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INTERVIEWVerlierer ist die Landwirtschaft als ganze

■ Siegfried Martsch, landwirtschaftspolitischer Sprecher der Grünen-Landtagsfraktion in Düsseldorf, über die Auswirkungen des Kälbermastskandals

taz: Herr Martsch, wer hat von dem öffentlichen Aufschrei um die Kälbermast am meisten profitiert?

Martsch: In erster Linie hat der Skandal den verbleibenden Großmästern genützt, die durch eine enorme Steigerung ihres Bestandes Marktanteile übernommen haben.

Gibt es jetzt nicht besseres Kalbfleisch? Hat der Skandal nicht auch den Verbrauchern genutzt?

Nein, weder den Verbrauchern, noch den Bauern, noch dem Anliegen eines vernünftigen Tierschutzes. Im Prinzip hat sich an der Kalbfleischproduktion nichts geändert. Die tierverachtende Haltungstechnik besteht unverändert fort. Auch wenn ich derzeit keine Anhaltspunkte für den illegalen Hormoneinsatz habe, so steht doch fest, daß diese Haltungsform die prophylaktische Anwendung von Medikamenten generell erfordert. Anders könnten die Tiere die Aufzucht gar nicht überstehen. Der Unterschied zum illegalen Hormoneinsatz besteht nur in der Dosierung. Lösen kann man die Probleme nur durch eine Rückkehr zur bäuerlichen Landwirtschaft, durch eine Abkehr von der industriellen Massentierproduktion. Solange die Politik den Strukturwandel in der Landwirtschaft durch Schaffung von immer größeren Betriebseinheiten fördert, solange gibt es keine Rettung.

Die Grünen haben sich schon sehr früh gegen die Tötung der hormonbehandelten Kälber ausgesprochen. War die schnelle Tötung der Kälber falsch?

Die Tötung wäre vermeidbar gewesen. Wären die Tiere im ausgewachsenen Zustand geschlachtet worden, hätte eine Gesundheitsgefahr für die Verbraucher wahrscheinlich nicht mehr bestanden.

Wenn das richtig ist, kommen auf die Landesregierung wohl hohe Schadensersatzansprüche zu...

Die juristische Auseinandersetzung läuft im Augenblick schon im Kreis Borken, und das Land rechnet ja auch damit, daß es schadensersatzpflichtig wird. Bei der ganzen Aktion mußte man abwägen zwischen dem Verbraucherschutz und dem Tierschutz. Aus verbraucherpolitischer Sicht habe ich zwar Verständnis für die Tötungsanordnung von Landwirtschaftsminister Matthiesen. Aber die auch in der Form skandalöse Tötung der Tiere hätte nicht sein müssen.

Sie haben damals den verantwortlichen Politikern vorgeworfen, sie verschlössen die Augen davor, daß Hormone auch in der Schweinemast eingesetzt würden. Sie selbst haben entsprechende Unterlagen der Staatsanwaltschaft übergeben. Was ist daraus geworden?

Was ich damals gesagt habe, wird nicht zuletzt durch die aktuelle Schweineseuche, die mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit Ergebnis der Massenhaltung und des Einsatzes von zahllosen Medikamenten ist, belegt. Das von mir initiierte Verfahren ist allerdings wegen Geringfügigkeit bzw. Verjährung eingestellt worden.

Wem hat der Hormonskandal am Ende geschadet?

Der Landwirtschaft insgesamt, denn die Verbraucher differrenzieren nicht — sie können es in der Regel auch nicht — zwischen dem kleinen Bauern, der zehn Kälber im Stall hat und dem großen Mäster, dessen Bestand über 500 Tiere hinausgeht. Auch die bäuerliche Landwirtschaft hat unter dem Rufschaden, den die Großen der Branche verursacht haben, gelitten.

Hätten die Behörden etwa schweigen sollen?

Nein, ich plädiere nicht für Vertuschen, aber man muß die Dimensionen sehen. Die Beteiligten, auch wenn man die Lohnmäster hinzuzählt, repräsentierten nicht einmal drei Prozent im Gewerbe.

Der Landwirtschaftsminister von NRW, Klaus Matthiesen, ist von CDU und Grünen unisono gescholten worden, er habe den Kälberskandal quasi im Sommerloch inszeniert, um selbst als strahlender Verbraucherschützer dazustehen. Halten Sie an dieser Kritik fest?

Matthiesen ist in NRW, was die Inszenierung von medienwirksamen Spektakeln anbetrifft, der ungekrönte König. Das war beim Kälberskandal nicht anders und ist von uns zu recht kritisiert worden, denn die Form seiner Auftritte war unseriös und spektakelhaft. Gleichwohl will ich ihm nicht absprechen, daß ihn die Sorge um die Verbraucherinteressen umgetrieben hat. Interview: Walter Jakobs

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