PsychologInnen. Beispielsweise sagten Sie, daß die Ermordung von Millionen Juden nicht stattgefunden hätte, wäre Adolf Hitler nicht als Kind mißhandelt worden. Alles Übel auf der Welt steht für Sie in einem direkten Zusammenhang mit Kindesmißhandlung?
Richtig. Alle Mörder, alle Vergewaltiger, alle Alkoholiker, alle Drogenabhängigen, alle Kriegshetzer, all diese Menschen sind in allen Zeiten als Kinder mißbraucht worden. Das müssen wir so erkennen. Ein Kind, das mißhandelt wird, verarbeitet diese Erfahrung nicht, sondern spreichert sie im Unterbewußtsein. Wenn ein solches Kind heranwächst, wird es immer einen Schmerz fühlen. Aber es kann den Schmerz nicht erklären. Und wenn es fragt, wird ihm nicht die Wahrheit erzählt. Ein solcher Mensch weiß nicht, wer er ist oder was in ihm vorgeht. Also versucht er irgendwie, den Schmerz loszuwerden. Oft ist das nur mit Drogen, Alkohol oder Gewalt möglich. Ich selbst bin ein solches Kind gewesen und habe lange gebraucht, um mir meinen Schmerz eingestehen zu können. Doch der einzige Weg, sich selbst zu heilen, ist die Erinnerung. Man muß sich erinnern und sich klar darüber werden, was mit einem geschehen ist. Erst dann kann man beginnen, sich selbst zu verstehen. Als menschliches Wesen ist es meine Pflicht, jedes mögliche Mittel zu nutzen, um das Unheil in der Welt zu bekämpfen. Das Unheil manifestiert sich täglich in der Mißhandlung von Kindern. Wenn wir diese Mißhandlung beenden können, beenden wir alles Unheil dieser Welt. Die Juden in Deutschland wären nicht ausgelöscht worden, wenn Hitler nicht als Kind mißbraucht worden wäre. Niemand ist von Geburt an ein Mörder.
Das klingt wie ein Glaubensbekenntnis. Gehören Sie einer Kirche an?
Nein. Ich verachte die katholische Kirche, in deren Tradition ich aufgewachsen bin, für all die Lügen, die sie verbreitet. Ich glaube an Gott.
Was lesen Sie zur Zeit?
Ein Buch namens „Vicars Of Christ“ von Peter Da Rossa, das die skandalöse Geschichte jedes Papstes seit Beginn der Zeitrechnung beschreibt. Ich lese, um zu lernen, nicht um mich zu unterhalten. Ich habe die Schule mit 16 Jahren verlassen, ohne Qualifikation. Seit dieser Zeit lerne ich.
Gibt es ein Thema, das Ihre bisherige künstlerische Arbeit überspannt?
Ich kämpfe... Ich verliere nicht viel Zeit mit Reden über das, was ich mache. Ich habe keine Ahnung von Techniken. Ich mache einfach meine Arbeit.
Wenn Sie in einer anderen Zeit und an einem anderen Ort leben könnten, was würden Sie sich wählen?
Das Paris der zwanziger Jahre.
Eine ziemlich dekadente Zeit...
Ja, und ich hätte eine Menge Spaß.
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