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INTERVIEW„Die Anerkennung darf nicht als Kampfmittel eingesetzt werden“

■ Horst Grabert, langjähriger deutscher Botschafter in Belgrad, zur Frage der diplomatischen Anerkennung Sloweniens und Kroatiens

Von 1979 bis 1984 war Horst Grabert Leiter der deutschen Botschaft in Jugoslawien, heute ist er Berater des Vorsitzenden der Sozialistischen Internationale, Willy Brandt, unter dessen sozialliberaler Koalition er von 1972 bis 1974 Kanzleramtschef war. Das Gespräch wurde kurz vor dem Briefwechsel zwischen Genscher und Perez de Cuellar geführt.

taz: Kohl und Genscher haben Slowenien und Kroatien die diplomatische Anerkennung noch vor Weihnachten zugesichert — wenn die anderen EG-Staaten nicht mitziehen, wollen die Deutschen notfalls auch im Alleingang vorpreschen. Kommt die Anerkennung zu spät, gerade richtig oder gar zu früh?

Horst Grabert: Die Anerkennung kommt zu früh. Wenn ich noch in Belgrad als Botschafter gesessen hätte, hätte ich Herrn Genscher einen dringenden Bericht geschrieben und vorgeschlagen, insbesondere Kroatien keinenfalls jetzt schon völkerrechtlich anzuerkennen, wohl aber eine Anerkennung eines Verhandlungsergebnisses in Aussicht zu stellen. An Verhandlungen müßten alle involvierten Parteien, also etwa auch die Kosovo-Albaner, beteiligt werden. Da gehört dann auch die mazedonische Frage auf den Tisch und das Problem Bosnien-Herzegowina. Wenn man sich nach einer Verhandlungsperiode darauf einigt, daß die sechs Republiken oder ein Teil von ihnen als selbständige Staaten etabliert werden sollten, wäre ein solcher Akkord natürlich anzuerkennen. Das würde auch die völkerrechtliche Anerkennung souveräner Einzelstaaten ermöglichen, aber Anerkennung eben nicht als Kampfmittel, sondern als Bestätigung eines friedlichen Verhandlungsvorgangs.

Die Briten, Franzosen und Holländer nehmen in der Frage der Anerkennung eine andere Position als die Deutschen ein. Verstecken sich dahinter andere Interessen?

Daß solche Positionen mit den Minderheitsproblemen im eigenen Land zusammenhängen, wie immer wieder zu lesen ist, halte ich für zu kurz gegriffen. In diesen Ländern sieht man eben nicht nur den Einzelfall, sondern stellt die Sache in einen größeren Zusammenhang und bedenkt, daß das Beispiel Jugoslawien — was die Ordnung von Nationalitätenproblemen angeht, ein absolutes Negativbeispiel — Schule für andere Nationalitätenkonflikte in anderen Teilen Ost- und Südosteuropas machen könnte. Da wird mehr und tiefer darüber nachgedacht, daß man nicht falsche Modellvorstellungen entwickeln darf.

Ist es denn ein Zufall, daß gerade Deutschland, Italien und Österreich, drei Länder, die Teile Jugoslawiens besetzt oder besessen haben, in der Frage der Anerkennung nun vorpreschen?

Österreich und Italien sind Nachbarstaaten, und die haben natürlich immer spezielle Interessen. Selbstverständlich spielen in Österreich auch alte mentale Beziehungen zu Slowenien und zu Kroatien, die zur alten Monarchie gehörten, eine Rolle. Man weiß, daß die kroatischen Regimenter die Monarchie am kräftigsten verteidigt haben. Geschichte ist ja nichts Vergangenes, sie ist immer lebendig. Und die Motivation, nun helfen zu wollen, ist ja an sich nichts Schlechtes. Daß in Deutschland Leute wie der Sozialdemokrat Norbert Gansel das Primat des Selbstbestimmungsrechtes der Völker verteidigen und durchsetzen wollen, ist ja auch nichts Schlechtes, besser, als wenn sich die Deutschen auf der internationalen Bühne in anderer Richtung betätigen würden. Trotzdem bleibt die Forderung, daß auch das Selbstbestimmungsrecht gewaltfrei durchgesetzt werden muß. Das ist die Verabredung, die wir in Helsinki getroffen haben.

Genscher sagte noch vor wenigen Wochen, Deutschland werde auf keinen Fall einen Alleingang machen. Nun scheint er notfalls doch bereit zu sein. Welche Erklärung haben Sie dafür?

Nun, in einem demokratischen Land agiert ja der Außenminister nicht in einem luftleeren Raum. Er wurde mit dem Vorstoß der CSU für die Anerkennung Kroatiens und Sloweniens konfrontiert, die das sicher nicht aus ganz uneigennützigen Gründen getan haben. Er war konfrontiert mit einer Verbreiterung dieser Meinung auf die parlamentarische Opposition. Auch Norbert Gansel hat sich im Bundestag in dieser Richtung geäußert. Die CDU folgte dem auch. Also sah sich der Außenminister vor einer fast einhelligen öffentlichen Meinung. Ich kann mir gut vorstellen, daß sich Kohl und Genscher, die beiden Männerfreunde, da gesagt haben: Wollen wir uns das auch noch aufladen? Wir haben ja genug, von Paragraph 218 und der Mehrwertsteuer angefangen, und nun auch das noch.

