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INTERVIEWWas bleibt, um mit dem Pfund der Historie zu wuchern?

■ Interview mit Johann Gerlach, dem neuen Präsidenten der Freien Universität/ Die Wissenschaftspolitik dürfe nicht »die FU mit der Aufgabe der Massenausbildung bei beschränkter Mittelzuweisung allein lassen und sich in Humboldt ein Dekorum verschaffen«/ Kampf um das Ansehen

Mit der Wahl des Juraprofessors Johann W. Gerlach zum Präsidenten der Freien Universität ist die skandalumwitterte Ära Heckelmann in Dahlem endgültig abgeschlossen. Zugleich ist die Situation für die FU prekär wie noch nie in den vergangenen 43 Jahren ihrer Existenz. Wird Wissenschaftssenator Erhardt sie aushungern und statt dessen die Humboldt-Universität Unter den Linden exklusiv ausstatten? Wie stellt sich der neue FU-Präsident dazu? Ein Interview von Winfried Sträter.

taz: Bedeutet es Ihnen Genugtuung, hier als Präsident Nachfolger Heckelmanns zu sein, oder ist es auch ein Stück Peinlichkeit nach den Affären, mit denen in der Heckelmann- Zeit dieses Amt unrühmlich bekanntgeworden ist?

Gerlach: Also, ich will mich nicht in Abgrenzung zur Vergangenheit definieren. Genugtuung könnte man höchstens sagen, wenn man daran denkt, wie ich hier vor etwa zehn Jahren für ein Amt als 1. Vizepräsident praktisch politisch dauernd verhindert worden bin. Ich denke, die Verhältnisse sind so, daß wir mit dem Bewältigen der Vergangenheit am besten umgehen, wenn wir sie vergangen sein lassen. Heute herrschen ausgeglichenere Verhältnisse an der FU. Man spricht über die fachlichen und vor allem politischen Grenzen hinweg mehr miteinander.

Droht die FU das Schmuddelkind der Berliner Wissenschaftslandschaft zu werden?

Sie sprechen einen wunden Punkt an. Es gibt keine westliche, westdeutsche Universität, die um der deutschen Einigung willen in Frage gestellt wäre im Hinblick auf auch nur ein einziges Institut. Während wir entschieden abgeben sollen um der Einheit willen.

Was halten Sie von der Humboldt-Universität?

Ich werde von mir aus als Amtsträger der FU schon gar nicht eine Meinung über die Humboldt-Universität äußern. Ich habe schon bedauert, daß in der Vergangenheit der Amtsvorgänger und der Akademische Senat sich deutlich gegen die Humboldt-Universität ausgesprochen haben. Es ist nicht unseres Amtes, die Humboldt-Universität zu bewerten, zu be- oder verurteilen. Meine Haltung in der Frage der Abwicklung war immer, daß einzelfallbezogen operiert werden muß.

Sie haben für Wirbel gesorgt, weil Sie gesagt haben, die Humboldt-Universität habe nicht viel mehr als ihren Namen einzubringen. Wie kommen Sie dazu, die Universität derart abzuqualifizieren?

Das klingt abqualifizierender, als es gemeint ist. Die Tradition der großen Berliner Universität ist unbestritten. Die Frage ist, was davon heute noch bleibt, um mit diesem Pfund der Historie wuchern zu können. Und da müssen wir nüchtern feststellen: Erstens, es begann ein Exodus im Dritten Reich, und zweitens, nach 45 wurde sie nicht wieder-, sondern neueröffnet. Sie hieß Universität Berlin oder Berliner Universität. Und dann erhielt sie 49 den Namen Humboldt. Und aus meiner Sicht war die Verwendung des Namens damals eine schlichte Blasphemie. Denn was in den Jahren danach drüben passiert ist, hatte mit den Idealen von Humboldt nichts zu tun. Und nun geht es mir schlicht darum zu sagen: Das was Tradition ist, sei es die alte Universität, sei es der Name Humboldt, hat einen Wertinhalt, der der Realität der Humboldt heute nicht gerecht wird. So daß man sich nicht unter dem Nimbus des Namens und dem Gewicht der Historie nun selbst ein Gewicht geben kann, das unangemessen ist. Damit ist überhaupt nicht gesagt, daß die Mitglieder der Humboldt-Universität pauschal disqualifiziert wären. Es geht nur darum, wie in der politischen Auseinandersetzung zwischen Freier und Humboldt-Universität nun mit welchem Symbol gehandelt wird. Meine Rede war schlicht: Die FU braucht sich hinter der Humboldt-Universität von heute nicht zu verstecken.

