piwik no script img

Archiv-Artikel

Ich & die Homo-Norm

Schlägt er in diesen Tagen die Zeitungen auf, guckt entsprechende Sondersendungen im Fernsehen, erkennt sich der gewöhnliche Homosexuelle kaum wieder: Der schwule Mann von heute besticht durch karnevaleske Schrägheit, bizarren Humor und chronische Partylaune. Kaum ein Zeitungsbild, das ohne transvestitenhaften Flitter & Glitter auskommt. Klaus Wowereit, ein Mann von diskretester Männlichkeit, ist fotografisch beim CSD nicht anders denkbar als ein Mann, der von Männern umrahmt ist, die nicht wie solche aussehen.

Ein Missverständnis? Nein, die nonhomosexuelle Umwelt will es so. Sie hat Klischees für das parat, was sie als Gewöhnliches, Nachbarliches und Nahes nicht begreifen will: Und das war schon immer so, Schwule jedenfalls hatten bei der Definition dessen, was sie sind, nur dann etwas zu melden, wenn ihre eigenen Aussagen sich in etwa mit dem deckten, was ohnehin über sie spekuliert wird.

In den Sechzigern beispielsweise löste sich das Stereotyp vom Homosexuellen, der als solcher krank ist, sacht auf. In den linksliberalen Mainstreams setzte sich dafür das Bild vom Feinfühligen und Sensiblen durch – ein Bild vom Männer begehrenden Mann, der recht eigentlich nur ein Künstler sein kann. Autoren wie Hubert Fichte und Tänzer wie Rudolf Nurejew verkörperten dieses Bild am krassesten.

In den Siebzigern, als der Nazi-Paragraf 175 das bundesdeutsche Strafgesetzbuch nicht mehr beschwerte, machte sich eine andere Facette im Klischeereigen für & wider das Homosexuelle bemerkbar. Wolfgang Petersens Film „Die Konsequenz“ aus dem Jahre 1977 hob sie am deutlichsten hervor: Liebe unter Homosexuellen ist nur tragisch denkbar, tränenumspülte Bitterkeit verhindert das Glück, das nicht sein darf.

In den Achtzigern schließlich, durchaus eine Folge der linksradikalen Schwulenbewegung der vorigen Dekade, gewann noch eine andere Sichtweise eine gewisse Popularität, liberale Heterosexuelle traktieren Homosexuelle damit bis dato: Der Schwule ist ein Guerillero im Geschlechterkampf, ein Mann der Subversion, eine Fleisch gewordene Antithese zur kleinbürgerlichen Familie. Ein Bild, das homosexuelle Kommentatoren, trauerumflort selbst, weil sie eines aufrührerischen Lebensgefühls verlustig gegangen sind, gern noch hervorkramen, um ihren (Selbst-)Hass auf Homosexuelle zu kultivieren: Der gewöhnliche Homosexuelle als Versager, weil er so sein will wie alle. Sie nehmen ihm übel, weil sie schwul zu sein nur ertragen können, wenn sie ihr Homosexuelles als Pfund in ihr linkes Milieu einbringen können.

Kurz: Der Homosexuelle selbst kommt nur selten zu Wort. Jener, der so lebt, wie er glaubt, leben zu wollen. Möglicherweise ohne Flitter, gewiss ohne Gedanken beim Sex, ob das, was er da tut, nun die Geschlechterordnung frühbürgerlicher Tage untergräbt oder nicht. Der Schwule, der sensibel schon deswegen war (und ist), um feinfühlig auf seinem Alltagsradar registrieren zu können, wo Gefahr lauert, physisch oder psychisch; empfindsam, weil er um seine Kränkungen weiß: Denn Homosexuelles ist und war nie erwünscht, sondern stets nur bestenfalls als Tolerierbares verhandelt worden.

Der Sexualwissenschaftler Martin Dannecker fantasierte bereits vor über 25 Jahren in seinem Buch „Der Homosexuelle und die Homosexualität“ einen quasi paradiesischen Diskurszustand, der eintreten möge, auf dass Schwule (und Lesben) nicht immer nur Objekte von Urteilen und Vorurteilen bleiben: „Es kann gegenwärtig um nichts anderes gehen als darum, gesellschaftliche Bedingungen herzustellen, die es mehr Homosexuellen ermöglichen, das zu werden, was die Homosexualität selbst nicht verhindert.“ Das falsche Reden, das scheinheilige Berichten zählt unbedingt zu dem, was reformiert gehört.

JAN FEDDERSEN