piwik no script img

INTERVIEWEine UNO-Pufferzone gegenüber Serbien

■ Der Verfassungs- und Menschenrechtsexperte Dr. Hannes Tretter (Wien) über mögliche Konfliktlösungsmechanismen

taz: Die KSZE hat angekündigt, Beobachter nach Jugoslawien entsenden zu wollen. Doch bis die sich auf den Weg machen, sind noch einige Hürden der KSZE-Bürokratie zu überwinden. Dauert der Umsetzungsprozeß nicht viel zu lange in Konflikten, die stündlich eskalieren können?

Dr. Hannes Tretter: Politische Mechanismen geraten bei militärischen Konflikten immer zeitlich ins Hintertreffen. Aber vergessen Sie bitte nicht, daß es vor kurzem noch unvorstellbar gewesen wäre, daß innerhalb so weniger Tage ein politischer Mechanismus wie die KSZE in Gang gesetzt wird. Ich halte den bei der KSZE-Außenministerkonferenz in Berlin entwickelten Mechanismus zur Konfliktlösung für eine bemerkenswerte Neuerung. In der gegenwärtigen Situation kommt es natürlich auch darauf an, wie sich die Armee verhält. Momentan gibt es dort offenbar einen Richtungsstreit, ob man sofort losschlagen oder sich erst einmal in die Kasernen zurückziehen soll.

Welche Druck- oder Vermittlungsmöglichkeiten gibt es denn überhaupt gegenüber einer Militärführung, die keiner politischen Kontrolle mehr unterliegt ?

Voraussetzung ist, daß die Militärs noch zu diplomatischen Kontakten bereit sind. Da muß man wohl zwischen den Hardlinern um Adzic und den offenbar Gemäßigteren um General Raseta unterscheiden, obwohl letzterer gegenüber Österreich sehr martialische Töne angeschlagen hat. Parallel zum doch schwerfälligeren Mechanismus der KSZE wird man auf bilaterale Verhandlungen oder die EG setzen müssen, die verfahrensmäßig flexibler ist als die KSZE. Eine weitere Möglichkeit ist die Einschaltung der Vereinten Nationen.

US-Außenminister Baker hat ein Waffenembargo vorgeschlagen; die EG ringt sich gerade einmal dazu durch, dem zuzustimmen, wenn die USA tasächlich ein Embargo beginnen...

Ich verstehe nicht, wie man darüber noch Überlegungen anstellen kann. Das wichtigste und mindeste ist, die militärische Eskalation auch dadurch zu unterbinden, indem man erst einmal den Waffennachschub stoppt. Davon abgesehen würde wirtschaftlicher Druck seitens der EG und den USA durchaus Eindruck auf die Zentralregierung machen.

Unter welchen Voraussetzungen läßt sich denn die UNO einschalten? Die steht doch auf dem Standpunkt, Slowenien und Kroatien sind keine Mitglieder...

Da gibt es zwei Ebenen, die man verfolgen könnte: Wenn eine massive Militäraktion gegen die Territorialstreitkräfte Sloweniens oder Kroatiens stattfindet, wäre das nach dem klassischen Völkerrecht eine innere Angelegenheit des Staates Jugoslawien. Solange Slowenien und Kroatien nicht als souveräne Staaten anerkannt sind, hat es die UNO hier tatsächlich schwer, irgend etwas zu unternehmen, ohne gegen das Interventionsverbot zu verstoßen. Deswegen haben sich ja auch die Stimmen gehäuft, die fordern, im Falle einer militärischen Intervention Slowenien und Kroatien anzuerkennen. Dann wären das souveräne Staaten — und ein Angriff auf ein Mitglied der Völkergemeinschaft verstößt gegen die UNO-Charta. Das Problem ist nur, daß nach der klassischen Völkerrechtslehre eine Anerkennung eine Einmischung in die inneren Angelegenheiten eines Staates wäre, solange im Konflikt um die Abspaltung eines Teils dieses Staates noch Kampfhandlungen im Gange sind. Nach der klassischen Völkerrechtslehre kann von einem souveränen Staat erst dann gesprochen werden, wenn Raum, Volk und Machtausübung gegeben sind. An dieser Position wird nun Kritik laut — auch von meiner Seite: In Europa, wo Demokratie und Rechtsstaatlichkeit einen großen Stellenwert haben, kann nicht ausschlaggebendes Kriterium für die Souveränität eines Staates sein, wer über Bomben und Granaten verfügt. Entscheidend muß vielmehr die Frage sein, ob sich hier ein Volk demokratisch organisiert hat, eine Regierung demokratisch gewählt hat, und — wie in Slowenien der Fall — legitime Macht über einen funktionierenden Behördenapparat ausübt. Das wäre allerdings eine neue Interpretationslinie innerhalb des Völkerrechts. Folgt man ihr, dann könnte Slowenien anerkannt werden, weil es in Anspruchnahme des Selbstbestimmungsrechts als souveräner Staat zu betrachten ist. Der Sicherheitsrat könnte sodann entsprechende Maßnahmen ergreifen.

Was passiert, wenn die militärischen Aktionen nicht nur gegen die Territorialstreitkräfte gerichtet sind?

Das wäre die zweite Ebene: Angenommen, Ljubljana oder Maribor würden bombardiert werden und die Aggression richtete sich auch gegen die Zivilbevölkerung. Dann hätte der Konflikt eine ganz andere Qualität. Dann lägen schwerwiegende Verletzungen des Völkerrechts und der Menschenrechte vor. Das wäre eine ähnliche Situation wie im Fall der Kurden. Dann wäre eine Zuständigkeit des UNO-Sicherheitsrates gegeben. Österreich will ja bei der nächsten Generalversammlung erreichen, daß der UNO-Sicherheitsrat in Zukunft nicht nur wie bisher bei der Gefährdung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit, sondern auch bei schweren Menschenrechtsverletzungen einschreiten können soll.

Nun ist das alles noch Zukunftsmusik. Ist es vorstellbar, daß Österreich stellvertretend für die nicht anerkannten Länder Slowenien und Kroatien beim UNO-Sicherheitsrat vorstellig wird?

Solche Überlegungen hat es wohl intern schon gegeben. Die österreichische Bundesregierung steht auf dem Standpunkt — und ähnliches ist auch von US-Seite zu hören —, daß es im Moment wenig Chancen für eine Aktivierung des Sicherheitsrates gibt. Ähnlich hat sich Perez de Cuellar geäußert und gefordert, daß erst einmal die europäischen Mechanismen arbeiten sollen. Eskaliert aber in Jugoslawien die Gewalt, so wäre die Einrichtung einer UNO-Sicherheitszone eine notwendige Überlegung, die von Österreich oder von einem anderen Mitglied des Sicherheitsrates vorgebracht werden könnte. Interview: Andrea Böhm

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen