INTERVIEW: Die japanisch-amerikanische Handelsbilanz spielt nur eine untergeordnete Rolle
■ Für Motofumi Asai, Experte für internationale Beziehungen, sind die US-amerikanischen Wettbewerbsprobleme gegenüber Japan vor allem hausgemacht
Motofumi Asai (50), arbeitete 25 Jahre als Beamter im japanischen Außenministerium, unter anderem als Chef der Chinaabteilung. Aufgrund von Meinungsverschiedenheiten mit der Regierung verließ er 1987 das Ministerium. Später beriet er die sozialdemokratische Parteiführerin Takako Doi in diplomatischen Angelegenheiten. Asai ist heute Professor für internationale Beziehungen an der Japan-Universität in Tokio. Vor wenigen Tagen wurde in Tokio sein Mammutwerk „Die neue Weltordnung und die UNO“ veröffentlicht.
Signalisiert der Besuch von Präsident Bush, daß die USA aufgehört haben, Vorbild für Japan zu sein?
Motofumi Asai:Die Japaner haben das staatliche Vorbild oder den wirtschaftlichen Stil Amerikas niemals als Modell oder Ideal betrachtet. Was wir dagegen sehr wohl als wichtig anerkannt haben, waren die Überlegenheit der USA in den internationalen Beziehungen und Amerikas wirtschaftliche Macht. Stets pflegten wir diesen pragmatischen Blick auf die USA. Zwischen der Akzeptanz von Überlegenheit und der Huldigung eines Ideals liegt nämlich ein Unterschied.
Weil die Konzernchefs der US-amerikanischen Automobilindustrie ihn begleiten, wurde George Bush in Japan als „Autoverkäufer“ begrüßt. Lachen die Japaner den US-Präsidenten heute aus?
Offen gesagt umgibt den Besuch von George Bush in Japan eine spöttische Atmosphäre. Doch die Japaner lachen nicht aufrichtig. Dahinter verbergen sich auch Irritation und Entsetzen über die direkte Art und Weise, mit der Bush hier seine Forderungen stellt. Die in Japan populärste Analogie zum Bush-Besuch geht auf die Worte von Charles de Gaulle zurück, der den japanischen Premierminister Ikeda Anfang der sechziger Jahre als „Transistorradioverkäufer“ begrüßte. George Bush spielt nun in Japan die gleiche Rolle wie früher Ikeda. In meinen Augen hat das mit einem staatsmännischen Auftreten wenig zu tun.
Sogar US-Außenminister Baker beklagte vor kurzem die japanische „Gaiatsu“-Politik, die stets nur auf ausländischen Druck reagiert. Folgt auf das neue japanische Selbstbewußtsein nun auch eine neue Außenpolitik, die sich nicht mehr nach den Vorgaben Washingtons richtet?
Ich fürchte, daß diese Gaiatsu-Diplomatie auch diesmal wiederholt wird. Premierminister Miyazawa versucht mit allen Mitteln, die japanische Autoindustrie dazu zu bewegen, daß sie den amerikanischen Forderungen nachkommt. Dadurch wird der Eindruck entstehen, Bushs Politik habe konkrete Ergebnisse vorgebracht. Doch bezweifle ich sehr, daß die jetzt angestrebten Maßnahmen dann auch die von den USA gewünschten Effekte haben und ihre Wettbewerbssituation verbessern.
Was sollen die Regierungen tun, wenn General Motors 70.000 Entlassungen ankündigt und einer der Gründe dafür die japanische Konkurrenz ist?
Die Ankündigung von General Motors kam wenige Tage vor dem Besuch von Präsident Bush in Japan. Ihre Intention war also offensichtlich. Mich erschreckt es sehr, daß das amerikanische Big Business heute schon auf solche unreifen, taktlosen Manöver zurückgreift, die unvermeidlich scheitern müssen. Dabei kennen die Verantwortlichen in den USA die wahren Gründe für ihre wirtschaftliche Krankheit, die auf die verminderte Wettbewerbsfähigkeit der US-Industrie zurückzuführen ist. Diese wiederum hängen zusammen mit der konfrontativen Beziehung zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern, dem geschwächten Erziehungssystem, einer miserablen Infrastrukturpolitik, der schweren Last der Verteidigungsindustrie und dem Fehlen einer Industriepolitik. Auf diesen Feldern muß eine neue Politik beider Regierungen wirksam werden. Die Handelsbilanz spielt dabei eine völlig untergeordnete Rolle.
Immer wieder fordert Washington von Tokio ein größeres Engagement in der Weltpolitik. Wie ernst sind diese Rufe gemeint?
Die USA möchten aus Japan sicher keine unabhängige Militärmacht machen. Sie wünschen sich Japan in einer die US-Politik unterstützenden und ergänzenden Rolle, zum Beispiel im finanziellen Bereich, was die Militärbasen in Asien betrifft, oder hinsichtlich des technologischen Know-hows in der Verteidigungsindustrie.
Sehen Sie für Japan in diesem Rahmen die Chance, zu einer globalen Zivilmacht aufzusteigen?
Soweit ist es noch nicht. Der deutsche Fall gibt hier ein erhellendes Beispiel. Seitdem die deutsche Regierung diplomatisch immer unabhängiger auftritt, wie etwa im Zusammenhang mit Kroatien, wachsen in den USA die Sorgen. Die deutsche Entwicklung illustriert damit in meinen Augen auch die Zukunft der diplomatischen Beziehungen zwischen den USA und Japan.
Werden nicht nach Ende des kalten Krieges, also mit der relativen Schwächung der gemeinsamen Sicherheitsinteressen, in Zukunft immer wieder Handels-
streitereien die amerikanisch-japanischen Beziehungen dominieren?
Weder die Vereinigten Staaten noch Japan haben begriffen, was das Ende des kalten Krieges für ihre Zukunft wirklich bedeuten könnte. Deshalb hat man sich so überhastet auf vordergründige Themen wie die Handelspolitik gestürzt. Beide Seiten haben es nämlich versäumt, mit der Mentalität des kalten Krieges, mit nuklearer Abschreckung und der Stationierung von Truppen in Übersee ernsthaft zu brechen. Erst die Aufgabe solcher Verteidigungsstrategien könnte die Mittel freisetzen, die die USA für ihr Erziehungssystem und den Wiederaufbau der Privatwirtschaft so dringend benötigen. Ein Japan aber, das weiter wie bisher an die sowjetische Bedrohung glaubt, hilft den USA nicht weiter.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen