INTERVIEW: „Der Irak hat die eigentlichen Sprengsätze freigelegt“
■ Interview mit Yassir Abed Rabu, Mitglied des Exekutivkomitees der PLO
taz: Der Irak ist besiegt. Was bleibt?
Yassir Abed Rabu: Ich fürchte, daß sich der Irak nicht so leicht von diesem Schlag erholen wird. Es wird Jahrzehnte dauern, bis das Land wieder aufgebaut ist. Aber der Irak hat auch zeigen können, daß es in dieser Region gerechtfertigte Kämpfe gibt. Er hat sozusagen die eigentlichen „Sprengsätze“ der Region freigelegt: die Verteilung des Reichtums, die Notwendigkeit einer umfassenden Demokratisierung und einer Lösung des israelisch-palästinensischen Konfliktes. Vielleicht war das nicht die irakische Absicht — ganz sicher war dies nicht intendiert, aber das ist die weitreichendste objektive Folge dieses Krieges.
Der Irak hat gezeigt, daß es gerechtfertigte Kämpfe in dieser Region gibt
Ein Bestandteil des sogenannten Nachkriegsszenarios ist die Etablierung eines neuen Systems der Verteilung von Reichtum zwischen den arabischen Staaten.
Ja, solche Versuche hat es schon früher gegeben. Aber wir wissen auch, daß die Bevölkerung der armen Staaten nichts davon hatte. Nur die regierenden Minderheiten haben davon profitiert. Die drei Grundprobleme, die ich vorhin genannt habe, hängen eben zusammen, wie man daran sehen kann.
Kommen wir zur PLO. Welche Vorteile hatte es denn für die Palästinenser, daß sich die PLO auf Saddam Husseins Junktim zwischen kuwaitisch-irakischem und israelisch-palästinensischem Konflikt eingelassen hat?
Die PLO hat das Junktim nicht im Sinne eines Automatismus verstanden, nicht als etwas, was wir der Situation aufoktroyieren. Wenn wir von „Junktim“ geredet haben, dann im Sinne eines objektiven Zusammenhanges. Und viele Staaten — einschließlich der USA — haben erklärt, daß sie sich nach dem Ende der Golfkrise mit dem Palästinaproblem und dem arabisch-israelischen Konflikt beschäftigen wollen. Die wichtigste Frage ist jetzt, wie sie das zu tun gedenken. Wenn die USA gegenüber dem Irak auf einer vollständigen Einhaltung der UN-Resolutionen bestanden, dann haben wir im Hinblick auf die Palästinafrage das gleiche Recht. Das heißt: Rückzug aus den besetzten Gebieten und das Recht auf Selbstbestimmung für die Palästinenser.
Aber haben die Palästinenser nicht auch schon vor dem Golfkrieg mit Recht auf einer Durchsetzung der UN-Resolutionen gegen die israelische Besatzung bestehen können?
Die Golfkrise hat aber sicherlich dazu beigetragen, das internationale Interesse erneut auf die Probleme der Region zu richten. Darin liegt eine neue Chance — und womöglich die letzte. Diejenigen arabischen Staaten — ob sie auf einer friedlichen oder gewaltsamen Durchsetzung der UN-Resolutionen gegen den Irak bestanden haben — sollten jetzt die gleiche Position gegenüber der israelischen Besatzung einnehmen und die USA und Europa davon überzeugen, sich in diesem Falle ebenso zu verhalten wie gegenüber dem Irak. Wie kann ein arabischer Staat eine solche Position vertreten und sich sogar an einem Krieg gegen ein arabisches Bruderland beteiligen, ohne gegenüber Israel ebenfalls dazu bereit zu sein? — Das ist die Frage, die sich jetzt Millionen von Menschen in der arabischen Welt stellen. Das ist jetzt eine der großen Schwierigkeiten dieser arabischen Regierungen.
Der Westen hatte uns bereits vor Beginn der Golfkrise vergessen
Ist aber die Position der PLO durch den Golfkrieg nicht erheblich geschwächt worden?
