INTERVIEW: »Es gibt nur zwei, drei Themen, der Rest sind Anekdoten«
■ Ein Gespräch mit Judith Kuckart und Jörg Aufenanger vom (Tanz-)Theater »Skoronel«
Seit 1986 sucht das (Tanz-)Theater »Skoronel« — benannt nach Vera Skoronel, einer Ausdruckstänzerin der 20er Jahre — eine Theaterform aus modernem Tanz, Musik und Sprache. Die Autorin und Choreografin Judith Kuckart und der Regisseur Jörg Aufenanger arbeiten mit einer festen Truppe aus neun Mitarbeitern, je nach aktueller Produktion werden weitere dazuengagiert. An der neuen Produktion »Agrippina«, die am 30.Oktober Premiere hatte, waren insgesamt 13 Personen beteiligt. Das Theater Skoronel lebt vom »Sondertopf« des Berliner Senats, erhält also regelmäßig Förderungsgelder — unter der Auflage, mindestens zwei Produktionen im Jahr herauszubringen. Neben den Vorstellungen in Berlin gastiert Skoronel in West- und Ostdeutschland, fast ausschließlich in Stadttheatern. Das neue Stück »Agrippina« von Daniel Casper Lohenstein (1635-1683) wird seit seiner Entstehung vor fast 350 Jahren erstmals auf die Bühne gebracht. Eine wilde, manchmal an Shakespeare erinnernde Inzest- und Mordgeschichte um Kaiser Nero und seine Mutter Agrippina.
taz: Mit Lohensteins »Agrippina« habt ihr erstmals eine fremde literarische Vorlage benutzt. Zugleich wird das Wort »Tanz« in euren Programmheften immer kleiner. Wie ist es zu dieser Wendung gekommen?
Judith Kuckart: Einmal wollten wir ausprobieren, wie wir mit einem Text umgehen, der nicht von mir geschrieben ist — weil man mit den eigenen Texten immer viel vorsichtiger umgeht und sowieso schon weiß, was man sagen will, wenn man's schreibt und es nicht nochmal lesen muß, um es auf die Bühne zu bringen. Und daß das Wort »Tanz« immer kleiner wird, heißt nicht, daß wir keinen Tanz mehr machen wollen; aber wir wollen kein »Tanztheater« mehr machen, weil wir denken, daß diese Form tot ist. Das Sprechtheater hat eine Menge vom Tanztheater gelernt, und da sollte man weiterarbeiten. Und es gibt mit den Leuten, die wir haben, und auf dem Weg, den wir gehen wollen, eine Möglichkeit, mit Texten choreografisch und musikalisch umzugehen...
Jörg Aufenanger: Lohensteins Stück ist fürs deutsche Theater ungewöhnlich, weil es eine sehr musikalische und rhythmische Sprache hat. Der Text selbst wird zum Ereignis. Das ist dem deutschen Theater seit Lessing verlorengegangen.
Es gibt in eurer Inszenierung reine Bewegungselemente, Sprechtheaterszenen und Mischformen. Wie entwickelt ihr das?
Kuckart: Es gibt am Anfang eine ganz klare Idee, die so weit geht, daß aufgezeichnet ist, was geschehen wird.
Aufenanger: Es entsteht erst die choreografische Form, die dann gefüllt wird mit dem, was die Leute spielen. Das ärgert manche Schauspieler, weil sie sich nicht frei genug fühlen. Aber sie lernen zum Teil von den Tänzern, zuerst von einer Form auszugehen und dann die Geschichte mit der Emotion oder dem eigenen Erleben zu füllen.
Arbeitet ihr beiden dabei von Anfang an zusammen?
Aufenanger: Wir haben es bei diesem Stück durchgehend zusammen entwickelt, weil ich denke, daß gutes Sprechtheater auch immer choreografisch vorher gedacht ist — sonst bleibt es zu privat auf der Bühne.
Kuckart: Es ist bei dem Stück zum ersten Mal, daß die Bereiche sich völlig überschneiden, daß also nicht er für Text zuständig ist und ich für Tanz.
Ist der Verzicht auf jedes Bühnenbild konzeptionelle Absicht?
Aufenanger: Ja. Wir wollen klarmachen, daß es Spiel ist, nicht Illusion oder ein Als-ob-Theater. In diesem Stück ist das vielleicht am deutlichsten, weil die Spieler immer am Rand der Bühne sitzen und man sieht, wo das Spiel beginnt und wo es aufhört. Bei einem großen Bühnenbild würde das verschwinden, weil ein Bühnenbild fast immer etwas Naturalistisches an sich hat.
Kuckart: Die Räume, in denen etwas geschieht, sind durch das Licht gekennzeichnet.
Warum haben eure bisherigen Produktionen thematisch so eine klare Orientierung auf Passionsgeschichten, Leidenswege?
Aufenanger: Das hängt vielleicht mit unser beider Lebensgefühl zusammen. Es geht eigentlich darum, was die Menschen auf der Strecke zwischen Geburt und Tod machen — weshalb handeln sie so, wie sie handeln, welches Leiden oder welche Leidenschaft löst das bei ihnen aus? Wir haben uns auch überlegt, ob wir mal ein ganz anderes Thema machen, wie zum Beispiel »Blondinen« oder »Tanz um das goldene Kalb«, was ja aktueller wäre — aber das kommt vielleicht noch.
Kuckart: Es gibt eigentlich, glaube ich, nur zwei, drei Themen, die wirkliche Themen sind — alles andere sind Anekdoten. Eine richtig starke Fabel hat mit Leben und Tod, Liebe und Leidenschaft zu tun, und alles andere, was man sonst noch so erzählen kann, ist Drumherumerzählen. Das sind so abgekochte Variationen davon. Anekdoten eben. Deswegen haben wir auch Lohenstein genommen, weil der über diese Themen erzählen kann. Ein Botho Strauß könnte so was nicht schreiben. Die Fragen stellte Klaus Nothnagel
Agrippina noch bis 10. 11., jeweils 20.30 Uhr in der Theatermanufaktur am Halleschen Ufer
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