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Archiv-Artikel

IRAKS VERFASSUNG ENTHÄLT EINEN VORBILDLICHEN GRUNDRECHTSKATALOG Vorläufigkeit als Staatskunst

Es war ein heftiges Tauziehen, aber am Ende steht nun doch Iraks erste Übergangsverfassung nach dem Sturz Saddam Husseins. Äußerst unterschiedliche politische, ethnische und religiöse Gruppen haben sich zumindest vorläufig auf ein gemeinsames Fundament für ihren Staat geeinigt. Das ist schon für sich ein kleines Wunder. Verfassungen nach dem Sturz eines alten Systems sind nie eine einfache Geburt: Die Gründungsväter der Vereinigten Staaten brauchten volle zwölf Jahre, um etwas Vergleichbares zu erreichen.

In all dem vergangenen Streit über den Inhalt des Papiers wird schnell vergessen, dass sich alle Parteien von Anfang an über einen Katalog individueller Grundrechte einig waren, der in der arabischen Welt seinesgleichen sucht. Das Recht auf freie Meinungsäußerung, das Versammlungsrecht, das Recht auf freie Ausübung der Religion und Minderheitenrechte waren zu keinem Zeitpunkt umstritten. Dass andererseits im multiethnischen und multikonfessionellen Irak so komplizierte Fragen wie die der künftigen föderalen Struktur oder die Rolle der Religion in der Gesetzgebung problemlos abgenickt werden könnten, war illusorisch zu hoffen. Da war es für alle Seiten hilfreich, den vorläufigen Charakter des Dokuments zu betonen. Keine Partei hat alle ihre Ambitionen verwirklichen können, auch die beiden größten mussten zurückstecken: Die Kurden haben keine endgültigen Grenzen für ihr selbst verwaltetes Gebiet erhalten; umgekehrt muss die schiitische Bevölkerungsmehrheit mit einem Vetorecht der Kurden gegenüber der endgültigen Verfassung rechnen.

Die Vorläufigkeit ist aber auch deswegen echte Staatskunst, weil das Werk von einem Gremium unterzeichnet wurde, das von den Besatzern zusammengestellt wurde und weder in den Augen der Iraker noch nach internationalem Recht Legitimität besitzt – die „richtige“ Verfassung will auch „richtig“ legitimiert sein. In der Zwischenzeit werden sich die Iraker an einen föderativen, geeinten Irak gewöhnen, in dem nach vier Jahrzehnten Diktatur erstmals, ob Schiit, Kurde, Sunnit oder Christ, die Grundrechte der Menschen schriftlich garantiert sind. KARIM EL-GAWHARY