Der Westen hatte uns bereits vor Beginn der Golfkrise vergessen. Als die USA den Dialog mit der PLO suspendierten, hat kein anderer westlicher Staat etwas getan, um aus der festgefahrenen Situation herauszuhelfen. Das hat mit der Position, die wir während der Golfkrise eingenommen haben, gar nichts zu tun. Die hat höchstens als Vorwand gedient. Wir haben von Anfang an klargemacht, daß wir die Besetzung von Kuwait nicht gutheißen, daß wir für eine friedliche Lösung sind und daß sich die westlichen Länder aller Probleme in der Region annehmen müssen. Die PLO ist jetzt keineswegs schwach. Und dieser ganze Unsinn, daß man eine „alternative Führung“ [der Palästinenser in den besetzten Gebieten, d. Red.] bilden muß, wird natürlich zu gar nichts führen.
Welches sind denn derzeit die Verbündeten der PLO?
Die arabischen Regierungen, die sich auf der Seite der USA am Krieg beteiligt haben, sind die schwächsten. Die müssen sich jetzt vor ihren Bevölkerungen für ihre Beteiligung an diesem Krieg rechtfertigen. Jetzt können sie zeigen, wie ernst sie es mit der Lösung anderer Probleme in der Region meinen. Ich glaube, daß man das Palästinaproblem heute mehr und mehr als ein gesamtarabisches Problem versteht.
Wird sich die PLO, wie jetzt zu hören war, vom Irak distanzieren und erneut eine Annäherung an Ägypten und Syrien suchen?
Wir distanzieren uns von niemandem, und wir nähern uns an niemanden an. Wir sind palästinensische Nationalisten, und wir werden weiterhin für die Interessen der Palästinenser eintreten.
Die israelische Regierung will eine „Bantustan-Lösung“
Die israelische Regierung hat während der Golfkrise klargemacht, daß sie an separaten Friedensverträgen mit den arabischen Staaten interessiert ist, die PLO schließt sie jedoch aus jedem Verhandlungsprozeß aus.
Das war ja schon immer die israelische Politik. Aber die PLO besteht nicht einfach aus einer Ansammlung von Politikern. Sie ist eine Einheit, und sie repräsentiert ein ganzes Volk. An den Rechten dieses Volkes kommt niemand so einfach vorbei. Unser Programm ist gemäßigt und flexibel und an dem Ziel ausgerichtet, auf der Basis der gegenseitigen Anerkennung zweier Staaten — eines israelischen und eines palästinensischen — endlich wirklich Frieden zu finden. Wenn die israelische Regierung von „alternativer Führung“ spricht, dann meinen sie ja nicht andere Führungsleute, sondern ein anderes Programm: eines, das weniger akzeptiert als Selbstbestimmung und Unabhängigkeit der Palästinenser. Sie wollen eine „Bantustan-Lösung“, eine sogenannte „Autonomie“ unter israelischer Besatzung.
Die Regierung Schamir spricht von Wahlen in den besetzten Gebieten...
Lassen Sie mich dazu folgendes sagen: Wir haben Wahlen in den besetzten Gebieten verlangt — unter internationaler Aufsicht, wie in Namibia, wirklich freie demokratische Wahlen unter Aufsicht der UNO, damit die Palästinenser in den besetzten Gebieten ihre politische Vertretung selbst bestimmen können. Zur Erinnerung: Als unsere Leute in den besetzten Gebieten ihre Kommunalregierungen gewählt haben, waren das zu über 90 Prozent Unterstützer der PLO. Die Israelis haben sie deshalb abgesetzt, viele von den Stadträten wurden aufgelöst. Statt dessen haben sie israelische Militärs für diese Positionen ernannt. Wir verlangen nach wie vor freie Wahlen in den besetzten Gebieten.
Wird die PLO ihre Botschaft in Kuwait jetzt wieder eröffnen?
Wir haben unsere Botschaft in Kuwait nie geschlossen.
Das Interview führte Nina Corsten in Tunis.
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