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INTERVIEW„Eine globale Antwort auf nationale Flüchtlingsströme“

■ Lionel Rosenblatt ist Direktor der Flüchtlingsorganisation „Refugee International“ in Washington

taz: Die Flüchtlingspolitik der USA scheint derzeit alles andere als kohärent. Haitianer werden anders behandelt als Kubaner. Zuerst hielt man die Boat people aus Haiti auf den Schiffen der Küstenwache fest, dann wollte man sie zurückschicken, nun sollen sie vorübergehend auf dem US-Stützpunkt von Guantanamo in Zeltlagern untergebracht werden. Wie sollten die USA Ihrer Meinung nach mit den Flüchtlingen aus Haiti umgehen?

Lionel Rosenblatt: Auf jeden Fall muß zwischen reinen Wirtschaftsflüchtlingen und politischen Flüchtlingen unterschieden werden, die nach dem Standard der UNO in ihrem Heimatland der Gefahr politischer Verfolgung ausgesetzt sind. Diese Unterscheidung ist nur durch standardisierte Interviews in Gegenwart von UN-Beamten und der Chance zur Berufung möglich. Bei den bisherigen Interviews auf den überfüllten Schiffen der Küstenwache war ein solches Verfahren nicht durchführbar.

Was halten Sie von dem besonderen Repatriierungsabkommen zwischen dem Duvalier-Regime und der Reagan-Administration aus dem Jahre 1981, das nur für Haitianer gilt?

Dieses Abkommen hat uns schon immer beunruhigt, obwohl uns aus der Zeit vor dem Sturz der Aristide- Regierung keine Fälle der Mißhandlung von zurückgeschickten Flüchtlingen bekanntgeworden sind. Im Augenblick haben sich die politischen Zustände auf Haiti jedoch stark verschlechtert, so daß wir die Behandlung zurückkehrender Flüchtlinge durch das Regime nicht einmal mehr überwachen können. Deshalb ist dieses Abkommen völlig unakzeptabel.

Wie würden Sie die amerikanische Flüchtlings- und Einwanderungspolitik im internationalen Vergleich vor allem mit Europa einschätzen?

Generell angemessen, würde ich sagen. Was die vorübergehende Asylgewährung für Flüchtlinge aus Indochina angeht und die Aufnahme vietnamesischer Flüchtlinge, haben sich die USA vorbildlich verhalten. Zusammen mit Frankreich, Kanada, Norwegen und Neuseeland. Auch in Äthiopien konnte ich mich im letzten Sommer über die verstärkten Anstrengungen der USA bei der Hilfe für die im Bürgerkrieg heimatlos gewordenen Äthiopier überzeugen.

Wir befürchten allerdings jetzt, daß die USA durch ihr hartes Verhalten gegenüber den haitianischen Flüchtlingen an Glaubwürdigkeit und Überzeugungskraft verlieren, wenn sie die UN und andere Regierungen zur verstärkten Flüchtlingshilfe aufruft.

Sehen oder befürchten Sie in diesen Tagen der wirtschaftlichen Rezession und rassistischer politischer Kandidaten wie David Duke in Louisiana auch in der US-amerikanischen Bevölkerung eine Zunahme dessen, was wir in Deutschland „Ausländerfeindlichkeit“ nennen?

Wenn die Leute in Meinungsumfragen gefragt werden, ob die USA mehr Einwanderer aufnehmen sollen, lautet die Antwort selbst in wirtschaftlich guten Zeiten fast immer „nein“. Doch auf der Gemeinde- oder persönlichen Ebene ist die Reaktion auf die Neuankömmlinge fast immer tolerant und positiv.

Als Mitte der 70er Jahre ebenfalls während einer Rezession deutlich wurde, daß die USA eine größere Menge von Flüchtlingen aus Indochina aufnehmen mußten, hatte ich zunächst Angst, daß diese Leute nach dem Vietnamkrieg hier nicht freundlich empfangen würden. Aber als ich damals etwa im tiefen Süden von Arkansas ankam und dort an der Baptistenkirche einen Willkommensgruß auf vietnamesisch las, wußte ich, daß diese Befürchtungen grundlos waren. Vor Ort war dies bisher immer die typische Reaktion. Das Klima hier in den USA, wo der Begriff vom Schmelztiegel der verschiedenen Kulturen als besonderes Merkmal unserer Gesellschaft akzeptiert wird, scheint Flüchtlingen und Einwanderern gegenüber offener als in Europa zu sein.

Lassen Sie mich noch eines zu der Situation in Deutschland sagen. Die gewaltsamen Übergriffe gegen Ausländer sind für uns sehr beunruhigend, nicht nur weil sie wieder alte Assoziationen wecken. Sie beginnen ferner dem hervorragenden Ansehen zu schaden, welches das Nachkriegsdeutschland hierzulande und anderswo bisher genossen hat.

In Deutschland wird nach den zahlreichen Übergriffen gegen Ausländer derzeit eine Einschränkung des liberalen Asylrechts diskutiert, ohne auf der anderen Seite wie in den USA feste Quoten für Wirtschaftsflüchtlinge zu haben. Wie sehen Sie dieses Verhältnis zwischen politischem Asylrecht und Einwanderung?

Zunächst sollten politische Asylbewerber mit einer gewissen Flexibilität behandelt werden, so daß auch verschiedene Faktoren, die auf die Gefahr der politischen Verfolgung hinauslaufen, als solche anerkannt werden. Flüchtlingen, deren Forderungen nach politischem Asyl auch nur halbwegs glaubwürdig sind, sollte zumindest eine vorübergehende Aufenthaltserlaubnis erteilt werden. Dies darf allerdings keine generellen Einwandererquoten ersetzen, die jedes Land nach seinen Bedürfnissen und Möglichkeiten festlegen sollte.

Sind Sie für eine internationale Abstimmung in der Flüchtlingspolitik?

Ich halte eine solche globale Koordination zur Aufteilung der jeweiligen Flüchtlingsströme für wünschenswert. Es wäre gut, wenn die Flüchtlingsorganisation der UN hier eine prominentere Rolle spielte. Auch um den Ländern der dritten Welt von überall her das gleiche Signal zu geben. In der Praxis könnten sich jetzt schon die Industrieländer der G-7-Gruppe darauf einigen, wie sie sich in Zukunft der Flüchtlingsströme annehmen, damit nicht ein Land jeweils die Hauptlast zu tragen hat.

Die USA sind ja vor allem deswegen so besorgt über die Situation auf Haiti, weil sie das Nachbarland sind, dem alle Haitianer zustreben. Die Briten hatten die gleiche Angst in Hongkong. Vielleicht sind ja internationale Flüchtlingslager eine Antwort auf dieses Problem. Auf jeden Fall brauchen wir eine integrierte globale Antwort auf lokale Flüchtlingskrisen mit einer weltweiten Aufteilung der Lasten. Interview: Rolf Paasch

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