INTERVIEW: „Wissenschaftliche Barbarei“
■ Dr. Oscar Alejandro Bruni, Direktor von SENASA, dem nationalen Dienst für Tiergesundheit im argentinischen Landwirtschaftsministerium, über die geheimen Virusexperimente US-amerikanischer Gentechnologen
taz: Sie werfen dem Leiter des gentechnologischen Experiments, Prof. Hilary Koprowski vom US-Institut „Wistar“, Geschäftemacherei vor.
Bruni: Koprowski ist ein exzellenter Wissenschaftler, der sogar einmal für den Nobelpreis vorgeschlagen war. Er hat den Nobelpreis nicht bekommen, weil er charakterlich nicht akzeptabel ist, er handelt mit der Wissenschaft, er verkauft sie. Er kennt keine Grenzen zwischen wissenschaftlicher Ethik und Geschäft.
Nun hat Koprowski behauptet, Ihre Behörde habe ihn um Hilfe bei der Tollwutbekämpfung gebeten?
Die Tollwut ist in Argentinien kein Problem. Diese Krankheit führt vor allem in den USA, Kanada und in einigen europäischen Ländern zu großen Schäden. Die Tollwut existiert bei uns nur im Norden des Landes, in Misiones und ganz wenig im Chaco. Pro Jahr belaufen sich unsere Verluste durch Tollwut auf 200.000 Dollar. In den USA wird die Tollwut immer schlimmer. Wenn Koprowski von 60 Millionen Dollar Tollwut-Schäden in Argentinien spricht, dann lügt er einfach schlecht. Noch nicht einmal durch unser Hauptproblem, der Maul- und Klauenseuche, entsteht ein solcher Verlust. Aber Koprowski muß ja lügen. Da führt er ein geheimes Experiment durch, das wird entdeckt, und daraus ergibt sich die Lüge.
Wie sind Sie darauf gekommen?
Das Virus, in der Gentechnik hergestellt, kommt aus dem Ausland. Es wurde im Diplomatenkoffer ins Land geschmuggelt. So steht es in der Strafanzeige und wurde auch nicht dementiert.
Sie haben erst über Professoren der Universität von Buenos Aires von dem geheimen Experiment erfahren?
Ja. Ich bin zusammen mit Wissenschaftlern nach Azul gefahren, und wir haben uns das angeguckt. Der Versuch war höllisch. Er war an sich eine wissenschaftliche Barbarei. Die Melker der 40 Kühe aus dem Experiment benutzten keine Handschuhe. In den Protokollen heißt es, die Melker müssen regelmäßig zur Blutuntersuchung, alle 14 Tage oder einmal im Monat. Ich frage mich natürlich: Warum wurde das Blut abgenommen? Ich behaupte, daß die Melker Teil des Versuchs waren. Denn es kam darauf an, festzustellen, ob sich das Virus, das sie 20 Kühen injiziert hatten, auch auf die anderen, nicht geimpften Tiere übertragen würde – und auf die Melker. Es ging bei dem Versuch darum, herauszubekommen, ob der Impfstoff unschädlich sei und ob er funktioniert und ob der Melker zum Überträger wird.
Was geschah mit der Milch?
Die Milch wurde von den Familien der Melker getrunken. Was mit dem Rest passierte, weiß ich nicht. Obwohl wir uns natürlich ausgerechnet haben, daß 40 Kühe mehr Milch geben, als die Genannten konsumieren konnten. Man sagt, daß die Milch in Azul verkauft wurde. Aber Beweise dafür liegen uns nicht vor.
Sie haben das Versuchszentrum geschlossen...
...und den Zutritt für Mensch und Tier verboten. Dies Verbot besteht bis heute. Ich habe einen Polizisten ans Tor gestellt. Die Tiere wurden geschlachtet. Es gab sehr starken internationalen Druck gegen mich, denn man wollte trotz allem den Versuch fortsetzen, weil die wirtschaftlichen Interessen sehr groß sind, auch wenn Koprowski das Gegenteil behauptet. Denn wenn dieser Impfstoff hätte patentiert werden können, wären die Aktien einiger Firmen an der Londoner oder Pariser Börse rapide gestiegen.
Was passiert jetzt?
Wir wissen es nicht. Wissen Sie, woher das AIDS-Virus kommt? Man sagt, es sei aus dem Labor gekommen, und daß die Natur mit Mutationen reagierte. Das ist immer das Problem mit den Viren. Warum haben wir noch nichts gegen die Maul- und Klauenseuche? Weil das Aftosa-Virus wie das Schnupfen-Virus reagiert. Es mutiert permanent. In dem Fall, über den wir hier reden, geht es um ein exotisches Virus, das künstlich hergestellt wurde, es ist ein neues Virus. Bevor die Tiere geschlachtet wurden, wurden Blutproben entnommen und eingefroren. Meine Leuten arbeiteten mit Schutzanzügen, denn es handelte sich ja um ein neues Virus, über dessen Reaktion wir nichts wissen. Der Versuch war ein Erfolg, im dramatischen Sinn, denn was man suchte, hat man gefunden. Ich kann Ihnen hier versichern, daß die 20 nicht geimpften Kühe zum Schluß in bezug auf das Tollwut-Virus positiv waren. Was heißt das? Daß das Virus von den geimpften Kühen übertragen wurde auf die nicht geimpften Kühe. Genauso kann das Virus auf Menschen oder frei lebende Tiere übertragen worden sein.
Wer diente als Überträger?
Um das festzustellen, werden jetzt die Melker untersucht sowie Hunde, Katzen und wild lebende Tiere. Wie wird das Virus reagieren? Es kann sein, daß gar nichts passiert. Vielleicht wird es aber zum Überträger einer neuen Krankheit. Ich habe gefragt, warum wurden für den Versuch ausschließlich Milchkühe verwandt, die ohne Handschuhe täglich gemolken wurden? Man behauptete, man wolle sehen, wieviel Milch die geimpfte Kuh gebe. Ich entgegnete, daß dafür aber seit Jahren mechanische Melkvorrichtungen benutzt würden; von Hand wird doch kaum noch gemolken. Im Versuchsprotokoll heißt es, daß den Melkern nicht nur regelmäßig Blut abgenommen wurde, sondern daß auch darauf zu achten sei, ob sie Pusteln auf den Händen bekommen würden. Warum Pusteln? Dafür gibt es nur eine Erklärung: Die andere Hälfte des Virus, das man bei uns testete, bestand ja aus dem Pocken-Virus. Bisher hieß es immer, es gehe um Tollwut, aber ich frage: Was passierte mit dem Pocken-Virus, das Transporteur des Tollwut-Virus war.
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