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INTERVIEW„Wir brauchen diese Atempause dringend“

■ Kamal Fuad von der „Kurdistan-Front“ über die Verhandlungen in Bagdad/ „Das Regime ist so zahm wie noch nie“

Dr. Kamal Fuad ist Vertreter der „Patriotischen Union Kurdistans“ im Komitee der „Kurdistan-Front“, einer Dachorganisation verschiedener Parteien, in Damaskus.

taz: Welchen Stellenwert haben die Gespräche, die letzte Woche in Bagdad zwischen der irakischen Führung und einer kurdischen Delegation stattfanden?

Kamal Fuad: Es handelt sich um Verhandlungen über ein Abkommen mit der irakischen Regierung auf der Basis des Autonomie-Abkommens von 1970, das aber erweitert worden ist. Wir haben kein Interesse daran, nun wieder monate- oder jahrelang ergebnislos zu verhandeln. Wir wollen so bald wie möglich zu einem Ergebnis kommen, positiv oder negativ. Bisher sind die Verhandlungen gut verlaufen. Die einzigen mir bekannten offenen Punkte betreffen Kirkuk und die Frage der internationalen Garantien. Über diese Punkte wird es in den nächsten Tagen weitere Gespräche geben.

In welchen Punkten gehen die Vereinbarungen über das Abkommen von 1970 hinaus?

Wir haben vereinbart, daß die autonome Region auf ganz Kurdistan ausgeweitet wird — mit Ausnahme der noch umstrittenen Stadt Kirkuk. Das Autonomie-Abkommen von 1970 umfaßte demgegenüber nur zwei Drittel Kurdistans. Darüber hinaus ist nicht nur über die Kurden, sondern auch über den Irak insgesamt gesprochen worden, zum Beispiel über die Durchführung freier Wahlen oder die Gleichberechtigung aller Nationalitäten. In der zukünftigen irakischen Verfassung müssen die jetzigen Vereinbarungen berücksichtigt werden. Für uns ist es wichtig, daß wir unsere nationalen Rechte im Rahmen der irakischen Republik durchsetzen und in Kurdistan für die kulturellen und administrativen Belange zuständig sind.

Wird es Wahlen zu einer autonomen kurdischen Regierung geben?

Wir haben eine förderative Republik verlangt, aber das ist bis jetzt nicht akzeptiert worden. Gleich, wie man das dann nennt, wollen wir für die kurdischen Angelegenheiten, alle inneren Fragen, selbst zuständig sein. Die Gouverneure müssen Kurden sein, die im gegenseitigen Einvernehmen zwischen der irakischen Regierung und der Kurdistan-Front bestimmt werden sollen. Außerdem gibt es eine Vereinbarung, daß das irakische Budget anteilsmäßig an die verschiedenen Bevölkerungsgruppen verteilt wird. Im Gegensatz zu früher soll es jetzt auch eine eigene Polizei und einen eigenen Sicherheitsdienst geben, die von den Kurden selbst eingesetzt werden. Das sind die Erweiterungen gegenüber dem Abkommen von 1970.

Von kurdischer Seite werden nachdrücklich internationale Garantien gefordert. Davon war in Bagdad nicht mehr die Rede.

Die irakische Regierung hat das zuerst abgelehnt, jetzt heißt es, daß ein solcher Schritt doch in Frage kommen könnte. Für uns sind internationale Garantien aufgrund unserer bitteren Erfahrungen mit dem Regime unbedingt notwendig.

Sehen Sie in der Präsenz alliierter Truppen im Nordirak einen positiven oder einen hemmenden Faktor für die Realisierung des Abkommens?

Bis jetzt einen positiven. Wir hoffen, daß diese Präsenz zu einer internationalen Garantie führt, daß UNO- oder andere Truppen im Norden und im Süden des Irak stationiert werden. Eine Garantie brauchen wir in jedem Falle, schon allein deshalb, weil die Flüchtlinge sagen, daß sie sonst nicht zurückkehren. Ein Schutz, am liebsten durch die UNO, würde sich positiv auswirken.

Geben Sie diesem Abkommen eine reale Chance? Kann man Saddam Hussein überhaupt trauen?

