INTERVIEW: »Wir wollen die Hysterie doch nicht hochtreiben«
■ Gespräch mit Walter Momper (SPD), ob sich am Fall Till Meyer zeige, daß die Stasi die Politik West-Berlins mitbestimmte/ Agenten auch im Bundestag — »Das hat der Qualität der Demokratie keinen Abbruch getan«
taz: Kurz vor den Wahlen 1988 enthüllte Till Meyer, Ex-Stasi-IM, in der taz, daß der Verfassungsschutz einen Spitzel auf den späteren Senator für Inneres, Erich Pätzold, angesetzt hatte. Das verursachte damals erhebliche Aufregung. Die SPD gewann die Wahlen, und die rot-grüne Koalition kam zustande. Hat die Stasi indirekt die Wahl mitbeeinflußt?
Momper: Das möchte ich völlig ausschließen. Die Tatsache, daß Till Meyer Stasi-Spitzel war, hat doch nichts damit zu tun, daß er eine Sache an die Öffentlichkeit gebracht hatte — nämlich dieses Interview mit Teltschow —, die so oder so ein Skandal war. Es war und bleibt immer ein Skandal des Berliner Verfassungsschutzes. Die Unmöglichkeit lag doch darin, daß der Verfassungsschutz jemanden auf den Kontrolleur des Verfassungsschutzes entsandt hatte — und das war ja Pätzold damals —, um ihn zu bespitzeln. Selbst wenn sich jetzt herausstellen sollte, daß Teltschow möglicherweise ein Doppelagent war, ändert das nichts an diesem Skandal. Der Skandal wird auch nicht dadurch verkleinert, daß Meyer dieses Schlüsselinterview gemacht hat.
Stellen Sie sich jetzt die grundsätzliche Frage, wie weit an politischen Entscheidungen die Stasi mitgefingert hat?
Ausschließen kann man das generell natürlich nie. Es wird sich sicher erst im Laufe der Zeit herausstellen, wie weit die Stasi an politischen Entscheidungen beteiligt gewesen war. Ich bin sicher, daß Stück für Stück noch vieles herauskommen wird, es ist ja nie ein Geheimnis gewesen, daß die Durchdringung West-Berlins durch die Stasi sehr weitgehend war.
Grundsätzlich aber besteht kein Anlaß, jetzt jede Entscheidung, die wir getroffen haben, unter diesem Aspekt zu prüfen. Wir wollen die Hysterie doch nicht hochtreiben. Im Bundestag hat es, wie wir heute wissen, immer zwei bis drei Agenten gegeben. Das hat der Qualität der Demokratie keinen Abbruch getan. Es hat den Rechtsstaat auch nicht ernsthaft gefährdet. Spitzel und Agententätigkeiten sind immer schlimm, und zu diskutieren ist jetzt die Stasi-BKA-Connection. Aber grundsätzlich bleibe ich dabei, daß diese Aktivitäten nicht die Qualität der politischen Entscheidungen verändert haben. aku
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