Sie sprachen von der Selbstbestimmung. Was heißt das für Jugoslawien, wo doch die Völker gerade in Zonen, die heute umkämpft sind, ziemlich vermischt leben?

Die UNO-Charta ist da nicht sehr präzise. Und es gibt verschiedene Interpretationen. Kroatien ist ja ein Gebiet, das nicht nur von Kroaten bewohnt ist, sondern auch noch von Serben und diesen und jenen und noch andern dazu.

Bezieht sich das Selbstbestimmungsrecht also sich auf die Bürger, die auf dem Territorium der Republik Kroatien wohnen?

Wenn das so ist, müßte man sich ja überlegen, ob dann nicht die große serbische Gruppe das Recht auf Selbstbestimmung hätte. Das ist ja die serbische Position. Die sagt: Wenn die Kroaten aus der Föderation Jugoslawien ausscheiden wollen, dann haben sie nicht das Recht, per Mehrheitsbeschluß über die große Minderheit der Serben mitzubestimmen. Da sollen diese — in Ausübung ihres Selbstbestimmungsrechts — mitbestimmen, ob sie das mitmachen wollen oder nicht.

Teilen Sie diese serbische Position?

Ich beschreibe erst mal nur, daß die Überschrift Selbstbestimmung nicht so weit führt. Denn Kroatien ist ja — zunächst — kein konstitutiv selbständiger Staat.

Jugoslawien gibt es doch nicht mehr.

Völkerrechtlich gibt es das noch. Daß das nicht viel bedeutet, weiß ich auch. Aber gerade die Deutschen, die so lange behauptet haben, daß das Deutsche Reich noch fortbesteht, sollten doch mal vorsichtig sein und das nicht alles so auf die schnelle erledigen. Sicher wird sich der Bundeskanzler noch daran erinnern, wie oft er darauf Wert gelegt hat, daß die deutsche Frage offen ist.

Wie kann man dem Selbstbestimmungsrecht in Jugoslawien zum Durchbruch verhelfen?

Zunächst einmal: Jetzt haben wir es mit einer anderen Situation zu tun als vor einem halben Jahr. Jetzt ist diese Frage mit schrecklichen Dingen, mit Hunderten von Morden auf beiden Seiten belastet. Es ist ja nicht so, daß nur die Serben gemordet hätten. Jetzt, nachdem dieser Konflikt diese Dimension angenommen hat, muß erst eine Abkühlungsperiode stattfinden. Und da ist natürlich der richtige Ansatzpunkt eine Friedenstruppe unter der Flagge der Vereinten Nationen, im übrigen nicht UN-Truppen aus Frankreich, Österreich, Großbritannien, eher aus Ägypten, Indien, aus dem Bereich der Blockfreien. Der erste Schritt muß die Durchsetzung eines Waffenstillstands sein. Das wird nur gehen, wenn man in den Krisengebieten solche UN-Truppen stationiert, beginnend meinetwegen in Dubrovnik, dann in den verschiedenen Krisenregionen, unabhängig von der Frage, wo die alte Verwaltungs- oder Republikgrenze war oder die Frontlinie. Die Krisengebiete müssen befriedet werden. Dort müssen dann natürlich die militanten Kohorten entwaffnet werden. Und danach kann man zum Beispiel den serbischen Vorschlag wieder aufgreifen, in diesen Gebieten eine Volksabstimmung durchzuführen.

Nachdem dort die Kroaten vertrieben sind...

Natürlich müßten dann diejenigen abstimmungsberechtigt sein, die bei der Einwohnerzählung von 1981 dort gewohnt haben.

Sie sprachen von Hunderten von Morden auf beiden Seiten. Das hört sich so danach an: Schuld sind alle gleichermaßen. Die EG sanktioniert jetzt nur noch die Republiken Serbien und Montenegro und hat so deutlich gemacht, daß sie Serbien bestrafen will und nicht Kroatien. Die USA hingegen haben jüngst unterschiedslos für ganz Jugoslawien Sanktionen beschlossen. Halten Sie die europäische oder die amerikanische Position für die angemessenere?

Die Serben werden ihre Güter nun mit bosnischen Lastwagen durch die Gegend fahren, und der deutsche Zoll wird große Probleme haben. Diese Sanktionen sind Drohgebärden. Jeder weiß, daß sie relativ wirkungslos sind. Es geht im übrigen nicht so sehr darum, einen Schuldigen zu finden, als vielmehr darum, den Konflikt zu lösen. Insofern ist die amerikanische Position sachbezogener und für eine Lösung hilfreicher als die einseitige Schuldzuweisung. Interview: Thomas Schmid

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