INTERVIEW: „Es geht nicht darum, daß eine der beiden Seiten kapituliert“
■ Der Kurden-Führer Jalal Talabani über die Verhandlungen zwischen der Kurdistan-Front und der irakischen Regierung
Jalal Talabani ist Generalsekretär der Patriotischen Union Kurdistans (PUK), die neben Barzanis Demokratischer Partei Kurdistans (DPK) die militärisch stärkste Organisation des kurdischen Widerstands ist.
taz: Sie haben noch wenige Tage bevor Sie zu Verhandlungen mit der irakischen Regierung nach Bagdad aufgebrochen sind im deutschen Fernsehen zum Sturz des Regimes in Bagdad aufgerufen. Warum dieser plötzliche Wandel?
Jalal Talabani: Wir haben als kurdische Befreiungsbewegung versucht, das Regime in Bagdad zu stürzen. Wir haben uns dabei aller Formen des Kampfes bedient: des bewaffneten Kampfes, des Aufstandes der Bevölkerung in den Städten und des gemeinsamen Kampfes mit der irakischen Opposition, aber wir konnten unser Ziel nicht erreichen. Das irakische Regime hat mit allen Mitteln, sogar mit dem Einsatz von C-Waffen, versucht, die Widerstandsbewegung zu vernichten. Damit ist Saddam gescheitert. Die kurdische Widerstandsbewegung ist viel stärker als zuvor. Wesentlich mehr Gebiete wurden befreit, als das bei früheren Kämpfen der Fall war. Nachdem drei Millionen Kurden zur Flucht gezwungen worden sind, erklärte sich die irakische Regierung bereit, die Kurden-Frage so zu lösen, wie es die Führung der Kurdistan-Front fordert. Wir haben Verhandlungen nie abgelehnt.
Und was wurde nun bisher in den Verhandlungen erreicht?
Im Bereich der Demokratisierung besteht Einigkeit über die Trennung zwischen der herrschenden Baath-Partei und dem Staat, über politischen Pluralismus und eine pluralistische Parteienlandschaft, über Presse-, Publikations- und Meinungsfreiheit, über die Abhaltung freier Wahlen, über die Schaffung eines institutionellen Rechtsstaates und die Aufhebung aller Ausnahmeregelungen und -zustände im Irak. Außerdem hat man sich auf die Erarbeitung einer neuen ständigen Verfassung für den Irak geeinigt, in der alle Artikel der Allgemeinen Deklaration der Menschenrechte enthalten sind. Außerdem hat man sich mit einigen Änderungen auf das von uns vorgeschlagene Gesetz über eine Autonomie für Kurdistan geeinigt. Die Klärung der folgenden Fragen steht noch aus:
—Die Festlegung des Autonomiegebietes. Die kurdische Seite fordert, daß neben den Provinzen Dehok, Arbil und Süleymania, die bisher schon zum sogenannten „autonomen Gebiet Kurdistan“ gehörten, die Städte Khanaqin und Mandali, die Provinz Kirkuk in ihren alten Grenzen, die Kreise Aqqra und Seikhan sowie die Gebiete Ain Zale, Sindschar und Tel Affarm, die bis jetzt zur Provinz Mossul gehören, Teil des Autonomiegebietes werden. In diesem Punkt warten wir noch auf eine Antwort von Regierungsseite.
—Die Modalitäten beim Zustandekommen einer neuen Verfassung. Wir haben die Abhaltungen von freien Wahlen zu einem neuen Nationalrat vorgeschlagen, dem die Aufgabe übertragen wird, eine neue Verfassung auszuarbeiten und diese dem irakischen Volk zur Abstimmung vorzulegen. Wir haben eine prinzipielle Zusage der Regierungsseite zu einer umfassenden Generalamnestie für alle Gefangenen, Häftlinge und politischen Flüchtlinge sowie zur Rückkehr der deportierten Feyli-Kurden und ihrer Entschädigung. [Die schiitischen Feyli-Kurden lebten vor allem in Bagdad und im Grenzgebiet zum Iran. Sie waren in der ersten Hälfte des Jahrhunderts aus der iranischen Provinz Eylam in den Irak eingewandert und hatten die irakische Staatsbürgerschaft erworben. In zwei Deportationswellen Anfang und Ende der siebziger Jahre hat das irakische Regime die Feylis in den Iran vertrieben, ihnen die Staatsbürgerschaft entzogen und ihre Vermögen konfisziert, d. R.]
Versucht Saddam Hussein mit diesen Verhandlungen nicht lediglich, sein Ansehen in der Weltöffentlichkeit wieder aufzubessern?
Es geht nicht darum, daß eine Seite vor der anderen kapituliert, sondern darum, in Fragen, die beide betreffen, zu einer Lösung zu kommen. Auf der anderen Seite glaube ich, daß die Weltöffentlichkeit sich im klaren über die Zustände im Irak ist und daß eine kurdisch-irakische Einigung keinen Einfluß darauf haben wird, was die Weltöffentlichkeit über die Zustände im Irak denkt.
Welche Garantien haben Sie, daß Saddam sich an die Abmachungen mit den Kurden auch wirklich hält?
Die Garantien, die wir für notwendig halten, sind der Fortbestand der bewaffneten kurdischen Kräfte, der Peschmerga. Zum zweiten die Einheit der Kurden untereinander, repräsentiert durch die Kurdistan-Front. Zum dritten betrachten wir die Existenz eines wirklich demokratischen, politisch pluralistischen Systems als einen wirklichen Garanten für das kurdische Volk. Viertens ist die Haltung der Weltöffentlichkeit, die derzeit bestehende Sympathie und Solidarität mit dem kurdischen Volk äußerst wichtig.
Es gibt Stimmen, die Ihre Verhandlungen kritisieren und die Verhandlungen als Spaltung der irakischen Opposition bezeichnen.
Die Kurdistan-Front ist nach wie vor im Aktionskomitee der irakischen Opposition vertreten und nimmt an ihren Sitzungen teil. Wenn diese Verhandlungen erfolgreich sind und im Irak die Demokratie und demokratische Freiheiten verwirklicht werden, sind damit auch einige Ziele der irakischen Opposition erreicht und wäre dem irakischen Volk ein großer Dienst erwiesen. Interview: Salah Rashid
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