INTERVIEW: „Die künstliche Intelligenz ist in erster Linie ein Modewort“
■ Joseph Weizenbaum vom Massachussets Institut für Technologie (MIT) in Boston glaubt nicht, daß Computer unser Leben erleichtern
taz: Glauben Sie, daß es möglich sein wird, menschliche Erfahrung und Wissen vollständig auf digitale Datenträger zu speichern?
Joseph Weizenbaum: Diese Möglichkeit halte ich für ausgeschlossen. Die Menschen wissen sehr viel mehr, als sie ausdrücken können. Wie soll Wissen, das in keiner Form ausgedrückt werden kann, digital oder analog gespeichert werden?
Welche grundsätzlichen Unterschiede bestehen zwischen dem biologischen System Mensch und den digitalen Systemen der elektronischen Datenverarbeitung?
Es ist ein Zeichen des Wahnsinns unserer Zeit, daß solche Fragen überhaupt gestellt werden. Die Unterschiede sind unübersehbar.
Hat die Strategie, die man für das Studium des menschlichen Gehirns heranzieht, eher etwas mit dem Studium eines Textes als mit rein physikalischen Beobachtungen zu tun?
Eine schwierige Frage. Selbst einem Computerfachmann, der die inneren Zustände des Speichers eines gerade laufenden Computers genau kennt, kann unmöglich wissen, woran der Computer gerade rechnet, etwa ob an einer Inventarrechnung oder einer Differentialgleichung. Selbst wenn ein wissenschaftlicher Beobachter „von außen“ alles über die Struktur eines bestimmten menschlichen Gehirns wüßte, wäre es trotzdem unmöglich zu sagen, woran dieser Mensch gerade denkt. Die rein physikalischen Abläufe eines bestimmten menschlichen Gehirns zu kennen, bedeutet nicht, daß man dieses Denken versteht. In dieser Hinsicht ist ein Computer sehr, sehr viel einfacher als das menschliche Gehirn. Ich glaube, ohne den Kontext, in dem das menschliche Gehirn existiert, ist ein Verständnis unmöglich.
Was brachte Ihren MIT-Kollegen Marvin Minsky dazu, zu sagen, die nächste Computergeneration werde so intelligent sein, daß wir „Glück haben, wenn sie uns noch als Haustier halten“?
Ob so ein Dasein als Haustier so glücklich wäre? Minsky dachte dabei wohl an eine Computerwelt, die auch mit dem Menschen spielt. Die Vorstellung, daß die Menschheit unbedeutend werden könnte, ist Unsinn.
Ist der weltweite Siegeszug der künstlichen Intelligenz noch aufzuhalten?
Es kann nicht darum gehen, ökonomische und historische Entwicklungen aufzuhalten. Der wirtschaftliche Niedergang des ehemaligen Ostblocks ist eher die Folge der Marxschen Idee, daß Geschichte und Gesellschaft durch naturwissenschaftliche Gesetzmäßigkeiten erklärbar seien. Hier wird deutlich, was passiert, wenn sich ganze Gesellschaften vollständig einem abstrakten wissenschaftlichen Dogma unterwerfen. Der Begriff der „artifical intelligence“, also künstliche Intelligenz, ist dagegen in erster Linie ein Modewort, bei dem Werbung eine große Rolle spielt.
Für eine große Mehrheit der Bürger wird die Computerwelt immer undurchsichtiger.
Die Tendenz der Naturwissenschaft zu immer höherer Abstraktion besteht schon seit Jahrzehnten, angefangen von der Entwicklung der ersten Dampfmaschine, deren Funktionsweise für die Allgemeinheit keineswegs durchsichtig war.
Was bedeutet der politische Wille eines Einzelnen in den riesigen informativen Vernetzungen?
Man könnte darauf sowohl antworten „heute viel mehr als früher“ als auch „viel weniger als früher“. Nicht der Computer an sich, sondern die Art seiner Verwendung ist entscheidend. Es gibt viele positive Beispiele: Durch computergestützte Meinungsforschung und Wahlanalysen wird der Bürger an politischen Entscheidungen beteiligt. Auch eine zukünftige, dezentrale Energieversorgung durch Sonnenkollektoren setzt höchst ausgeklügelte technische Methoden voraus, die ohne Computer nicht denkbar sind. Die internationalen Arbeitsteilungen, etwa bei der Produktion eines Autos, dessen Teile in verschiedenen Ländern der Welt hergestellt werden, sind eine Folge der computergestützten Massenproduktion. Die Entscheidungen, ob ein bestimmtes Produkt hergestellt wird und wieviel es kostet, liegt bei immer mehr Leuten.
Heute wird nicht selten argumentiert, daß durch den Einsatz von Computern unsere Arbeitsbedingungen erleichtert werden.
Eine ganze Menge monotoner Arbeiten oder Drecksarbeiten können heute von Computern übernommen werden. Allerdings: was wird den Menschen in ihrer Freizeit angeboten? Ist das „Entertainment“, die gesamte Unterhaltungsindustrie, nicht oft geradezu ein Tod für sich? Auch verbreiten wir Märchen, daß Computer ausschließlich Routinearbeiten übernehmen würden. Soll man sich dazu eine Kassiererin in einem Restaurant vorstellen, die die Regristrierkasse ohne zu lesen nur noch über Bilder bedient. Die Möglichkeit, die Grundbedürfnisse der Menschen auf der ganzen Welt zu befriedigen, besteht, aber was fehlt, ist der politische Wille. Es würde auch bedeuten, daß wir in den reichen Ländern bereit sein müßten, unseren Lebensstandard zu verringern. Die Konsumwelt, die Wegwerfgesellschaft — das müssen wir aufgeben. Interview: Johannes Schneider
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