INTERVIEW: Die Armee unterordnen
■ Der salvadorianische Guerillaführer Leonel Gonzalez über den Friedensvertrag von Mexiko, über Demokratie, Revolution und Zukunft
Kommandant Leonel Gonzalez ist als oberster Repräsentant der FPL, einer der fünf Guerillabewegungen, die sich in der salvadorianischen FMLN zusammengeschlossen haben, gleichzeitig im fünfköpfigen Oberkommando der bewaffneten Rebellen. Als erster der fünf obersten Guerillaführer kehrte er am vergangenen Donnerstag in sein Land zurück. Das Gespräch wurde noch in Mexiko geführt, wo Gonzalez am 16.1. das Friedensabkommen mitunterzeichnete — mit seinem bürgerlichen Namen: Salvador Sanchez Ceren.
taz: Nach elf Jahren Krieg nun ein Friedensabkommen — mit einer Regierung der extremen Rechten. Präsident Cristiani drückte in Mexiko respektvoll den Guerillakommandanten die Hand und sagte öffentlich, der Beitrag der FMLN zum Aufbau einer stabilen Demokratie sei von entscheidender Bedeutung. Ist der Mann ein Wolf im Schafspelz?
Leonel Gonzalez: Der Friedensvertrag von Mexiko legt das Fundament für eine neue Gesellschaft in El Salvador, in der — das könnte Modell für ganz Lateinamerika werden — die Armee der zivilen Gesellschaft untergeordnet wird. Der Staat selbst muß umgekrempelt werden. Zu diesem Behuf wird für eine Übergangsphase eine „Kommission für den Frieden“ (Copaz) tätig werden, der alle Parteien angehören, also nach ihrer bevorstehenden Legalisierung auch die FMLN. Die Kommission existiert parallel zum Parlament und arbeitet die Gesetze für die Umsetzung des Friedensabkommens aus. Da geht es um die Justizreform, um das Wahlgesetz, um die Neustrukturierung der Armee, um ein Konzept der inneren Sicherheit, das die Einhaltung der Menschenrechte selbst garantiert. Es geht auch um eine Reformierung der wirtschaftlichen Strukturen, und hierbei auch um die Landfrage. Bestimmte Teile des Unternehmertums und selbst der Militärs haben die Notwendigkeit erkannt, die Wirtschaft, den Staat und die Struktur der Armee zu modernisieren. Auf diesem Hintergrund muß die Rede Cristianis gesehen werden.
Spätestens seit der militärischen Offensive der FMLN im November 1989 weiß er, daß trotz aller Militärhilfe der USA die FMLN nicht zu schlagen ist. Der Teil der Unternehmerschaft, den er repräsentiert, zieht es nun vor, zusammen mit der FMLN eine Modernisierung des Landes anzugehen, statt über eine Weiterführung des Krieges die Wirtschaft noch mehr zu ruinieren. Die Rede Cristianis ist also einfach hochgradig pragmatisch, sie nimmt die Realitäten zur Kenntnis.
Im 95 Seiten starken Friedensvertrag machen Fragen der Armee- und Polizeireform das dickste Kapitel aus. Der Friedensvertrag sieht vor, daß es eine Armee gibt, und zwar die bestehende, wenn auch gesäubert. Welche Garantien hat die FMLN, daß diese Armee eines Tages nicht wieder zur Strategie der massiven Repression und Massaker zurückkehrt?
Gemäß dem Friedensvertrag werden alle bestehenden Polizeitruppen aufgelöst. Es wird eine neue zivile Polizei geschaffen. Die Armee wird verkleinert und substantiell verändert. Ihre verfassungsmäßige Aufgabe wird nur noch die Verteidigung der nationalen Souveränität sein. Es wird keine Armee der Aufstandsbekämpfung mehr sein, keine zur Erstickung der Freiheitsbestrebungen der Bevölkerung. Sie wird den Menschenrechten verpflichtet sein. Die Gesellschaft El Salvadors wird also entmilitarisiert.
Verschiedene Mechanismen verhindern, daß die Armee wieder in die alte Rolle zurückfällt. Der Friedensvertrag sieht eine neue Ausbildung für Offiziere und eine neue Doktrin für die Armee vor. Zudem wird es eine neue zivile Polizei geben, die den Menschenrechten und bürgerlichen Freiheiten, der Versammlungs- und Demonstrationsfreiheit verpflichtet ist. Sie darf gemäß dem Friedensabkommen nur noch in außergewöhnlichen Fällen auf Gewaltanwendung zurückgreifen.
