INTERVIEW: „Europa muß den Vermittler spielen“
■ Alexander Langer, grüner Europa-Abgeordneter aus Südtirol, über die Befürchtung der EG, ein Auseinanderfallen Jugoslawiens kreiere neue Armenhäuser auf dem Balkan
taz: Die EG hat lange gezögert, sich in den Konflikt in Jugoslawien einzumischen. Warum?
Alexander Langer: Die EG hat in den letzten Jahren immer die Position vertreten, man müsse Jugoslawien ermutigen, zusammenzubleiben. Dafür gibt es viele Gründe: Zum einen ist es für die EG leichter, mit nur einem Partner zu verhandeln als mit vielen. Eine Mehrheit im Ministerrat würde es auch nicht begrüßen, wenn zum Beispiel das reiche und das arme Jugoslawien auseinanderfallen und damit praktisch neue Armenhäuser entstehen würden. Zum anderen widerspräche ein Auseinandergehen dem eigenen pluri-nationalen Anspruch der EG und würde alte Befürchtungen hinsichtlich der Stabilität im Balkan wecken.
Dem italienischen Außenminister De Michelis wird nachgesagt, er sei gegen eine Aufsplitterung Jugoslawiens, weil dies Sezessionstendenzen in Südtirol verstärken könnte. Österreicher wie der Europa-Abgeordnete Otto von Habsburg hingegen wollen die Auflösung...
Wenn in einer Region Grenzen in Frage gestellt oder neue Grenzen gezogen werden, dann kann das natürlich überall in Europa kleinere Völker oder Regionen ermutigen, dasselbe zu tun. Dies will man sicher vermeiden. Aber der italienische Außenminister De Michelis versucht auch seit einigen Jahren, Italien als regionale Großmacht innerhalb des Zusammenschlusses mit Jugoslawien, Ungarn, Österreich, der CSFR und neuerdings Polen zu etablieren. Eine Aufsplitterung würde diesen Prozeß erschweren.
Trotzdem hat die EG Anfang Mai ihre Politik etwas geändert...
Ja, die EG verhandelt nicht mehr nur mit der jugoslawischen Bundesregierung in Belgrad — die ja praktisch nichts mehr in der Hand hält —, sondern auch mit den einzelnen Republiken. Dies finde ich eine gute Haltung, daß man sagt: Uns wäre es lieber, wenn ihr zusammenbleibt, aber entscheiden müßt ihr. Dies ist im Kern auch die Haltung des Europaparlaments. Es fordert, daß die EG-Finanzhilfe zwar an eine klare Verbesserung der Menschenrechtssituation im Kosovo gebunden wird, nicht jedoch an eine bestimmte Verfassungsreform.
Auch die Euro-Grünen treten für die Einheit Jugoslawiens ein. Steht dies nicht im Widerspruch zu eurer Vorstellung vom Europa der Regionen?
Es gibt bei den Grünen unterschiedliche Sympathien. Es gibt solche, die auf die Desintegration der Sowjetunion und auch Jugoslawiens warten, weil sie sich davon automatisch mehr Demokratie, Selbstverwaltung und Regionalismus erwarten. Andere — zu denen würde ich auch mich zählen — haben Angst vor den damit verbundenen ethnischen Konflikten. Ich glaube, daß man die These vom Selbstbestimmungsrecht überdenken muß. Es kann nicht einfach darin bestehen, einen eigenen Staat gründen zu können, besonders dort nicht, wo dies — wie in Mittel- und Südosteuropa — viel Blut kosten würde. Es gibt kaum irgendwo klare ethnische Grenzen. Es sollten Formen gefunden werden, mit denen pluri-kulturelles und pluri-ethnisches Zusammenleben möglich ist.
Die Lösung sollte auch nicht darin bestehen, daß sich die reicheren Regionen unabhängig machen, weil sie nichts mit dem, was sie häufig verächtlich als osmanisch oder orientalisch bezeichnen, zu tun haben wollen. Deswegen halte ich es für die Aufgabe der europäischen Kräfte, die Grünen inbegriffen, einen politischen Dialog zwischen den verschiedenen Kräften Jugoslawiens zu fördern. Wir sollten lieber heute eine Vermittlerrolle übernehmen, als daß wir morgen eine Friedenstruppe aufstellen müssen. Dazu hatten wir beispielsweise jugoslawische Grüne — die sich untereinander ebensowenig verstehen wie auch die anderen Jugoslawen — nach Straßburg eingeladen. Dieser „grüne runde Tisch“ soll im nächsten Monat in Split fortgesetzt werden. Interview: Michael Bullard
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