Es gibt Kollegen an Ihrer Universität, die fühlen sich jetzt gewissermaßen als FU-Angehörige aus dem Zentrum Berlins vertrieben. Und melden lautstark ihre Ansprüche an, dahin zurückkehren zu dürfen. Zum Campus der Humboldt-Universität. Hat der Präsident der FU vielleicht auch solche Vorstellungen?

Die Gründung der FU ist ja im Kontext mit der deutschen Spaltung zu sehen. Und so hat der Fall der Mauer natürlich Folgen für die Neudefinition des Verhältnisses von Freier und Humboldt-Universität. Wenn ich nun die Überlegung habe, ob man nicht vorübergehend beide Universitäten vereinen sollte, dann gibt es dafür zwei Gründe. Der auslösende Gedanke ist die Finanzrestriktion im Lande Berlin. Man kann nicht seriöserweise einen Erhalt der FU in ihren wesentlichen Bereichen vorsehen und gleichzeitig die Humboldt-Universität im Zentrum in wesentlichen Teilen parallel und neu aufbauen und auch seriös ausstatten. Ich denke, die finanziellen Rahmenbedingungen genügen dafür nicht. Das ist der eine Punkt. Und der andere ist der, der Streit heute zwischen FU und Humboldt ist ein Symbol- und Historienstreit. Man streitet im Grunde um: das gehört mir, oder es bleibt bei mir. Wäre es eine Universität, dann wäre es nur noch eine Frage des Standortes. Welche Fächer müssen ungefähr lokal zusammenhängen, um im Hinblick auf die Forschung und im Hinblick auf die Studenten eine angemessene Lagesituation herzustellen? Das wäre viel pragmatischer. Bei zwei Universitäten lassen sich beide durch die staatliche Seite, die Verwaltung, gegeneinander ausspielen. Sie ist dann der Schiedsrichter zwischen den Bedürfnissen. Das ist gefährlich!

Haben Sie dabei bedacht, daß die Humboldt-Uni auch ein Stück Heimat für ihre Oststudenten und -dozenten ist?

Wenn ich aus der Humboldt-Universität höre, daß man meinen Vorschlag als Bedrohung empfindet, als einen Vorschlag zur Einverleibung, dann kann ich nur nüchtern sagen: Ich glaube, die Angehörigen der Humboldt- Universität verbinden mit dem Versuch, den Namen und die Eigenständigkeit zu verbinden, die Hoffnung, sich dahinter besser schützen zu können. Wenn ich aber die Politik des Senators sehe, dann geht es ihm nicht darum, die hinter dem Namen jetzt stehenden Personen vor allem zu schützen, sondern eine neue Universität qualitativ aufzubauen. Und wenn das seine Vision ist, dann wird das überwiegend mit Westdeutschen geschehen. Das heißt, die Humboldt-Universität hat für die bisher an ihr Tätigen keine Schutzfunktion.

Was machen Sie aber, wenn nun Senator Erhardt die Humboldt-Universität exklusiv austattet als Nummer 1 in Berlin und Deutschland: Können Sie dann hier Ihren Laden überhaupt noch zusammenhalten, oder wird er zum Steinbruch: Die mäßigeren Gelehrten bleiben übrig, die besseren wandern an die Humboldt-Universität ab?

Das ist ein Problem, in der Tat. Die Wissenschaftspolitik wird aber nicht mit völlig verschiedenen Maßen messen können. Sie kann nicht die FU mit der Aufgabe der Massenausbildung bei beschränkter Mittelzuweisung allein lassen und sich in Humboldt ein Dekorum verschaffen. Ich kann mir nicht vorstellen, daß die Dozenten der Freien Universität dem mit Ruhe entgegensehen. Das Selbstbewußtsein der FU als einer westlichen Universität sollten die Hochschulpolitiker nicht unterschätzen. Ich glaube schon, daß hier genügend Selbstbewußtsein herscht, um sich nicht zum Spielball machen zu lassen.

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