In der Geschichte der kurdischen Bewegung im Irak sind Verhandlungsangebote der Zentralregierung niemals abgelehnt worden. Die Kurden im Irak stellen etwa dreißig Prozent der Bevölkerung. Wir allein können die Regierung vielleicht schwächen, aber nicht stürzen. Die Zentralregierung hat immer wieder behauptet, die kurdische Rebellion sei für immer beendet. Doch die Geschichte hat gezeigt, daß das falsch war. Wir hoffen, daß jetzt auch die irakische Regierung unter Saddam Hussein zu der Einsicht gekommen ist, daß eine beiderseitige Vereinbarung im Interesse der irakischen Bevölkerung liegt.

Hoffen Sie tatsächlich auf die Einsicht Saddams?

Einem Regime wie dem Saddam Husseins kann man nicht glauben, das ist auch unsere Meinung. Der Charakter des Regimes ist der gleiche, aber die jetzigen Bedingungen führen dazu, daß das Regime so zahm ist wie nie und sich gezwungen sieht, eine solche Vereinbarung zu akzeptieren. Wir sehen nicht, daß die irakische Regierung so bald wieder ihre frühere Position der Stärke zurückgewinnt. Auch der Druck der Weltöffentlichkeit spielt eine große Rolle. Das ist für uns der Moment, in dem wir unsere Forderungen stellen können. Was wir bis jetzt ereicht haben, ist in der kurdischen Geschichte noch nie erreicht worden.

Und wenn die Verhandlungen nun doch noch scheitern?

Selbst eine Atempause, ein Waffenstillstand, ist gut für uns, damit wir uns nach dieser Explosion reorganisieren können. Ein Beispiel: Alle kurdischen Parteien innerhalb der Kurdistan-Front konnten mit Mühe und Not 10.000 Peschmerga aufbringen. Jetzt, innerhalb von wenigen Tagen, ist die Zahl der Bewaffneten auf 120.000 Personen gestiegen. Das lag daran, daß die meisten Mitglieder der kurdischen Milizen, die das Regime aufgestellt hatte, übergelaufen sind. Sie haben die Kontrolle in allen Städten übernommen, unsere Peschmerga sind erst danach gekommen. Wir wollten gar nicht um die Städte kämpfen, weil das mit zu vielen Opfern verbunden ist. Als dann die Gegenattacke kam, zogen sich die Kämpfer zurück.

Haben die Peschmerga die Bevölkerung zur Flucht aufgerufen?

Nein. Wir wollten die Menschen überzeugen, daß sie dort bleiben. Aber sie hatten große Angst, und das mit Recht. Wir hatten vor Augen, wie die irakische Armee gegen das kuwaitische Volk vorgegangen ist. Die Kuwaitis sind Araber und hatten dem Regime während des Krieges gegen den Iran in Milliardenhöhe geholfen. Die Leute haben sich gefragt: Was wird die irakische Armee mit uns machen, wenn sie so gegen die Kuwaitis vorgeht und wir bereits seit dreißig Jahren gegen die Regierung kämpfen?

Die Angst der Leute vor einem Blutbad hat sich dann ja in Kirkuk und Arbil bewahrheitet, wo sie wahllos geschossen haben und keinen Unterschied machten zwischen einem Kämpfer und einem Kind. Das war eine Warnung für die Bevölkerung. Innerhalb von wenigen Tagen waren drei Millionen auf der Flucht. Deshalb ist eine Atempause oder ein Waffenstillstand für uns zur Zeit sehr notwendig. Wir müssen Bedingungen schaffen, damit die Leute zurückkehren.

Warum mußte es gleich zum Bruderkuß mit Saddam kommen?

Manche werfen uns, besonders Herrn Talabani (der Leiter der Kurdendelegation, d. Red.), vor, daß er nach Bagdad gegangen ist, um einem solchen Mörder die Hand zu geben und ihn zu küssen. Wenn man im Orient eine Begegnung akzeptiert, gehört das dazu. Das ist nicht schön, viele von uns empfanden das als widerlich, aber es ist so. Doch das ist nur das Äußerliche. Wenn wir jetzt irgend etwas erreichen, wird man diese Szene bald vergessen. Außerdem fragen wir: Als es Ende letzten Jahres um die ausländischen Geiseln im Irak ging, fuhren hochrangige Politiker und Persönlichkeiten wie Willy Brandt zu Gesprächen nach Bagdad. Damals ging es um ein paar hundert Leute, aber heute geht es um drei Millionen Flüchtlinge. Interview: Beate Seel

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