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INTERVIEW40 Tage und 40 Nächte im Ring

■ Das türkische Ölringen ist dem Untergang geweiht/ Finanzielle Unterstützung gibt es nur für den Fußball

Ölringen ist eine traditionelle türkische Sportart. Turgut Kilic hat auf diesem Gebiet zahlreiche Preise errungen. Am vergangenen Sonntag feierte der 45jährige in Istanbul unter Trommel- und Oboenklängen seinen Abschied vom aktiven Ölringsport. Kilics letzte Vorstellung fand auf einem freien Feld im Stadtteil Baglarbasi statt. Viele seiner Kollegen, ihre Körper ganz in Öl eingerieben, traten zum Wettkampf an. Die taz sprach auf der Wiese mit Turgut Kilic.

taz: Wie kamen Sie zum Ölringen?

Kilic: Ich stamme aus dem Dorf Kusdogan bei Bafra am Schwarzen Meer. Als 14jähriger habe ich dort mit dem Ölringen begonnen. Schon mein Vater war Ölringer. Später nahm ich an großen Wettkämpfen teil — in Samsun, Izmir und in Edirne. Man muß an der ägäischen Küste gelernt haben. Wer dort nicht als Ringer geübt hat, kann sich keinen Namen machen.

Können sie uns über den Sport und die Regeln aufklären?

Du mußt deinen Kspet (aus Leder verarbeitete kurze Hose) anziehen. Dann mußt du deinen ganzen Körper von Kopf bis Fuß mit Olivenöl einreiben. Zur Not geht auch Sonnenblumenöl. Dann mußt du „Bismillahirahman irrahim“ (im Namen des gnädigen Gottes) rufen. Zuerst schlägst du mit der rechten Hand auf dein rechtes Knie, dann mit der linken Hand auf dein linkes Knie. Danach ist es soweit. Du trittst auf das Feld, begrüßt deinen Gegner, und es geht los. Seit ein paar Jahren hat der Ringerverband Regeln erlassen, wonach man auch nach Punkten Sieger werden kann. Früher hat es so etwas nicht gegeben. Erst wenn die Schultern eines Ringers sich zum Boden neigten, wurde der Wettkampf beendet. Die Schulter muß nicht wie beim klassischen Ringen die Matte berühren. Früher haben Ringer manchmal 40 Tage und 40 Nächte gerungen, bis ein Verlierer feststand.

Sie haben den Wettkampf heute veranstaltet. Was ist der Anlaß?

Ich nehme heute meinen Abschied vom Ölringen. Seit 25 Jahren bin ich aktiv. Ich habe bei den berühmtesten Ölringkämpfen in Kirkpinar, an denen Jahr für Jahr über tausend Ringer teilnehmen, Preise gewonnen. In der Türkei gibt es zehntausende Ölringer.

Wie wird man ein guter Ölringer?

Man fängt schon als Kind an. Täglich muß man üben. Alkohol ist streng verboten. In meiner aktiven Zeit massierte ich meinen Körper täglich eine Stunde.

Was ist das Besondere am Ölringen im Vergleich zu anderen Sportarten?

Ölringen ist über tausend Jahre alt. Wie kurz ist dagegen doch die Geschichte des Fußballs. Du bist beim Ölringen allein auf dich gestellt. Der Fußballer kann sich ausruhen, wenn der Ball woanders ist — beim Ölringen gibt es keine Ruhe.

Es sind heute kaum Zuschauer auf der Wiese, obwohl doch über hundert Ölringer zum Wettkampf antreten. Sitzen die meisten Jugendli- chen nicht vor dem Fernsehen und glotzen die Spiele der Nationalliga? Ist das Ölringen nicht dem Untergang geweiht?

Nun schauen Sie sich die Medien an. Das Fußballspiel in der dritten Liga wird im Fernsehen übertragen. Die wichtigsten Wettkämpfe des Ölringens kommen im Fernsehen jedoch nicht vor. Es ist unglaublich. Ölringen ist der Sport unserer Urgroßväter. Aber uns schenkt man keine Beachtung. Beim Fußball hat die Politik ihre Finger im Spiel. Wir haben mit Politik dagegen nichts im Sinn. Die großen Ölringer von einst und ihre Familien leben im Elend, zum Beispiel im Fall des seligen Süleyman aus Tekirdag. Seine Witwe wohnt in Eyüp. Ihr Vermieter hat ihr gekündigt. Die 80jährige Frau erhält keinen Groschen Unterstützung. Wenn einem Fußballer etwas passiert, ist die Hölle los, sofort gibt es Staatsknete. Wenn Toni Schumacher Abschied feiert, rollen die Millionen.

Früher haben die osmanischen Sultane den Ölringkampf gefördert. Heute gibt es keinen Geschäftsmann, der Interesse an uns hat. Interview: Ömer Erzeren

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