ISRAEL Der renommierte Journalist Ari Shavit hat ein sehr persönliches Buch über sein Land geschrieben: Den Ausweg suchen
Auch 67 Jahre nach seiner Gründung ist Israel ein Land auf der Suche nach sich selbst. Die israelischen Soldaten, die im Westjordanland stehen, wissen nicht, was mit dem Land geschehen soll, das sie besetzt halten. Gleichzeitig sind die arabischen Staaten bis heute nicht dazu bereit, die Existenz eines jüdischen Staates im Nahen Osten anzuerkennen. Was macht das mit einem Land und mit seinen Menschen?
Dieser Frage geht Ari Shavit, renommierter israelischer Kolumnist der linksliberalen Tageszeitung Ha’aretz, in seinem Buch „Mein gelobtes Land – Triumph und Tragödie Israels“ nach. Es ist eine Bestandsaufnahme in 17 ausgreifenden Kapiteln, die sich an Ereignissen orientieren, die in der offiziellen israelischen Geschichtsschreibung oft eine eher untergeordnete Rolle spielen.
Das kleine Land im Nahen Osten ist für Shavit der einzige Ort auf der Welt, wo das Judentum eine Zukunft haben kann. Aus Europa wandern die Juden aus, und in den USA führt die Assimilation dazu, dass die jüdische Gemeinde schrumpft. Gleichwohl verschließt Shavit nicht die Augen vor den Schwächen und moralischen Verfehlungen Israels.
Alles erzählen
Existenzielle Angst sei für ihn seit jeher das bestimmende Gefühl gewesen. Mit dieser wenig Mut machenden Aussagen setzt Ari Shavit ein. Diese Angst hat für ihn nicht zuletzt mit den Seinsbedingung seines Heimatlandes zu tun: „Israel ist der einzige westliche Staat, der ein anderes Volk besetzt hält. Israel ist aber auch der einzige westliche Staat, der in seiner Existenz bedroht ist“, fasst er die Situation zusammen.
Er plädiert für einen Rückzug Israels aus den besetzten Gebieten. Zwar glaubt er nicht, dass das Frieden bringen würde, er hält es aber für ein moralisches Gebot. Es ist gerade dieser Realismus, der Shavits Buch so wertvoll macht. Er belässt es nicht beim Entweder-oder und sieht die komplexe verfahrene Situation, in der sich Israel befindet. Für seine Erzählung greift Shavit zunächst auf die eigene Familiengeschichte zurück. So zeichnet er den Weg seines zionistischen Urgroßvaters, Herbert Bentwich, nach, der Ende des 19. Jahrhunderts von London ins Heilige Land aufbrach. Hier zeigt sich Shavits Können: Er ist ein wunderbarer Erzähler, der aber nie den moralischen Kompass verliert.
Warum, fragt sich Shavit, sah sein Urgroßvater damals die arabischen Einwohner Palästinas nicht? Diese Ignoranz taucht immer wieder auf und beschäftigt Shavit auch in den Kapiteln über die frühen jüdischen Siedler und Bauern.
Selbstkritischer Zionismus
Aus seinen Erzählungen spricht aber mehr als eine radikale Selbstkritik. Er interessiert sich vor allem für die Menschen und ihre Beweggründe. Das spürt man beispielsweise in seinen Porträts der Gründer der ersten Siedlung im Westjordanland und der Väter der Friedensbewegung. Oder in seiner Unterhaltung mit einem der Mitarbeiter des israelischen Atomwaffenprogramms.
Spannend ist auch das Kapitel über Aufstieg und Fall des Schas-Politikers Arje Deri, an dem er exemplarisch aufzeigt, welche Kluft zwischen sephardischen und aschkenasischen Juden in Israel besteht. Aber auch das Nachtleben Tel Avivs, Israels reiche Unternehmerschicht und die Sozialaktivisten vom Sommer 2011 beleuchtet Shavit.
Für Shavit geht es um eine moralisch-politische Erneuerung Israels, er wünscht sich einen mitfühlenden, selbstkritischen, aber auch wehrhaften Zionismus. Er ist nicht blind für die Gefahren in der Region, ausdrücklich betont er die Gefahr, die er vom iranischen Atomprogramm ausgehen sieht.
Doch am Ende spricht aus seinem Buch vor allem eine große Liebe für sein kleines Land, das sich, so Shavit, durch „die Intensität eines Lebens auf dem Vulkan“ auszeichnet.
Kevin Zdiara
Ari Shavit: „Mein gelobtes Land. Triumph und Tragödie Israels“. A. d. Amerikanischen v. Michael Müller und Susanne Kuhlmann-Krieg. C. Bertelsmann, Bielefeld 2015, 592 S., 24,99 Euro
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