INTERVIEW: „Ich möchte alle Frauenstimmen hören“
■ Wichtiger als Frauenvoten und Urabstimmungen gegen den Krieg ist aufklärendes Wissen/ Feministinnen sollten „die anderen“ Geschichten erzählen, die Medienklischees über Frauen in West wie Ost auseinandernehmen
Sandra Harding ist feministische Philosophin und Leiterin der Women's Studies an der Universität von Delaware. Ihre beiden Töchter wurden auf Friedensdemonstrationen verhaftet.
taz: Eine furchtbare und noch nicht absehbare Konsequenz dieses Krieges scheint uns, daß er den sozialen Bewegungen die basisdemokratische Politik der kleinen Schritte für die großen Veränderungen aus der Hand schlägt. Teilen Sie diesen Eindruck?
Sandra Harding: Ich bin jetzt zwei Wochen in Deutschland und mein Eindruck ist, daß es unter den Frauen eine große Entmutigung gibt. Es beunruhigt sie, zwar die ganze Zeit an den richtigen Themen gearbeitet zu haben, aber nicht zu wissen, was jetzt zu tun ist. Ich kann das verstehen. Andererseits ist Krieg nicht für alle Menschen eine schlechte Sache. Ich meine damit nicht Bush, sondern all jene, die unterdrückt sind. Jeder Frieden hatte bisher seinen Preis — das wird jetzt sichtbar. Frieden ist teuer für die Ausgebeuteten der Dritten Welt, selbst wenn sie in friedlichen Formen ausgebeutet werden. Die Utopien müssen in globaler Perspektive neu überdacht werden.
Entmutigend ist die Politik der UNO. Die USA haben vorgeführt, daß sie die UNO nicht als ein demokratisches Weltorgan nutzen oder fördern. Und ich sehe das Problem, daß die USA ihre Position als Weltpolizist nicht aufgeben wird, schon wegen des ökonomischen Desasters „zu Hause“. Der Krieg hat in den USA viele Gründe, aber ein wichtiger scheint mir zu sein, daß Militarismus ein Anliegen der Mittelschicht geworden ist. Wohin mit den vielen Soldaten aus Europa? Mit den Arbeitslosen in den USA? Was tun mit all den Munitions- und sonstigen Waffenfabriken? Es gibt keine Pläne, sie zu Friedensproduktionsstätten umzubauen. Aber wenn das nicht geschieht, bleiben die utopischen Hoffnungen bloß nette Ideen.
Die Formel von der „neuen Weltordnung“ schweigt laut über die Interessen, die geordnet werden sollen. Sehen Sie Möglichkeiten für die internationale Frauenbewegung an einer Weltordnung politisch mitzuwirken?
Daran müssen wir jetzt arbeiten. Die beste Studie zu internationalen Zusammenhängen aus feministischer Sicht ist für mich das Buch von Cynthia Enloe Bananas, Beaches, Basis. Enloe verbindet diese verschiedenen Komplexe von Ökologie, Rassismus, Militarismus, indem sie die Antworten auf die Frage sucht: Wo sind die Frauen in all den unterschiedlichen internationalen Szenarien? Die internationalen Beziehungen sind ausschließlich solche unter Männern. Die Geschlechterverhältnisse haben scheinbar gar nichts damit zu tun. Wir müssen diese Frage: Wo sind die Frauen? jetzt laut stellen. Sie leben in Geschlechterbeziehungen als Frau des Soldaten (auf beiden Seiten), als Mutter des Sohnes, als Tochter des Vaters. Das Pentagon hält die genauen Zahlen geheim — aber ein Großteil der US-Soldaten am Golf sind Hispanics und Schwarze. Diese Ehefrauen und Mütter sind gegen diesen Krieg, sie fragen: Warum sollen wir unsere Männer in den Krieg gehen lassen für eine Gesellschaft, die für Schwarze keine Arbeitsplätze hat und nur die Armee zum Broterwerb übrig bleibt? Sie empfinden keinen Beherschungswillen gegenüber den „Wilden“ im Irak. Sie sagen: Die Araber haben noch nie „Nigger“ zu uns gesagt.
Ein anderer Punkt ist: Es gibt feministische Bewegungen im Irak, im Iran, in Kuwait, in Saudi-Arabien. Aber haben wir vom islamischen Feminismus gehört? Das Bild, das die Medien zur Unterstützung der herrschenden Politik immer wieder zeigen, ist die verschleierte, devote, vom Mann beherrschte, primitive, unzivilisierte, barbarische Frau. Diese Bilder sollen auch zeigen, daß dieser Krieg „gerecht“ ist; er wird gegen Männer geführt, die „ihre“ Frauen in dieser Unterordnung halten. Selbstverständlich werden diese auch als Barbaren gezeigt. Und es fehlt die „andere Geschichte“, in der US-Frauen als Vergewaltigte, Geschlagene, Mädchen als Inzestopfer oder in frauenhassenen Pornos vorkommen. Diese „anderen Geschichten“ können wir erzählen. Ich möchte die „Geschichten“ der islamischen Feministinnen kennen, die der phillipinischen Hausangestellten, von denen es 600.000 im Irak, in Kuwait gegeben hat und zum Teil noch gibt, jene der Diplomatenehefrauen, ich möchte alle Frauenstimmen hören, weil ich glaube, daß wir von ihren Standpunkten etwas lernen können.
Was sagen Sie zu dem Aufruf der Scheherazade-Gruppe, der eine weltweite Urabstimmung über diesen Krieg gefordert hat?
Ein weltweites Frauenvotum gegen den Angriff der USA — also diesen Aspekt des Krieges — wäre eine machtvolle Demonstration. Aber ich finde, das allein genügt nicht. Die Assoziation von Frauen mit Friedlichkeit ist außerordentlich gefährlich. Frauen sind auch wütend und aggressiv. Die „friedlichen Mütter“ kämpfen für ihre Kinder, sie würden jemanden für ihr Kind töten. Es gibt Zeiten für Zorn und Zeiten für Friedlichkeit. Wichtig scheint mir auch, daß Frauen miteinander eine Diskussionskultur entwickeln. Mehr als Frauenvoten brauchen wir feministische Stimmen gegen den Krieg, die aufklären über das, was jetzt am Golf passiert. Alle den Krieg betreffenden Themen müssen sichtbar werden, denn Frauen bewegen unterschiedliche Fragen und Probleme: Ökologie, Rassismus, die Ausbeutungspolitik des Westens.
Darüber diskutieren wir sehr intensiv in den USA: Welche Auswirkungen hat der Golfkrieg auf jeden Bereich, an dem wir arbeiten? Und was geschieht mit all den Frauen, die über den Golfkrieg politisiert wurden? Gehen sie jetzt, nach Ende des Krieges, zurück in die Küche oder zu ihren Computern? Es scheint uns wichtig, einen Rahmen zu schaffen, in dem der Krieg mit anderen Themen verknüpft wird und Kontinuität hergestellt werden kann.
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