Überdies gibt es in der salvadorianischen Gesellschaft und auch in der Armee eine breite Akzeptanz für die Einhaltung des Friedensvertrags. Schließlich stehen die internationalen Zeichen der Zeit schlecht für einen Rückfall der Armee in ihre alte Rolle.
Die Wurzeln des bewaffneten Konflikts, so hat Cristiani in seiner Rede nun selbst eingestanden, liegen in der ungleichen Verteilung des Reichtums, in der sozialen Ungerechtigkeit also. Was wurde diesbezüglich in Mexiko erreicht?
Der Friedensvertrag hat das Fundament dafür gelegt, daß die strukturellen Probleme, die in der wirtschaftlichen Ordnung, dem politischen System und im militärischen Bereich liegen, gelöst werden können. Auch was die ungerechte Verteilung des Landes angeht, hat der Friedensvertrag nun die Möglichkeit geschaffen, strukturelle Veränderungen auf politischem Wege durchzusetzen.
Zurück zur neuen Polizei. In sie sollen auch Guerilleros integriert werden. Wird es im wesentlichen eine FMLN-Polizei werden, oder sind die Guerilleros nur Feigenblatt?
Die neue Polizei wird nicht mehr dem Verteidigungsministerium unterstellt sein, sondern einem neuen Ministerium für Inneres und öffentliche Ordnung. Die Mehrheit im neuen Polizeicorps, so setzt der Vertrag fest, werden neue Polizisten sein, die weder auf der einen noch der andern Seite am bewaffneten Konflikt beteiligt waren. Der Rest wird sich zu gleichen Teilen aus der FMLN und Mitgliedern der aufgelösten Nationalpolizei zusammensetzen. Eine solche Polizei ist ein Faktor der Stabilität und der Versöhnung.
A propos Versöhnung: Cristiani will eine allgemeine Amnestie durchsetzen. Darf Straffreiheit für Verbrechen, die von Armee, Nationalgarde, Finanzpolizei und Nationalpolizei begangen wurden, gegen die Freiheit der politischen Gefangenen und der gefangenen Guerilleros eingetauscht werden?
Ohne Wahrheit kann es keine Gerechtigkeit geben, und nur schwerlich Vertrauen. Zunächst müssen die Verantwortlichen für die Massaker, für den Mord am Erzbischof Romero und an den sechs Jesuiten öffentlich benannt werden.
Benannt, oder auch bestraft?
Allein schon die Tatsache, daß öffentlich festgestellt wird, wer wofür verantwortlich ist, würde für El Salvador schon viel bedeuten. Die Menschenrechtsverletzungen waren hier so massiv, daß die Bestrafung aller Verantwortlichen so viele Leute treffen würde, daß vielleicht die nationale Aussöhnung in Frage gestellt wäre. Wichtiger als Strafe ist, daß die Wahrheit bekannt wird. Das ist ja auch Sache der Justiz. Wir sind dagegen, daß mit einer Amnestie all diese Fälle unter den Teppich gekehrt werden.
Die Regierung hat die Legalisierung der FMLN akzeptiert. Die Freilassung ihrer gefangenen Mitglieder ist nur konsequent und darf nicht von einer generellen Amnestie abhängig gemacht werden.
Wenn Sie auf elf Jahre Krieg zurückblicken: Wo hat die FMLN Fehler gemacht?
Zeitweise gab es Zwangsrekrutierung, dann gewisse falsche Maßnahmen gegen Infiltration, ein taktisches Verhältnis zu den Bündnispartnern. Auch die Politik der Wirtschaftssabotage, die die Bevölkerung traf, wurde manchmal zu weit getrieben.
Die FMLN hatte einen emphatischen Begriff von Revolution. Es ging um die Machtergreifung der arbeitenden Klassen, die Losung hieß „Revolution oder Tod“. Was heißt für Sie heute Revolution?
Das Friedensabkommen ist zum Teil Produkt des revolutionären Kampfes. Es geht hier um revolutionäre Veränderungen, mit der Diktatur Schluß zu machen, dieses Land zu demokratisieren, das bedeutet, Revolutionäres zu leisten. In El Salvador konnte man dies über Wahlen nie erreichen. Dazu bedurfte es auch des bewaffneten Kampfes. Der Friedensvertrag öffnet den Weg für den politischen Kampf um eine grundsätzliche Veränderung der Gesellschaft, hin zu einer, in der es Freiheit und mehr Gerechtigkeit gibt. Das ist eine revolutionäre Option. Interview: Thomas Schmid
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